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»Hier ist deine Abrechnung, Mischka ...«

»Aber erlauben Sie ...« suchte der Kommis einzuwenden.

»Hinaus mit dir! Sonst ruf ich die Polizei ...«

»Gut! Ich geh' schon ... Aber auf das Bürschchen da geben Sie acht, das rat' ich Ihnen ... Er geht mit dem Messerchen auf die Leute los ... he he!«

»Hinaus!«

Es ward wieder still im Laden. Ilja wurde von einem unangenehmen Gefühl beschlichen: es war ihm, als laufe etwas über sein Gesicht hin. Er wischte mit der Hand die Tränen von seinen Backen, schaute um sich und bemerkte, daß der Prinzipal hinter seinem Pult hervor ihn mit einem scharfen Blicke musterte. Da stand er vom Boden auf und ging mit unsicherem Schritt nach der Tür zu, an seinen Platz.

»Halt! Wart' einmal!« rief der Prinzipal. »Hättest du's fertig bekommen, ihn mit dem Messer zu stechen?«

»Ich hätt' ihn gestochen«, antwortete der Knabe leise, doch mit Bestimmtheit.

»So, so ... Wofür ist dein Vater nach Sibirien geschickt worden? Wegen Mordes?«

»Nein – wegen Brandstiftung ...«

»Auch recht nett ...«

Karp, der zweite Kommis, kam eben von einem Ausgang heim. Er nahm auf einem Taburett neben der Tür Platz und sah auf die Straße hinaus.

»Hör' mal, Karpuschka,« begann der Prinzipal, während er ihn lächelnd ansah – »ich habe eben den Mischka fortgejagt ...«

»Es steht in Ihrer Macht, Kiril Iwanowitsch!«

»Denk' dir nur: er hat mich bestohlen!«

»Nicht möglich!« rief Karp leise, doch sichtlich erschrocken. »Ist's wirklich wahr? Der Bösewicht!«

Der Prinzipal lachte hinter seinem Pult, daß er sich den Bauch halten mußte und sein roter Bart sich zitternd hin und her bewegte.

»Ho ho ho!« rief er. »Ach, Karpuschka ... du mein Taschenspieler ... demütige Seele du!...«

Dann hörte er plötzlich auf zu lachen, seufzte tief auf und sagte streng und nachdenklich:

»Ach, Leute, Leute! Menschenkinder... Alle wollt ihr leben, alle müßt ihr fressen!... Sag' mal, Ilja,« redete er plötzlich den Knaben an, »hast du schon früher bemerkt, daß Michailo stiehlt?«

»Freilich hab' ich's bemerkt...«

»Und warum hast du mir nichts davon gesagt? Hast wohl Angst vor ihm gehabt, wie?«

»Angst hab' ich nicht gehabt...«

»Du hast es also jetzt nur aus Groll gesagt?«

»Ja«, antwortete Ilja trotzig.

»Seht doch ... was für ein Bürschchen!« rief der Kaufmann. Dann strich er lange seinen roten Bart und sah Ilja schweigend, mit ernster Miene an.

»Und du selber, Ilja – hast du auch gestohlen?«

»Nein...«

»Ich glaub's dir ... du – hast nicht gestohlen... Na, und Karp – dieser Karp, der hier steht – stiehlt der?«

»Freilich stiehlt er!« versetzte Ilja in bestimmtem Tone.

Karp sah ihn ganz erstaunt an, blinzelte mit den Augen und wandte sich ruhig ab, als ob ihn die Sache gar nichts anginge. Der Prinzipal zog die Augenbrauen finster zusammen und begann von neuem seinen Bart zu streichen. Ilja fühlte deutlich, daß irgend etwas ganz Besonderes vorging, und erwartete voll Spannung das Ende. In der scharf duftenden Luft des Ladens flogen summend die Fliegen hin und her, und man vernahm das Plätschern des Wassers in dem Bottich mit den lebenden Fischen.

»Karpuschka!« rief der Prinzipal den Kommis, der unbeweglich an der Tür stand und mit Aufmerksamkeit auf die Straße hinaussah.

»Was ist gefällig?« versetzte Karp, während er rasch auf den Prinzipal zueilte und ihm mit seinen dienstfertigfreundlichen Augen ins Gesicht sah.

»Hast du gehört, was man von dir gesagt hat?« fragte Strogany lächelnd.

»Ich hab's gehört ...«

»Nun – und was weiter?«

»Nichts weiter ...« sagte Karp und zuckte die Achseln.

