Von den »Herren« sprach Paschka fast nur in lauter Empfindungswörtern – sie hatten offenbar einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, doch hatten ihre Gestalten in seiner Erinnerung etwas Verschwommenes bekommen, so daß sie ihm wie ein großer, trüber Fleck erschienen. Beim Schuster blieb Paschka etwa einen Monat, dann verschwand er wieder. Später erfuhr Perfischka, daß er in eine Druckerei als Lehrling eingetreten sei und irgendwo in einem entfernten Stadtviertel wohne. Als Ilja davon hörte, war er voll Neid und sagte seufzend zu Jakow:
»Und wir beide werden wohl hier versauern müssen!...«
VIII
In der ersten Zeit nach Paschkas Verschwinden war es Ilja, als ob ihm etwas fehlte, bald jedoch geriet er wieder in das alte Geleise seiner weltfremden Wunderwelt. Abermals wurden fleißig Bücher gelesen, und Iljas Seele verfiel in einen süßen Zustand des Halbschlummers.
Das Erwachen war jäh und unerwartet. Ilja ging noch in die Schule, als eines Tages der Onkel zu ihm sagte:
»Steh auf und wasch dich hübsch sauber... Mach' rasch!...«
»Wohin geht's denn?« fragte Ilja verschlafen.
»Auf deine Stelle. Es hat sich was gefunden, Gott sei Dank!... Bei einem Fischhändler wirst du eintreten.«
Ein unangenehmes Vorgefühl machte Iljas Herz beklommen. Der Wunsch, dieses Haus zu verlassen, in dem er alles kannte und an alles gewöhnt war, schwand plötzlich in ihm, und Onkel Terentijs Kammer, die ihm nie gefallen hatte, erschien ihm mit einemmal sauber und hell. Die Augen auf den Boden heftend, saß er auf seinem Bett und hatte gar keine Lust, sich anzuziehen... Jakow kam herein, ungekämmt und ganz grau im Gesicht, den Kopf zur linken Schulter geneigt; er ließ einen flüchtigen Blick über seinen Kameraden gleiten und sagte:
»Komm rasch, der Vater wartet... Du wirst doch öfter hierher kommen?«
»Gewiß komm' ich...«
»Na ja... Geh nur zu Mascha, nimm von ihr Abschied!«
»Aber ich geh' doch nicht für immer fort!« rief Ilja unwirsch aus.
Mascha kam selbst herauf – sie stand an der Tür, schaute auf Ilja und sagte traurig:
»So leb' also recht wohl, Ilja...«
Ilja zerrte ärgerlich an der Jacke, die er eben anzog, und schimpfte. Mascha und Jakow seufzten beide zu gleicher Zeit tief auf.
»Besuch' uns nur bald!« sagte Jakow.
»Schon gu–ut!« versetzte Ilja grob.
»Sieh doch, wie er sich aufspielt – der Herr Kommis!« bemerkte Mascha.
»Ach, du ... dumme Gans!« antwortete ihr Ilja leise, im Tone des Vorwurfs.
Ein paar Minuten später ging er über die Straße – an der Seite Petruchas, der feierlich mit einem langen Überrock und knarrenden Stiefeln angetan war.
