So kam er zuletzt auf folgendes Auskunftsmittel, das er nachmals auch pflichtgetreu anwendete: er zählte jeden einzelnen Fisch für zehn und nahm außerdem zehn als Grundtaxe im voraus an.
Z. B. wenn er gar keinen Fisch fing, so rechnete er zehn; weniger als zehn Fische konnte er bei diesem System gar nicht fangen. Das war eine solide Grundlage.
Wenn es ihm aber wirklich glückte, einen Fisch zu fangen, so machte das zwanzig; während es bei zwei Fischen dreißig machte, bei dreien vierzig usf.
Es ist dies ein sehr einfacher und leicht ausführbarer Plan; man hat daher neulich unter der Anglerbrüderschaft davon gesprochen, ihn allgemein einzuführen. In der Tat hat das Komitee der Angelgesellschaft der Themse die Annahme desselben vor zirka zwei Jahren warm empfohlen; aber einige ältere Mitglieder der Gesellschaft waren ihm abhold. Diese meinten, sie würden den Vorschlag in Betracht ziehen, wenn die Zahl verdoppelt, somit jeder einzelne Fisch für zwanzig gerechnet würde.
Wenn ihr jemals auf einer Flußfahrt nicht wißt, wie ihr den Abend zubringen sollt, so würde ich euch raten, in eines der kleinen Dorfwirtshäuser zu gehen, und euch in der Schenkstube niederzulassen.
Ihr werdet da sicherlich einen oder zwei solcher alten Fischer antreffen, die hier langsam ihren Grog schlürfen und euch in einer halben Stunde mehr Fischgeschichten zum besten geben, als ihr in einem Monat verdauen könnt. Georg und ich – ich weiß nicht, wo Harris hingekommen war; er war früh am Nachmittag ausgegangen, um sich rasieren zu lassen und hatte, nachdem er zurückgekehrt, volle vierzig Minuten gebraucht, um seine Schuhe mit Tonerde zu reinigen; seither hatten wir ihn nicht mehr gesehen – also Georg und ich und der Hund gingen, uns selbst überlassen, am späten Abend nach Wallingford spazieren und kehrten auf dem Rückweg in einem kleinen Flußwirtshause ein, der Nachtruhe und einiger anderer Dinge wegen. Wir gingen in die Stube und setzten uns nieder. Da war ein bemoostes Haupt, das aus einer langen Tonpfeife rauchte; und mit dem fingen wir natürlich ein Gespräch an. Er erzählte uns, es sei heute ein schöner Tag gewesen, und wir meinten, ja, aber gestern sei es auch schön gewesen; und nun sprachen wir uns gegenseitig darüber aus, daß es morgen vielleicht auch wieder schönes Wetter geben würde, und Georg fügte hinzu, die Saaten schienen in gutem Stande zu stehen.
Nachher stellte es sich heraus, daß wir in der Gegend fremd seien und am andern Morgen wieder weiterreisen würden.
Dann trat eine Pause in der Unterhaltung ein, während welcher wir unsere Blicke durch das Zimmer wandern ließen. Sie blieben zuletzt an einem staubigen alten Glaskasten haften, der sehr hoch über dem Kaminsims angebracht war und eine Forelle enthielt.
Wie gebannt mußte ich nach dieser Forelle hinschauen; es war ein solches Monstrum von einem Fisch! Auf den ersten Anblick hatte ich ihn für einen Stockfisch gehalten.
»Ach,« sagte der alte Herr, der Richtung meines Blickes folgend, »nicht wahr, ein wackerer Bursche, was?« – »Etwas ganz Ungewöhnliches,« murmelte ich, und Georg fragte ihn, wie schwer er diesen Fisch schätze?
»Achtzehn Pfund und sechs Unzen,« sagte unser Freund, indem er aufstand und seinen Rock vom Nagel herunterholte. »Ja!« fuhr er fort, »es werden am dritten nächsten Monats sechzehn Jahre, daß ich diesen Fisch herauszog. Gerade unterhalb der Brücke habe ich ihn mit einer Elritze erangelt. Man hatte mir gesagt, daß der Fisch im Flusse sei; da schwur ich mir, ihn zu fangen, und ich fing ihn. Ich denke, alleweil werdet ihr hier nicht mehr viel solcher Fische zu sehen kriegen! Gute Nacht, meine Herren, gute Nacht!«
Und fort ging er und ließ uns allein.
Nach dieser Erzählung konnten wir kein Auge mehr von dem Fische wenden. Es war wirklich ein merkwürdig schöner Fisch! Wir schauten noch immer den Fisch an, als der Landbote, der gerade am Wirtshaus anhielt, mit einer Kanne Bier unter der Tür erschien und den Fisch ebenfalls anschaute.
