Выбрать главу

»Und gestern hat er mich gelobt!« meinte Ilja lachend.

Petruchas zweideutiges Verhalten vermochte Iljas gesteigertes Selbstgefühl keineswegs zu mindern. Er fühlte sich ganz und gar als Helden und war davon überzeugt, daß er bei dem Kaufmann sich besser benommen habe, als sich ein anderer unter denselben Umständen benommen hätte.

Zwei Monate darauf, nachdem sehr eifrig, jedoch vergebens, nach einer neuen Stelle für Ilja gesucht worden war, fand zwischen diesem und Onkel Terentij die nachfolgende Unterhaltung statt:

»Ja, 's ist schlimm,« sprach der Bucklige düster, »es ist für dich keine Stelle zu finden ... Überall heißt es – er ist zu groß! ... Was fangen wir nun an, mein Lieber?«

Ilja entgegnete darauf in gesetztem, überzeugungsvollem Tone:

»Ich bin jetzt fünfzehn Jahre ... kann lesen und schreiben, bin nicht dumm ... Und wenn ich frech bin, wird man mich eben auch von jeder anderen Stelle fortjagen.«

»Was sollen wir da anfangen, mein Junge?« fragte ängstlich Terentij, der auf seinem Bett saß und sich mit den Armen fest darauf stützte.

»Ich will dir was sagen: laß mir einen Kasten machen und kauf mir etwas Ware – Seife, Parfüms, Nadeln, Bücher ... allerhand Kram ... Ich geh' dann damit herum und treibe Handel ...«

»Wie? Wie meinst du das, Iljuscha? Ich begreif nicht recht ... In der Schenke hier ... in dem Lärm geht's immer tuck, tuck, tuck! ... Bin etwas schwach geworden im Kopfe ... Und dann beschäftigt mich auch eine Sache ... für nichts anderes hab' ich mehr rechten Sinn ...«

In den Augen des Buckligen lag ein seltsam gequälter Ausdruck – als ob er irgend etwas nachrechnen wollte und damit nicht zurecht käme.

»Versuch's doch, Onkel, laß mich einmal gehen!« bat ihn Ilja, ganz begeistert von seinem Gedanken, der ihm die Freiheit versprach.

»Nun, Gott mit dir! Wir können's ja versuchen ...«

»Wirst sehen, daß es gehen wird«, rief Ilja freudig aus.

»A–ach«, seufzte Terentij tief auf und sagte in gramvollem Tone:

»Wenn du doch recht bald erwachsen wärst! A–ach! Dann könnt' ich gehen ... So aber bist du wie ein Anker, der mich festhält ... nur deinetwegen steh' ich hier in dieser fauligen Pfütze ... Zu den heiligen Nothelfern möcht' ich gehen ... Möcht' ihnen sagen: Ihr Diener Gottes! Wohltäter und Fürsprecher! Ich habe gesündigt, ich Ruchloser!«

Der Bucklige begann leise zu weinen. Ilja begriff, von welcher Sünde der Onkel sprach, und erinnerte sich selbst dieser Sünde. Sein Herz erbebte. Er hatte Mitleid mit dem Onkel, doch fand er keine Worte ihm zum Tröste und schwieg. Und erst als er sah, daß aus den eingefallenen, kläglich dreinschauenden Augen des Buckligen die Tränen immer reichlicher flossen, sagte er:

»Na, so wein' doch nicht mehr!« Er schwieg, dachte eine Weile nach und fuhr dann tröstend fort: »Laß gut sein, sie werden dir schon verzeihen ...«

So warf sich nun Ilja ganz auf den Hausierhandel. Vom Morgen bis zum Abend ging er durch die Straßen der Stadt, mit dem Kasten auf der Brust, hob die Nase empor und schaute voll Selbstbewußtsein auf die Menschen. Die Mütze tief in die Stirn gezogen, reckte er den Hals heraus und schrie mit seiner jugendlichen, im Wechsel begriffenen Stimme:

»Seife! Wichse! Haarnadeln, Stecknadeln, Nähnadeln und Zwirn! Bücher ... sehr schöne Bücher!«

Wie ein bunter, geräuschvoller Strom floß ringsum das Leben dahin, und er schwamm in diesem Strome frei und leicht dahin, trieb sich auf den Bazaren umher, ging in die Wirtshäuser, bestellte sich mit wichtiger Miene eine Portion Tee und trank ihn langsam zu einem Stück Weißbrot, wie jemand, der sich seines Wertes wohl bewußt ist. Das Leben erschien ihm sehr einfach, leicht und angenehm. Seine Träumereien nahmen einfache, klare Formen an: er stellte sich vor, wie er nach ein paar Jahren in einem eignen kleinen Laden sitzen würde, irgendwo in einer besseren, nicht allzu lärmenden Straße – und in diesem Laden würde er hübsche, saubere Galanteriewaren feilhalten, die keine Flecke geben und die Kleider nicht ruinieren. Er selbst wird gleichfalls sauber, gesund und hübsch aussehen. Alle Leute in der Straße werden ihn achten, und die Mädchen werden mit freundlichen Augen auf ihn schauen. Nach Ladenschluß wird er in dem sauberen, hellen Zimmerchen neben dem Laden sitzen, wird seinen Tee trinken und Bücher lesen. Sauberkeit in allen Dingen erschien ihm als unerläßliche, ja hauptsächlichste Bedingung eines geordneten Lebens.