»Ich führ' dich zu einem sehr ehrenwerten Manne, den die ganze Stadt zu schätzen weiß,« sprach der Büfettier in eindringlichem Tone zu Ilja – »nämlich zu Kiril Iwanytsch Strogany... Er hat für seine Herzensgüte und seinen wohltätigen Sinn Medaillen erhalten, und was sonst noch. Er ist Stadtverordneter und vielleicht wird er sogar einmal zum Bürgermeister gewählt! Diene ihm treu und redlich, und er wird dafür schon aus dir etwas machen!... Du bist ein ernstes Bürschchen, kein verwöhntes Muttersöhnchen... Einem Menschen 'ne Wohltat erweisen, ist für ihn dasselbe wie ausspucken...«
Ilja hörte ihn an und suchte sich ein Bild von dem Kaufmann Strogany zu machen. Er stellte sich sonderbarerweise vor, daß der Kaufmann dem Großvater Jeremjej ähnlich sehe – daß er ebenso dürr, ebenso gutmütig und umgänglich sein müsse. Als er jedoch in dem Fischladen anlangte, sah er dort hinter dem Schreibpult einen großen Mann mit einem mächtigen Schmerbauch. Auf dem Kopfe hatte er nicht ein einziges Haar mehr, sein Gesicht jedoch war von den Augen bis an den Hals hinunter mit einem dichten roten Bart bedeckt. Seine Augenbrauen waren gleichfalls dicht und rot, und unter ihnen liefen ein paar kleine, grünliche Äuglein zornig hin und her.
»Verneig' dich!« flüsterte Petrucha Ilja zu, indem er mit den Augen nach dem rotbärtigen Manne hin winkte. Ilja ließ enttäuscht den Kopf auf die Brust sinken.
»Wie heißt er?« dröhnte eine tiefe Baßstimme durch den Läden.
»Ilja ist sein Name«, antwortete Petrucha.
»Na, Ilja, halt mir ja die Augen offen und gib acht! Jetzt gibt's für dich niemanden sonst in der Welt als deinen Prinzipal! Weder Verwandte noch Bekannte – hast verstanden? Ich bin dir Vater und Mutter – weiter hab' ich dir nichts zu sagen ...«
Ilja ließ seinen Blick heimlich durch den Laden schweifen. In Körben mit Eis lagen ungeheure Störe und Welse, in Fächern an den Wänden waren schichtenweise gedörrte Zander und Karpfen aufgestapelt, und überall blinkten blecherne Dosen. Ein durchdringender Geruch von Salzlake erfüllte die Luft, und es war stickig, eng und feucht in dem Laden. Auf dem Boden schwammen in großen Bottichen die lebenden Fische – Sterlets, Aalraupen, Barsche, Schleie. In einem der Gefäße tummelte sich ein kleiner Hecht keck und lebhaft im Wasser, stieß die anderen Fische und spritzte mit kräftigen Schwanzschlägen das Wasser über den Boden. Ilja hatte Mitleid mit dem armen Kerl.
Einer der Kommis – ein kleiner, dicker Mensch namens Michailo, mit runden Augen und einer Hakennase, der eine große Ähnlichkeit mit einem Uhu hatte – hieß Ilja die abgestorbenen Fische aus dem Bottich herausnehmen. Der Junge streifte seine Ärmel auf und griff aufs Geratewohl in das Wasser hinein.
»Bei den Köpfen mußt du sie fassen, Dummkopf!« rief der Kommis leise. Zuweilen faßte Ilja aus Versehen einen lebendigen Fisch, der unbeweglich im Wasser stand; er entschlüpfte seinen Fingern, begann krampfhaft im Wasser hin und her zu schießen und stieß mit dem Kopfe gegen die Wandung des Gefässes.
»Immer munter, munter!« kommandierte der Kommis.
Ilja hatte sich an einer spitzen Flossengräte in den Finger gestochen, und er steckte ihn nun in den Mund und begann daran zu saugen.
»Nimm den Finger aus dem Munde!« ertönte die Baßstimme des Prinzipals.
Dann gab man dem Jungen ein schweres Beil und hieß ihn in den Keller gehen und dort Eis zerklopfen, daß es sich gleichmäßig lagerte. Die Eissplitter sprangen ihm ins Gesicht und glitten ihm hinter den Kragen, es war kalt und dunkel im Keller, und das Beil schlug, wenn er unvorsichtig damit hantierte, gegen die Decke. Nach ein paar Minuten kam Ilja, von oben bis unten naß, aus dem Keller herauf und erklärte dem Prinzipaclass="underline"