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»Bist du ein kluger Kopf! Die Reichen! Wenn es, die nicht gäbe – für wen sollten da die Armen arbeiten?«

Jakow dachte nach und fragte:

»Du meinst also, daß alle nur der Arbeit wegen leben?«

»Na, gewiß ... das heißt, nicht alle ... Die einen arbeiten, und die andern – leben einfach so. Sie haben schon früher gearbeitet, haben Geld erspart ... und genießen das Leben.«

»Und wozu lebt man überhaupt?«

»Ach, zum Teufel! Weil man leben will! Willst du vielleicht nicht leben?« rief Ilja, aufgebracht über seinen Freund. Er hätte jedoch kaum sagen können, worüber er eigentlich aufgebracht war – ob darüber, daß Jakow überhaupt nach solchen Dingen fragte, oder darüber, daß er so ungeschickt fragte.

»Warum lebst du selbst denn? Sag' mal, warum?« schrie er auf Jakow los.

»Das weiß ich eben nicht«, versetzte Jakow resigniert. »Ich könnte meinetwegen auch sterben. Schrecklich muß es ja sein ... aber man möchte doch auch wissen, wie es ist.«

Und dann begann er plötzlich im Tone freundschaftlichen Vorwurfs:

»Du ärgerst dich ganz ohne Grund. Denk doch mal nach: die Menschen leben der Arbeit wegen, und die Arbeit geschieht wieder der Menschen wegen ... Das ist gerade, wie wenn man ein Rad dreht ... immer auf derselben Stelle, und warum sich's dreht, kann man nicht begreifen. ... Wo bleibt aber Gott? Er ist doch die Achse von allem! Er sagte zu Adam und Eva: Seid fruchtbar, mehret euch und bevölkert die Erde – aber wozu?«

Und während er sich zu Ilja hinüberbeugte, flüsterte er leise, mit dem Ausdruck des Schreckens in den blauen Augen:

»Weißt du was? Ich glaube, der liebe Gott hat es ihnen auch gesagt, wozu ... Aber da ist einer gekommen und hat die Erklärung geraubt ... Hat sie gestohlen und versteckt ... und das war der Satan! Wer sollte es sonst sein als er? Und darum weiß auch kein Mensch, wozu er lebt ...«

Ilja hörte die zusammenhangslosen Reden des Freundes, fühlte, wie sie seine Seele beschäftigten, und schwieg.

Jakow aber sprach immer hastiger und leiser. Seine Augen traten weit heraus, auf seinem blassen Gesichte zitterte die Angst, und seine Rede ward immer verworrener.

»Was will Gott eigentlich von dir – weißt du es? Aha!« tönte es wie ein Triumphgeschrei aus dem Schwall der von ihm herausgestoßenen Worte. Und von neuem flossen aus seinem Munde zusammenhangslose Worte. Mascha blickte staunend, mit offenem Munde, auf ihren Freund und Beschützer. Ilja runzelte ärgerlich die Stirn. Es war ihm peinlich, daß er Jakows Reden nicht begriff. Er hielt sich für klüger als Jakow, dieser aber hatte ihn durch sein wunderbares Gedächtnis und die Geläufigkeit, mit der er über allerhand höhere Fragen sprach, in Erstaunen gesetzt. Ward er endlich des bloßen Zuhörens überdrüssig und gar zu sehr von dem erdrückenden Nebel befangen, den Jakows Worte in ihm erzeugten, dann unterbrach er ärgerlich den Redner:

»So hör' doch schon auf, zum Teufel! Hast zu viel gelesen, das ist's ... Verstehst selber nicht, was du redest! ...«

»Aber davon sprech' ich ja auch, daß ich nichts verstehe«, rief Jakow verwundert.

»So sag' es doch gerade heraus: ›Ich verstehe nichts‹ – Statt zu schwatzen wie'n Verrückter ... Und ich soll dir zuhören! ...«

»Nein, wart' mal!« redete Jakow weiter. »Eigentlich ist uns doch alles unbegreiflich. Zum Beispiel ... nehmen wir mal die Lampe. Ich sehe, es ist Feuer drin, aber woher ist das Feuer? Mit einemmal ist's da – und dann ist es wieder mit einemmal weg! Du streichst das Zündholz an ... es brennt ... Das Feuer muß also immer darin gewesen sein ... Fliegt es vielleicht unsichtbar in der Luft herum?«

Ilja ließ sich durch diese neue Frage wieder hinreißen. Der verächtliche Ausdruck schwand von seinem Gesichte, und während er die Lampe betrachtete, sagte er:

»Wenn's in der Luft wäre – dann wär's da immer warm. Das Zündholz aber brennt doch auch, wenn Frost ist ... Also ist's nicht in der Luft ...«

»Und wo ist's sonst?« fragte Jakow und sah erwartungsvoll auf seinen Kameraden.