So träumte er, wenn niemand ihn durch grobes Benehmen gekränkt hatte – seit der Zeit nämlich, daß er sich als anständiger Mensch fühlte, war er sehr empfindlich und übelnehmerisch geworden. Hatte er jedoch nichts verkauft, und saß er dann müde in der Schenke oder irgendwo auf der Straße, dann fielen ihm sogleich all die Grobheiten und Rippenstöße der Polizisten, die beleidigenden Redensarten der Käufer, die Schimpfworte und Spöttereien seiner Konkurrenten, der andern Hausierer, ein, und er empfand in seinem Innern ein schmerzliches Gefühl der Unruhe. Seine Augen weiteten sich und schauten tiefer auf den Grund des Lebens, und sein Gedächtnis, das an Eindrücken so reich war, schob immer einen dieser Eindrücke nach dem andern in den Mechanismus seines Denkens hinein. Er sah deutlich, daß alle Menschen dem gleichen Ziele zustrebten wie er selbst, daß sie dasselbe ruhige, satte und saubere Leben begehrten, auf das auch sein Sehnen gerichtet war. Und keiner machte sich ein Gewissen daraus, jeden andern zur Seite zu stoßen, der ihm hinderlich war; alle waren so begehrlich, so mitleidlos und schädigten einander oft ohne jede Notwendigkeit, ohne jeden eigenen Nutzen, nur um des Vergnügens willen, einem andern wehezutun. Zuweilen lachten sie sogar, wenn sie den andern recht tief kränken konnten, und nur selten hatte einer Mitleid mit dem Gekränkten ...

Solche Vorstellungen verleideten ihm seine Beschäftigung. Der Traum von dem sauberen kleinen Laden zerrann in nichts, und er fühlte in seiner Brust eine erschlaffende Schwere. Es schien ihm, daß er bei seinem Handel niemals so viel Geld zusammensparen würde, als zur Eröffnung eines Ladengeschäfts erforderlich war, und daß er bis in sein Alter hinein mit dem Kasten auf der Brust und dem Schmerz, den die Riemen ihm in den Schultern verursachten, auf den staubigen, heißen Straßen der Stadt umherziehen würde. Aber jeder Erfolg in seinem Geschäft weckte von neuem seinen Mut und belebte seine Träume ...

Eines Tages stieß Ilja in einer belebten Straße ganz unverhofft auf Paschka Gratschew. Der Sohn des Schmiedes ging im sicheren Schritt eines sorglosen Spaziergängers den Bürgersteig entlang, die Hände in den Taschen seiner zerrissenen Beinkleider, mit einer blauen, gleichfalls zerrissenen und schmutzigen Bluse angetan. Die Absätze seiner großen, abgetretenen Stiefel klapperten auf den Pflastersteinen, und die Mütze mit dem zerbrochenen Schild saß keck auf dem linken Ohr und überließ die eine Hälfte des kurzgeschorenen Kopfes schutzlos den heißen Sonnenstrahlen, während Gesicht und Hals von einer dicken, fettigen Schmutzschicht bedeckt waren. Schon von weitem hatte er Ilja erkannt und nickte ihm vergnügt zu, ohne im übrigen seine gemächliche Gangart zu beschleunigen.

»Trifft man dich auch mal?« sagte Ilja.

Paschka schüttelte kräftig seine Hand und lachte. Seine Zähne und Augen blitzten munter unter der Schmutzmaske.

»Wie geht es dir denn?« fragte ihn Ilja.

»Wie man's treibt, so geht's. Hat man was zu beißen, dann beißt man zu, und ist nichts da, dann winselt man und liegt krumm ... Ich freu' mich aber, daß ich dich getroffen habe, weiß der Teufel!«

»Warum bist du denn nie mehr gekommen?« fragte Ilja lächelnd.

Es war ihm angenehm, den alten Kameraden trotz seines schmierigen Aufzuges so vergnügt zu sehen. Er sah auf Paschkas schadhaftes Schuhwerk und dann auf seine neuen, blitzblanken Stiefel, die neun Rubel gekostet hatten, und er lächelte selbstzufrieden.

»Weiß ich denn, wo du wohnst?« sagte Paschka.