»Nichts weiter? Was soll das heißen?«

»Sehr einfach, Kiril Iwanowitsch. Ich bin ein Mensch, der Selbstachtung besitzt – und darum steht es mir nicht an, mich durch einen Knaben beleidigt zu fühlen. Sie sehen doch selbst, daß der Junge unglaublich dumm ist und von nichts 'ne Ahnung hat ...«

»Mach' mir keine Flausen vor, sondern sag' lieber: hat er die Wahrheit gesagt?«

»Was heißt ›die Wahrheit‹, Kiril Iwanowitsch?« versetzte Karp leise, zuckte mit den Achseln und legte den Kopf auf die Seite. »Wenn Sie durchaus wollen, können Sie seine Worte als Wahrheit nehmen, es steht ganz bei Ihnen ...«

Karp schloß mit einem Seufzer, verneigte sich vor dem Prinzipal und machte eine Handbewegung, die bewies, daß er sich tief gekränkt fühlte.

»Hm ja – das steht allerdings bei mir ...« stimmte der Kaufmann ihm bei. »Nach deiner Meinung ist der Junge also dumm?«

»Unglaublich dumm«, versetzte Karp im Brustton der Überzeugung.

»Nein, mein Lieber – da lügst du ...« sagte Strogany und lachte plötzlich laut auf. »Wie er dir vorhin mit der Wahrheit ins Gesicht sprang! Hoho! Stiehlt der Karp? – Freilich stiehlt er! Ho ho ho!«

Als Ilja den Prinzipal lachen hörte, fühlte er, wie in seinem Herzen die freudige Empfindung der Rache aufloderte, und er blickte triumphierend zu Karp, zu dem Prinzipal aber mit dem Ausdruck der Dankbarkeit hin. Strogany kniff die Augen zusammen und lachte aus vollem Halse, und Karp ließ, als er den Kaufmann so lachen hörte, gleichfalls ein vorsichtiges Lachen aus seiner Kehle:

»He he he!«

Als jedoch Strogany diese dünnen Meckerlaute vernahm, kommandierte er streng:

»Schließ den Laden zu! ...«

Auf dem Wege zum Hause des Kaufmanns sagte Karp kopfschüttelnd zu Ilja:

»Ein Dummkopf bist du doch, ein richtiger Dummkopf! Warum hast du nur diese langweilige Geschichte angefangen? Sag' mal! Erwirbt man sich so die Gunst der Prinzipale? Tölpel! Meinst du vielleicht, er wüßte nicht, daß wir beide, Mischka und ich, ihn bestehlen? Er hat doch mal genau ebenso angefangen ... Dafür, daß er Mischka fortgejagt hat, muß ich dir ja, wenn ich ehrlich sein will, Dank sagen. Aber daß du auch mich verklatscht hast – das wird dir nie verziehen werden! ... Das nennt man dumm und frech zugleich. Ein solches Wort von mir zu sagen, noch dazu in meiner Gegenwart! Das werd' ich dir nie vergessen ... du hast damit bewiesen, daß du mich nicht achtest ...«

Ilja hörte seine Ausführungen an, verstand sie jedoch nicht recht. Nach seiner Überzeugung hätte Karps Groll gegen ihn sich ganz anders äußern sollen: er hatte bestimmt erwartet, daß der Kommis ihn unterwegs gehörig durchprügeln werde, und hatte sich sogar gefürchtet, heimzugehen. Aus Karps Worten aber hörte er statt des Grolls nur den Spott heraus, und die Drohungen Karps schreckten Ilja nicht. Noch am Abend dieses Tages jedoch sollte der Sinn von Karps Reden Ilja klar werden – als ihn nämlich der Prinzipal in seine Wohnung nach dem oberen Stockwerk beschied.

»Aha! Siehst du? Geh nur hin!« rief Karp in einem Tone, der Schlimmes ahnen ließ, hinter ihm her.

Als Ilja oben ankam, blieb er an der Tür eines großen Zimmers stehen, in dem unter einer schweren Hängelampe ein großer Tisch mit einem großen Samowar darauf stand. Rings um den Tisch saß der Prinzipal mit seiner Gemahlin und seinen Töchtern, drei rothaarigen, sommersprossigen jungen Mädchen, von denen immer eins um einen Kopf kleiner war als das andere. Bei Iljas Eintritt drängten sich alle drei eng aneinander und schauten ihn mit ihren drei blauen Augenpaaren ängstlich an.

»Da ist er!« sagte der Prinzipal.

»Sagt doch mal – so'n Bürschchen!« rief ängstlich die Frau Prinzipalin und sah auf Ilja mit einem Blick, als ob sie ihn noch nie gesehen hätte. Strogany lächelte, strich seinen Bart, trommelte mit den Fingern auf dem Tische und sagte in eindringlichem Tone: