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Durch das Dachfenster drang der Wind auf den Bodenraum und rüttelte an der Tür der Mansarde. Jedesmal, wenn die Tür erzitterte, fuhr Ilja zusammen, vor Angst, daß jemand hereinkommen und ihn ertappen könnte.

»Soll ich nicht die Tür verriegeln?« sagte er.

Matiza nickte schweigend mit dem Kopfe. Sie stellte das Sieb auf die Ofenbank, sah nach dem Bilde der Heiligen und bekreuzte sich.

»Ehre sei Dir, o Heilige – nun ist man wenigstens satt! Ach, wie wenig braucht doch der Mensch!« sagte sie.

Ilja schwieg. Das Weib sah ihn an, seufzte und fuhr fort:

»Und wer viel verlangt, von dem wird auch viel verlangt werden ...«

»Wer wird's von ihm verlangen?«

»Na – Gott, wer sonst?«

Ilja antwortete wiederum nicht. Der Name Gottes, von ihren Lippen kommend, rief in ihm ein jähes, dabei jedoch unklares, nicht in Worte faßbares Gefühl hervor, das seinem sinnlichen Begehren widerstrebte. Matiza stützte sich mit den Armen auf das Bett, hob ihren großen Körper empor und schob ihn an die Wand zurück. Dann sagte sie in gleichgültigem Tone:

»Hab' eben, während ich aß, an Perfischkas Tochter gedacht ... Lange schon denk' ich an sie ... Sie lebt da mit euch zusammen – mit dir und Jakow – das wird nicht gut für sie sein, scheint mir ... Ihr werdet das Mädchen vor der Zeit verderben, dann wird sie auf den Weg geraten, den ich gehe ... Mein Weg ist ein unreiner, ein verfluchter Weg ... und die Weiber und Mädchen, die ihn wandeln, gehen nicht aufrecht wie Menschen, sondern kriechen wie die Würmer ...«

Sie schwieg eine Weile, betrachtete ihre Hände, die auf ihren Knien lagen, und begann dann von neuem:

»Das Mädel ist bald groß. Ich fragte schon unter meinen Bekannten, Köchinnen und andern Weibern, ob nicht irgendwo 'ne Stelle für das Mädel wäre. Nein, es gibt keine Stelle, sagten sie ... verkauf sie lieber! Es wird für sie besser sein, sagten sie ... sie kriegt Geld, kriegt Kleider und – Wohnung ... Es kommt ja vor, das ist richtig ... Mancher Reiche, der schon hinfällig am Körper und dabei noch unflätigen Sinnes ist ... kauft sich, wenn die Weiber ihn nicht mehr lieben mögen, ein junges Mädchen ... Vielleicht hat es das Mädchen sogar gut bei ihm ... Aber es ist doch widerlich, im Grunde genommen ... 's ist besser ohne das ... Besser, sie lebt hungrig und in Ehren, als ...«

Sie begann zu husten, als ob ihr ein Wort in der Kehle steckengeblieben wäre, und mit derselben gleichgültigen Stimme beendete sie ihre Rede:

»... als in Schande und ebenfalls hungrig ...«

Der Wind pfiff noch immer durch die Bodenräume und rüttelte frech an der Tür. Der schläfrige Ton, in dem Matiza sprach, und ihre plumpe, unbewegliche Gestalt wirkten hemmend auf das in Ilja emporkeimende Gefühl und benahmen ihm den Mut, seine Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Matiza stieß ihn immer mehr ab, und er bemerkte das und ward böse auf sie ...

»Gott, mein Gott!« seufzte sie leise. »Heilige Mutter ...«

Ilja rückte ärgerlich auf seinem Stuhl hin und her und sagte finster:

»Nennst dich eine Unreine – und dabei sprichst du immer nur: Gott, Gott! Denkst wohl, Ihm liege was dran, daß du Ihn immer im Munde führst?«

Matiza sah ihn an und schwieg.

»Ich versteh' deine Rede nicht«, sagte sie nach einer Weile kopfschüttelnd.

»Zu verstehen ist da gar nichts«, fuhr Ilja, vom Stuhl aufstehend, fort. »Erst treibt ihr Unzucht, und dann heißt es: O Gott! Wenn du's schon mit Gott halten willst – so laß die Unzucht! ...«

»Was denn?« rief Matiza beunruhigt. »Wie meinst du das? Wer soll denn Gottes gedenken, wenn nicht die Sünder?«

»Das weiß ich nicht, wer sonst«, rief Ilja, der die unbezwingliche Begierde verspürte, dieses Weib, wie überhaupt alle Menschen, recht tief und bitter zu verletzen. »Ich weiß nur, daß es euch nicht zukommt, von Ihm zu reden. Euch ganz gewiß nicht! Ihr nehmt Ihn nur zum Deckmantel für eure Sünde ... Ich bin doch kein Kind mehr ... halt' die Augen offen ... Alle jammern und klagen ... aber warum sind sie so gemein? Warum betrügen und berauben sie einander? Haha! Erst wird gesündigt – und dann geht's in den Betwinkeclass="underline" ›Herr, erbarme Dich!‹ ... Ich durchschau' euch ... ihr Betrüger, ihr Teufel! Betrügt euch gegenseitig, und den lieben Gott dazu ...«

