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»Sind's Räuber gewesen?«

»Nein, aber richtige Spitzbuben«, versetzte Paschka stolz.

Ilja blinzelte mit den Augen, und sein Respekt vor Paschka wuchs noch mehr.

»Waren es Russen?«

»Ein paar Juden waren auch dabei... Prächtige Leute!... Ich sag' dir, Bruder, die haben's verstanden! Jeden haben sie geplündert, den sie in die Finger kriegten, aber gehörig!... Na, schließlich wurden sie gefaßt, und jetzt geht's nach Sibirien!...«

»Wie hast du denn da gelernt?«

»So ... ich sagte einfach: Lehren Sie mich doch lesen – und da haben sie mir's beigebracht...«

»Hast du auch schreiben gelernt?«

»Mit dem Schreiben geht's noch schwach, aber lesen kann ich dir, soviel du willst! Hab' schon 'ne Menge Bücher gelesen...«

Als auf Bücher die Rede kam, wurde Ilja lebendig.

»Auch ich lese immer mit Jaschka zusammen«, sagte er. »Und was für Bücher!«

Beide begannen nun um die Wette all die Bücher zu nennen, die sie schon gelesen hatten. Mit einem Seufzer mußte Paschka zugeben:

»Ich sehe, ihr habt mehr gelesen, ihr Teufelskerle! Ich hab' meistens Verse gelesen. Dort hatten sie eine Menge Bücher, aber schön waren nur die mit Versen!...«

Bald kam auch Jakow herein. Er riß ganz erstaunt die Augen auf und lachte.

»Na, Schaf, was lachst du denn?« begrüßte ihn Paschka.

»Wo bist du gewesen?«

»Da wirst du nie hinkommen!...«

»Denk dir,« warf Ilja ein, »auch er hat dort Bücher gelesen!...«

»Wirklich?« sagte Jakow, und sogleich begann er sich Paschka freundlicher zu nähern.

In lebhaftem, wenn auch zusammenhanglosem Geplauder saßen die drei Knaben nebeneinander.

»Ich hab' euch Sachen gesehen – gar nicht erzählen läßt sich's!« rief Paschka ganz stolz und begeistert. »Einmal hab' ich zwei Tage lang nichts gefressen ... nicht 'nen Happen! Im Walde hab' ich genächtigt...«

»War's ängstlich?« fragte Jakow.

»Geh doch hin, versuch's mal – dann wirst du's wissen! Und einmal haben mich die Hunde beinah totgebissen... In der Stadt Kasan war ich, dort haben sie einem Manne ein Denkmal aufgestellt – dafür, daß er Verse gemacht hat. Ein schrecklich großer Mann war's! Beine, sag' ich euch – so dick! Und die Faust so groß wie dein Kopf, Jaschka! Ich werde auch Verse machen, Brüder, ich hab's schon ein wenig gelernt...«

Er reckte sich plötzlich auf, zog die Beine zurück, und während er nach einem Punkte sah, sprach er mit ernster, wichtiger Miene rasch die Verse:

»Viel Menschen, satt und wohlgekleidet,

Gehn auf der Straße ab und zu,

Und bitt' ich um ein Stückchen Brot sie,

So heißt's: Geh deiner Wege, du!«

Er schwieg, sah die beiden Knaben an und senkte still den Kopf. Eine Minute etwa verharrten alle in verlegenem Schweigen. Dann fragte Ilja zögernd:

»Sind das Verse?«

»Hörst du's denn nicht?« schrie Paschka ihn ärgerlich an. »Es reimt sich doch: zu – du, also sind's eben Verse!«

»Natürlich sind's Verse«, warf Jakow lebhaft ein. »Du hast immer was auszusetzen, Ilja!«

»Ich hab' noch mehr Verse gedichtet«, wandte sich Paschka lebhaft zu Jakow um und platzte von neuem heraus:

»Grau sind die Wolken, die Erde feucht,

Bald kommt heran des Herbstes Zeit,

Und ich – ich hab' nicht Haus noch Hof,

Und Loch bei Loch ist in meinem Kleid!...«

»Ei, ei«, sagte Jakow und sah Paschka mit großen Augen an.

»Das waren richtige Verse«, gab diesmal Ilja zu.

Ein flüchtiges Erröten ging über Paschkas Gesicht, und er kniff die Augen zusammen, wie wenn ihm Rauch hineingekommen wäre.

»Ich werde auch lange Gedichte machen«, rühmte er sich, »Es ist gar nicht so schwer. Man geht im Freien und schaut um sich: Wald, Wälder – Feld, Felder... Oder: Bäume – Träume!... Ganz von selbst kommt es...«

»Und was wirst du jetzt machen?« fragte ihn Ilja.