»Stattliche Forelle das, nicht wahr?« sagte Georg, sich gegen ihn wendend.
»Das will ich meinen, Herr!« erwiderte der Mann und fügte nach einem Zuge aus seinem Glase hinzu: »Vielleicht waren Sie damals nicht hier, als dieser Fisch gefangen wurde?«
»Nein!« sagten wir, »wir waren damals nicht hier. Wir sind fremd in dieser Gegend!«
»Dann konnten Sie natürlich nicht dabei sein. Es sind schon an die fünf Jahre her, daß ich diesen Fisch fing.«
»Ei! also Sie waren es, der diese Forelle fing?« rief ich aus.
»Ja, ja, mein guter Herr!« erwiderte der erfindungsreiche alte Bursche, »ich habe ihn gerade unterhalb der Schleuse gefangen – d. h. was damals die Schleuse war. Es war an einem Freitag abend; und was das Merkwürdigste dabei ist: ich fing ihn mit einer Fliege! Ich war hinausgegangen, um Hechte zu fangen, wissen Sie, dachte nicht im Traum an Forellen, und als ich dann diesen himmellangen Kerl da an meiner Angel sah, ja, ich will des Teufels sein, wenn ich nicht ganz verdutzt zurückprallte! Kein Wunder, hat der Kerl doch sechsundzwanzig Pfund gewogen! – Gute Nacht, meine Herren, gute Nacht!«
Fünf Minuten später kam ein dritter Mann herein und erzählte uns, wie er den Fisch eines Morgens früh mit einem Weißfisch gefangen habe; nachdem dieser gegangen, kam ein dumm und feierlich aussehendes Individuum mittleren Alters herein und setzte sich gegen das Fenster hin.
Eine Zeitlang sprach keiner von uns ein Wort; zuletzt wandte sich Georg gegen den neuen Ankömmling und sagte:
»Ich bitte Sie um Verzeihung, mein Herr! Ich hoffe, Sie werden es mir nicht übel nehmen, daß wir – ich und mein Freund sind vollständig fremd in dieser Gegend – uns die Freiheit nehmen, Sie zu fragen. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns mitteilen würden, wie Sie diese Forelle hier oben gefangen haben?«
»Ja, wer sagt Ihnen denn, daß ich diese Forelle gefangen hätte?« fragte der Mann erstaunt.
Wir sagten ihm, daß niemand uns dies mitgeteilt habe, daß wir aber instinktmäßig fühlten, daß er es gewesen sein müsse.
»Ja, das ist aber wirklich höchst merkwürdig!« erwiderte nun der dümmliche Fremde lachend, »denn es ist wirklich Tatsache, daß ich den Fisch fing. Aber daß Sie das sogleich geahnt haben! Sollte man so etwas für möglich halten? Es ist doch zu merkwürdig!«
Und nun fing er an und erzählte uns, wie er eine volle halbe Stunde damit zugebracht habe, den Fisch herauszuziehen, wie ihm derselbe die Leine zerrissen habe; er habe ihn bei seiner Heimkehr genau gewogen; er sei netto vierunddreißig Pfund schwer gewesen.
Auch er nahm bald seinen freundlichen Abgang. Als er fort war, kam der Wirt herein. Wir erzählten ihm die verschiedenen Geschichten, die wir über seine Forelle zu hören bekommen, was ihn ungeheuer belustigte, und wir alle lachten herzlich.
»Nein, aber so etwas! Nun stelle man sich vor, daß der Jakob Bates und der Joseph Muggles und Herr Jones und der alte Willy Maunders alle diesen Fisch gefangen haben wollen! Ha, ha, ha! das heiße ich einen Hauptspaß!« sagte der biedere, alte Bursche und fing von neuem zu lachen an. »Ja, ja, die sind gerade die Sorte Leute, die mir einen solchen Fisch geben würden, damit ich ihn in meiner Stube aufhänge, wenn sie ihn gefangen hätten! Ha, ha, ha!« Dann erzählte er uns die wirkliche Geschichte von dem Fisch.
Es stellte sich heraus, daß er selbst ihn vor vielen Jahren gefangen hatte, als er noch ein ganz junger Bursche war – nicht vermöge besonderer Kunst oder Geschicklichkeit, sondern infolge eines jener ganz sonderbaren Glückszufälle, die, wie es scheint, immer auf einen Knaben warten, der an einem sonnigen Nachmittag die Schule schwänzt und mit einem an die Gerte gebundenen Stück Schnur das Fischen probiert.
Einer weidlichen Tracht Prügel, versicherte er, sei er damals entgangen, weil er diesen Fisch nach Hause gebracht habe, und sogar sein Schulmeister habe gesagt, das sei soviel wert als die Regeldetri und Schönschreiben zusammengenommen. –