Matiza schaute ihn schweigend an, mit aufgerissenem Munde und vorgestrecktem Halse, und in ihren Augen lag der Ausdruck stumpfsinnigen Staunens. Ilja schritt auf die Tür zu, zog mit einer kräftigen Bewegung den Riegel zurück und ging, die Tür laut hinter sich zuschlagend, hinaus. Er fühlte, daß er Matiza schwer beleidigt hatte, und das war ihm angenehm – es ward ihm leichter ums Herz und klarer im Kopfe. Mit festem Schritt ging er die Treppe hinunter und pfiff dabei durch die Zähne – sein Zorn aber gab ihm immer noch verletzende, harte, Steinen ähnliche Worte ein. Es schien ihm, daß alle diese Worte wie Flammen glühten und das Dunkel seiner Seele erhellten, und daß sie ihm den Weg zeigten, der ihn abseits von den Menschen führte. Und seine Worte galten jetzt nicht mehr jener Matiza allein, sondern auch dem Onkel Terentij, und Petrucha, und dem Kaufmann Strogany – kurz, allen Menschen.

»So steht's!« dachte er, als er wieder auf den Hof gelangte. »Nur nicht viel Umstände mit euch machen ... Gesindel! ...«

Bald nach seinem Besuche bei Matiza trat Ilja zu den Weibern in Beziehung. Das erstemal geschah dies auf folgende Weise. Eines Abends, als er nach Hause ging, sprach ein Mädchen ihn an:

»Willst du mit mir kommen? ...«

Er sah sie an und ging schweigend neben ihr her. Beim Gehen jedoch senkte er den Kopf und blickte sich beständig um, in steter Furcht, daß ein Bekannter ihn sehen könnte. Als sie ein paar Schritte nebeneinander hergegangen waren, sagte das Mädchen in warnendem Tone:

»Du mußt aber einen Rubel zahlen! ...«

»Schon gut!« sagte Ilja, »Gehn wir nur schneller ...«

Und bis zur Wohnung des Mädchens verharrten sie so in Schweigen. Das war alles ...

Die Bekanntschaft mit den Weibern führte jedoch mit einemmal zu großen Ausgaben, und immer öfter sann Ilja darüber nach, daß doch eigentlich sein Hausierhandel nur unnütz seine Zeit aufzehre und ihm nie die Möglichkeit bieten werde, ein behagliches Leben, wie er es wünschte, zu führen. Eine Zeitlang dachte er daran, nach dem Beispiel anderer Hausierer Lotterien zu veranstalten und dabei, wie jene, das Publikum zu betrügen. Bei reiflicher Überlegung jedoch fand er, daß diese Methode doch zu kleinlich und sorgenvoll sei. Er hätte sich entweder vor den Polizisten verstecken oder sie bestechen müssen. Und beides war Ilja zuwider. Er liebte es, allen Menschen gerade und offen in die Augen zu schauen, und empfand eine Genugtuung darin, daß er stets besser angezogen war als die übrigen Hausierer, daß er keinen Branntwein trank und keine Gaunereien verübte, wie die andern. Gemessen und selbstbewußt schritt er durch die Straßen, und sein scharfgeschnittenes Gesicht mit den starken Backenknochen hatte stets einen ernsten, nüchternen Ausdruck. Wenn er sprach, kniff er seine dunklen Augen zusammen, er sprach jedoch überhaupt nicht viel und immer mit Überlegung. Oft träumte er davon, wie schön es doch wäre, wenn er einmal tausend Rubel oder noch mehr finden würde. Alle Diebesgeschichten erregten in ihm ein brennendes Interesse. Er kaufte sich Zeitungen, las mit Aufmerksamkeit alle Einzelheiten der Diebstähle und forschte dann noch lange in den Notizen der Blätter, ob man die Diebe entdeckt hatte oder nicht. Wurden sie abgefaßt, dann war Ilja wütend und schalt sie, indem er zu Jakow sagte:

»Solche Esel! Haben sich erwischen lassen! Hätten's lieber lassen sollen, wenn sie es nicht verstehen ... die Dummköpfe!«

Eines Abends sagte er zu Jakow:

»Die Spitzbuben haben es doch besser in der Welt als die ehrlichen Leute ...«

Jakows Gesicht nahm einen geheimnisvollen Ausdruck an. Seine Augen blinzelten, und er sagte in jenem gedämpften, geheimnisvollen Tone, in dem er stets von außergewöhnlichen Dingen zu reden pflegte: