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Die jungen Leute hörten sich die humorvollen Reden des Schusters an und lachten. Auch Ilja lachte, zugleich jedoch weckten die Reden Perfischkas in ihm einen Gedanken, der ihn lebhaft beschäftigte. Eines Tages fragte er den Schuster mißtrauisch lächelnd:

»Begehrst du wirklich sonst nichts weiter auf der Welt?«

»Wer sagt denn das? Ein Schnäpschen zum Beispiel hab' ich noch nie aufgehört zu begehren ...«

»Nein, sag' mal die Wahrheit! Du mußt doch irgendwas wollen auf der Welt!?« setzte Ilja ihm hartnäckig zu.

»Die Wahrheit möchtest du wissen? Na, also ... eine neue Harmonika will ich ... Eine recht, recht schöne Harmonika wünsch' ich mir ... so für fünfundzwanzig Rubel!«

Er lachte still vor sich hin. Plötzlich jedoch durchzuckte ihn ein Gedanke – er wurde ernst und sagte in überzeugtem Tone zu Ilja:

»N–nein, Bruder – auch 'ne neue Harmonika mag ich nicht ... Denn erstens: ist sie teuer, dann versauf ich sie ganz bestimmt. Und zweitens: wenn es sich herausstellt, daß sie schlechter ist als meine jetzige – was dann? Meine jetzige Harmonika ist nämlich ein wahres Prachtstück! Unbezahlbar ist sie! In ihr hat meine Seele sich einquartiert! Eine wahre Seltenheit ist meine Harmonika – keine zweite von der Art gibt's vielleicht in der Welt ... Eine Harmonika – ist wie 'ne Frau ... Auch 'ne Frau hab' ich gehabt – die war ein Engel und kein Mensch! Und wenn ich jetzt wieder heiraten sollte – wie könnt' ich's denn? Eine zweite solche, wie meine Selige war, find' ich nicht mehr ... An 'ne neue Frau legst du, ob du willst oder nicht, den alten Maßstab an – und wenn sie dir nicht genug ist, kann's schlimm werden, für mich wie für sie! ... Ach, Bruder, nicht das ist gut, was gut ist, sondern das, was einem gefällt ...«

In das Lob, das Perfischka seiner Harmonika spendete, konnte Ilja gleichfalls einstimmen. Perfischkas Instrument rief durch seinen wohlklingenden, zarten Ton bei allen, die es hörten, einmütige Bewunderung hervor. Aber Ilja konnte sich mit dem Gedanken, daß der Schuster sonst keine Wünsche haben sollte, durchaus nicht befreunden. Die Frage stellte sich für ihn klar und scharf also dar: kann ein Mensch sein ganzes Leben lang im Schmutz leben, in Lumpen umhergehen, Branntwein trinken, auf der Harmonika spielen und sonst nichts anderes, nichts Besseres begehren? Er hatte nicht übel Lust, den wunschlosen Perfischka halb und halb als einen Schwachsinnigen zu betrachten. Zugleich beobachtete er diesen sorglosen Menschen stets mit großem Interesse und hatte das Gefühl, daß der Schuster in seinem Herzen besser war als alle übrigen Leute im Hause, wenn er auch ein unverbesserlicher Trunkenbold war.

Zuweilen wagten die jungen Leute sich auch an jene großen und tiefgreifenden Fragen heran, die sich gleich bodenlosen Abgründen vor dem Menschen öffnen und seinen wissensdurstigen Geist wie sein Herz mit Macht in ihre geheimnisvolle Tiefe hinabziehen. Jakow war es stets, der diese Fragen berührte. Er hatte eine sonderbare Gewohnheit angenommen: er mußte sich überall anlehnen, als ob er sich auf seinen Beinen nicht ganz sicher fühlte. Wenn er saß, stützte er sich entweder mit der Schulter an den nächsten besten Gegenstand, oder er hielt sich mit den Händen daran fest. Ging er mit seinem raschen, doch ungleichmäßigen Schritt auf der Straße, so faßte er mit der Hand nach den Prellsteinen, als ob er sie zählte, oder er tastete mit ihr nach den Zäunen, als wollte er ihre Festigkeit prüfen. War er bei Mascha zum Tee, dann saß er stets am Fenster, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und die langen Finger seiner Hände hielten sich am Stuhle öder am Tischrande fest. Den großen, mit feinem, glattem, bastblondem Haar bedeckten Kopf zur Seite neigend, schaute er die Sprechenden an, und die blauen Augen in seinem bleichen Gesichte waren abwechselnd halb geschlossen oder weit geöffnet. Er liebte es immer noch, seine Träume zu erzählen, und konnte niemals den Inhalt eines Buches, das er gelesen hatte, wiedergeben, ohne daß er von sich aus irgend etwas Absonderliches hinzufügte. Ilja tadelte ihn deshalb, Jakow aber machte sich nichts daraus und sagte einfach:

»So, wie ich's erzähle, ist's besser. Nur die Heilige Schrift darf man nicht ändern, wie man will – bei andern Büchern aber ist's erlaubt. Sie sind von Menschen geschrieben – und ich bin doch auch ein Mensch! Ich kann sie verbessern, wenn sie mir nicht gefallen ... Aber sag' mir mal was anderes: wenn du schläfst – wo ist dann deine Seele?«

»Woher soll ich das wissen?« antwortete Ilja, der solche Fragen nicht liebte, da sie in ihm eine ihm peinliche Beunruhigung hervorriefen.

»Ich glaube ganz bestimmt – sie fliegt fort!« erklärte Jakow.

»Natürlich fliegt sie fort«, pflichtete Mascha ihm in überzeugtem Tone bei.

»Woher weißt du das?« fragte Ilja sie streng.

»So ... ich denk' mir's ...«

»Freilich fliegt sie fort«, sagte Jakow nachdenklich lächelnd. »Sie muß doch auch ausruhen ... Davon kommen eben die Träume ...«

Ilja wußte nicht, was er auf diese Bemerkung antworten sollte, und schwieg, obschon er stets den lebhaften Wunsch empfand, dem Freunde zu antworten. Sie schwiegen alle drei eine ganze Weile. In der dunklen Kellerhöhle wurde es gleichsam noch dunkler. Die Lampe schwelte, man roch den Dunst der Kohlen unterm Samowar. Von weitem hallte ein dunkles, sonderbares Geräusch herüber: es war die Schenke, die dort oben heulte und tobte. Und abermals ließ sich Jakows feine Stimme vernehmen:

»Da lärmen nun die Menschen ... und arbeiten ... und so weiter. Das nennt man – leben! Und dann mit einemmal – schwapp! ist der Mensch tot. Was bedeutet das? Wie denkst du darüber, Ilja?«

»Das bedeutet gar nichts ... Sie sind eben alt geworden, da müssen sie sterben ...«

»Es sterben doch auch junge Menschen und Kinder ... Auch gesunde Menschen sterben ...«

»Wenn sie sterben, sind sie eben nicht gesund gewesen ...«

»Und warum leben die Menschen überhaupt?«

»Fragst du aber schlau!« rief Ilja spöttisch. »Sie leben, um zu leben! Sie arbeiten und wollen ihr Glück machen. Jeder Mensch will gut leben, sucht Gelegenheit, vorwärts zu kommen. Alle suchen solche Gelegenheiten, um reich zu werden und behaglich zu leben ...«

»Das tun wohl die Armen. Aber die Reichen? Die haben doch schon alles! ... Was brauchen sie noch zu suchen!«