»Im Zündholz ist's!« ließ sich Maschas feine Stimme vernehmen. Bei den wichtigen Erörterungen der beiden Freunde jedoch blieben die Bemerkungen des Mädchens stets unbeachtet. Sie hatte sich schon daran gewöhnt und fühlte sich nicht beleidigt.

»Wo es sonst ist?« schrie Ilja wieder ganz erregt. »Das weiß ich nicht, und ich will's auch gar nicht wissen! Ich weiß nur, daß man die Hand nicht hineinstecken darf, und daß es wärmt, wenn man in seiner Nähe ist. Das ist mir genug ...«

»Sieh doch, wie schlau!« rief Jakow mit lebhaftem Unwillen. »›Ich will's nicht wissen!‹ Das kann ich auch sagen – und jeder Dummkopf kann es ... Nein, erkläre du mir's nur – woher kommt das Feuer? Vom Brot will ich nichts fragen, da ist mir alles klar. Aus dem Korn werden Körner, aus den Körnern Mehl, aus dem Mehl Teig – und das Brot ist fertig. Aber wie wird der Mensch geboren?«

Ilja betrachtete mit Erstaunen und Neid den mächtigen Kopf seines Freundes. Zuweilen, wenn er sich durch Jakows Fragen in die Enge getrieben fühlte, sprang er von seinem Platze auf und stieß grobe Worte hervor. Gewöhnlich zog er sich dann nach dem Ofen hin zurück, lehnte sich mit seiner breiten, stämmigen Gestalt dagegen und sprach, seinen lockigen Kopf schüttelnd und seine Worte scharf betonend:

»Laß mich schon in Ruhe mit deinem ungereimten Zeug! Bist etwas verdreht, das kommt daher, daß du nichts zu tun hast. Was für ein Leben führst du auch? Hinterm Büfett stehen – das ist keine große Kunst! Das ganze Leben wirst du da stehen, wie 'ne Bildsäule ... Müßtest, wie ich, in der Stadt herumwandern, vom Morgen bis zum Abend, Tag für Tag, und dir selbst dein Stück Brot verdienen – dann würdest du über solche albernen Dinge nicht nachdenken! Würdest immer nur darauf sinnen, wie du es zu etwas bringst, wie du dein Glück machst. Davon ist dein Kopf auch so groß, daß all das dumme Zeug sich darin breit macht. Kluge Gedanken sind klein – die treiben den Kopf nicht so auf ...«

Jakow saß da, über den Stuhl vorgebeugt, klammerte sich mit den Händen an dem Tische fest und schwieg. Zuweilen bewegten seine Lippen sich lautlos, und seine Augen blinzelten. Und wenn dann Ilja geendet hatte und sich setzte, begann Jakow von neuem zu philosophieren:

»Man sagt, es soll ein Buch geben, eine Wissenschaft – ›schwarze Magie‹ soll sie heißen. Darin ist alles erklärt ... Dieses Buch möcht' ich mal finden und durchlesen ... Gruselig muß es sein ...«

Mascha hatte sich auf ihr Bett gesetzt und schaute von hier aus mit ihren schwarzen Augen bald den einen, bald den andern an. Dann begann sie zu gähnen, wankte müde hin und her und streckte sich endlich auf ihrem Lager aus.

»Na, 's ist Zeit zum Schlafen«, meinte Ilja.

»Wart' ... ich sag' nur Mascha gute Nacht und lösch' die Lampe aus.«

Als er sah, daß Ilja bereits die Hand nach der Tür ausstreckte, um sie zu öffnen, rief er kläglich:

»So wa–art' doch! Ich fürcht' mich allein ... im Dunkeln ...«

»Ach, bist du ein Kerl!« meinte Ilja geringschätzig. »Sechzehn Jahre bist du alt, und bist immer noch wie'n kleines Kind. Ich hab' vor gar nichts Angst – und wenn mir der Teufel in den Weg käme! Nicht 'nen Mucks gäb' ich von mir.«

Jakow schaute noch einmal, gleich einer besorgten Wärterin, nach Mascha und blies dann die Lampe aus. Die Flamme zuckte auf und verlöschte, und in das Zimmer drang von allen Seiten unhörbar das nächtliche Dunkel. Und stand der Mond draußen am Himmel, dann fiel sein mildes Licht durchs Fenster auf den Fußboden.

X

Einstmals, an einem Feiertag, kam Ilja Lunew ganz blaß, mit verbissenem Gesichtsausdruck, nach Hause und warf sich unausgekleidet auf sein Bett. In seiner Brust lag der Zorn wie ein kalter Klumpen, ein dumpfer Schmerz im Nacken hinderte ihn, den Kopf zu bewegen, und es schien ihm, als ob von der bittern Kränkung, die ihm widerfahren war, der ganze Körper ihm weh täte.