Paschka ließ seinen Blick in die Runde schweifen, schwieg eine Weile und sagte endlich leise und unsicher:

»Irgend etwas...«

Gleich darauf fügte er in entschlossenem Tone hinzu:

»Wenn es mir nicht paßt, lauf ich wieder weg.«

Vorderhand blieb er jedoch bei dem Schuster, und an jedem Abend kamen die Kinder bei ihm zusammen. Im Keller war es stiller und gemütlicher als in Terentijs Kammer. Perfischka war nur selten zu Hause – er hatte alles vertrunken, was irgend zu vertrinken war, und arbeitete jetzt tagweise in fremden Werkstätten. Und wenn er keine Arbeit hatte, saß er in der Schenke. Er ging halb nackt und barfuß umher und trug allezeit seine alte Harmonika unterm Arm. Sie war gleichsam mit seinem Körper verwachsen, er hatte einen Teil seines fröhlichen Gemüts in sie hineingelegt. Sie waren einander beide so ähnlich – beide so reduziert und so eckig, dabei voll lustiger Lieder und Triller. In allen Werkstätten der Stadt kannte man Perfischka als unermüdlichen Sänger kecker, spaßiger Reimereien. Überall, wo er erschien, war er ein wohlgelittener Gast. Man hatte ihn gern, weil er es verstand, mit seinen Schnurren, Geschichten und Anekdoten das schwere, trübselige Dasein des arbeitenden Volkes zu erleichtern.

Hatte er ein paar Kopeken verdient, so gab er die Hälfte davon seiner Tochter – darauf beschränkte sich seine ganze Sorge um ihre Existenz. Im übrigen war Mascha ganz und gar Herrin ihres Schicksals. Sie war hübsch groß geworden, ihr schwarzes Lockenhaar fiel ihr tief auf die Schultern herab, die dunklen, großen Augen blickten so ernst, und mit ihrer zarten, geschmeidigen Gestalt spielte sie in ihrem Kellerwinkel vortrefflich die Rolle der Wirtin. Sie sammelte Späne auf den Bauplätzen, versuchte damit irgendeine Suppe zu kochen und ging bis zum Mittagessen mit hochgeschürztem Röckchen umher, ganz rußig, naß und geschäftig. Hatte sie sich ihre Mahlzeit bereitet, so räumte sie das Zimmer auf, wusch sich, zog ein sauberes Kleid an und setzte sich an den Tisch vor dem Fenster, um irgend etwas an ihrer Kleidung auszubessern. Oft bekam sie Besuch von Matiza, die ihr Semmel, Tee und Zucker brachte und ihr einmal sogar ein blaues Kleid schenkte. Mascha benahm sich ihrem Besuch gegenüber wie eine erwachsene Person, eine richtige Hausfrau: sie stellte einen kleinen Samowar aus Blech auf den Tisch, und während sie den heißen, erquickenden Trank genossen, plauderten sie von verschiedenen Angelegenheiten und schimpften auf Perfischka. Matiza ließ sich förmlich hinreißen, wenn es über den Schuster herging, während Mascha mit ihrem feinen Stimmchen ihr zwar aus Höflichkeit recht gab, da jene ihr Gast war, aber doch eigentlich ohne Gehässigkeit von Perfischka sprach. In allem, was sie über den Vater sagte, klang eine entschiedene Nachsicht.

»Daß ihm die Leber verdorre!« brummte Matiza mit ihrem tiefen Baß, während sie wild die Augenbrauen zusammenzog. »Hat denn der Saufsack ganz vergessen, daß er ein kleines Kind zu Hause sitzen hat? So'n widerlicher Kerl! Krepieren soll er wie 'n Hund!«

»Er weiß doch, daß ich schon groß bin und alles selber machen kann!« versetzte Mascha.

»Mein Gott, mein Gott!« seufzte Matiza tief auf. »Was geht denn vor in Gottes großer Welt? Was wird mit dem Mädelchen geschehen? Auch ich hatte so'n Mädelchen, wie du bist! ... Es ist dort geblieben, zu Hause ... in der Stadt Chorol ... Und es ist so weit nach der Stadt Chorol, daß, wenn ich auch hinfahren könnte, ich den Weg dahin nicht finden würde ... So geht's mit dem Menschen! ... Er lebt, lebt auf Erden und vergißt, wo er geboren ist ...«

Mascha hörte gern die tiefe Stimme dieses Weibes mit den braunen Augen, die denen einer Kuh glichen. Und wenn auch Matiza stets nach Branntwein roch, so hinderte das Mascha doch nicht, sich auf ihren Schoß zu setzen, sich fest an ihren starken, wie ein Hügel hervortretenden Busen zu schmiegen und sie auf die vollen Lippen des hübsch geformten Mundes zu küssen. Matiza pflegte des Morgens zu kommen, und am Abend versammelten sich die Kinder bei Mascha. Sie spielten allerhand Kartenspiele, wenn sie keine Bücher hatten, doch waren sie mit diesen meist gut versehen. Mascha hörte mit Spannung zu, wenn sie lasen, und bei besonders schauerlichen Stellen schrie sie sogar leise auf.