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Und ich heile mit Branntwein mein Herz so krank,

Meinen Sinn umnebelt der Feuertrank –

Die Gedanken fliehn, es naht mir der Schlummer ...

Vielleicht noch ein Gläschen ... für den Kummer? ...

Und ich trinke noch eins ... Wer schläft, kann's entbehren –

Ich muß mich des Kummers erwehren ...«

Als Gratschew seinen Vortrag beendet hatte, blickte er forschend auf Ilja, ließ dann seinen Kopf noch tiefer sinken und sagte leise:

»Von dieser Art, siehst du, sind sie meistens, meine Verse ...«

Er trommelte mit den Fingern auf dem Tischrand und rückte unruhig auf dem Stuhle hin und her.

Ein paar Sekunden sah Ilja mit durchdringendem Blick auf Gratschew, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck ungläubigen Staunens. In seinen Ohren tönten noch die glattgereimten Worte – es schien ihm kaum glaubhaft, daß dieser magere Knabe mit den unruhigen Augen, in dem alten Baumwollhemd und den schweren Stiefeln, diese Verse gedichtet haben sollte.

»Na, Bruder, lächerlich ist das gerade nicht«, sagte er langsam und nachdenklich, während er Pawel immer noch ansah. »Im Gegenteil, schön ist's ... am Herzen hat es mich gepackt ... wirklich! Sag's doch noch einmal her ...«

Pawel warf rasch den Kopf in die Höhe, sah mit freudigem Blick auf seinen Zuhörer, und während er näher an ihn heranrückte, fragte er ganz leise:

»Nein, wirklich – gefällt es dir?«

»Wie sonderbar du bist ... ich werde doch nicht lügen!«

Pawel deklamierte leise, in melancholischem Tonfall, stockte öfters und seufzte tief, wenn die Stimme ihm versagte. Als er zu Ende war, hatten Iljas Zweifel, daß Pawel selbst der Dichter der Verse sei, sich noch mehr verstärkt.«

»Und die andern?« sagte er zu Pawel.

»Ach, weißt du –« meinte dieser, »ich will lieber mal mit meinem Heft zu dir kommen ... Denn die meisten meiner Gedichte sind lang ... und ich habe jetzt keine Zeit! Ich merk' sie mir auch nicht gut, die Anfänge und Enden verwirren sich mir immer auf der Zunge ... Eins zum Beispiel endet so: ich geh' durch den Wald, zur Nachtzeit, und hab' mich verirrt und bin müde ... Na, und mir wird so bang ums Herz ... ich bin allein ... und nun such' ich einen Ausweg aus meiner Not und klage:

So matt die Füße,

Das Herz so müde,

Keinen Weg ich seh'!

O Mutter Erde,

Willst du mir raten,

Wohin ich geh'?

Ich leg' mich nieder

An deinen Busen

Und horch' und späh' –

Und aus der Tiefe

Ertönt ein Flüstern:

Hier birg dein Weh! ...‹

Hör' mal, Ilja – willst du nicht mit mir kommen? Komm! Ich möcht' noch nicht von dir Abschied nehmen ...«

Gratschew erhob sich hastig, zupfte Ilja am Ärmel und sah ihm freundlich ins Gesicht.

»Gut, ich geh' mit«, sagte Ilja. »Möcht' gleichfalls noch mit dir plaudern ... Die Wahrheit zu sagen: ich weiß noch nicht, ob ich's dir glauben soll, daß du die Verse gemacht hast ...«

»Du glaubst es mir nicht?«

»Wenn's deine Verse sind – dann bist du ein ganzer Kerl!« rief Ilja in aufrichtiger Bewunderung.

»Laß gut sein, Bruder – wenn ich's erst richtig gelernt hab' – dann will ich schon schreiben! Die sollen's zu hören bekommen! ...«

»Recht so! Nimm sie dir ordentlich vor!«

Sie schritten rasch auf der Straße dahin und fingen begierig die hastig hingeworfenen, leidenschaftlichen Worte auf, die sie sich gegenseitig zuwarfen. Immer erregter wurden sie, immer näher traten sie einander. Jeder von ihnen empfand eine tiefe, ehrliche Freude darüber, daß der andere ebenso dachte wie er selbst, und diese Freude hob noch ihre Stimmung. Der Schnee, der in großen Flocken fiel, zerschmolz auf ihren glühenden Gesichtern, setzte sich auf ihren Kleidern fest, hing sich an ihre Stiefel – sie schritten dahin wie in einem trüben Brei, der sich geräuschlos zur Erde senkte.

»Zum Teufel auch!« schalt Ilja, der in eine tiefe Schmutzlache getreten war.

»Halt dich mehr links ...«

»Wohin gehen wir denn eigentlich?«

»Zur Ssidoricha ... Kennst du sie nicht?«

»Doch, ich kenne sie«, sagte Ilja nach kurzem Schweigen und lachte dabei. »Kurz ist der Weg nicht, den wir gehen ...«

»Ach,« sagte Pawel leise – »ich muß eben hin ... hab' da zu tun ... Ich will's dir übrigens erzählen ... wenn es mir auch bitter ist, davon zu reden ... Es handelt sich um ein Mädchen. Na, du wirst sie ja sehen ... Das Herz kann sie einem versengen! ... Sie war Stubenmädchen bei dem Arzte, der mich kuriert hat. Ich holte mir Bücher bei ihm ... Damals, wie es schon besser mit mir ging ... Na, man kam und wartete ... Und da war sie nun ... hüpfte umher und lachte. Wir wurden einig ... sehr rasch ging's, ohne viele Worte. Ach, war das ein Glück ... als wenn der Himmel zu uns herabgekommen wäre ... Wie die Feder ins Feuer – so flog ich auf sie zu ... Wir küßten uns, daß die Lippen uns wund waren – ach! So sauber und niedlich war sie wie ein Spielzeug. Schloß ich sie in die Arme, so war's, als ob sie verschwände! Wie ein Vögelchen war sie mir ins Herz geflogen und sang und sang dort ...«

Er schwieg, und ein seltsamer Laut, wie ein Schluchzen, kam aus seinem Munde.

»Und weiter was?« fragte Ilja, von seiner Erzählung hingerissen.

»Die Frau des Doktors überraschte uns ... Hol' sie der Teufel! War auch ein hübsches Weibsbild, und hatte früher so freundlich mit mir gesprochen ... Na, es gab natürlich einen Mordsspektakel. Wjerka wurde hinausgeworfen, und ausgeschimpft haben sie uns beide ganz gehörig. Wjerka blieb bei mir ... Ich hatte gerade keine Stelle, und wir litten Hunger, verkauften alles bis zum letzten Faden ... Aber Wjerka ist ein Mädel von Charakter ... Sie lief fort, blieb vierzehn Tage lang weg und kam dann wieder ... geputzt wie 'ne Modedame ... hatte Armbänder ... und Geld in der Tasche ...«

Paschka knirschte mit den Zähnen und sagte düster:

»Ich hab' sie durchgeprügelt, ganz gehörig ...«

»Ist sie dir weggelaufen!« fragte Ilja.

»N–nein! ... Wäre sie von mir gegangen, ich hätt' mich ins Wasser gestürzt ... Schlag mich meinetwegen tot, sagte sie – aber prügle mich nicht! Ich weiß, daß ich dir zur Last bin ... Meine Seele, sagt sie, soll keiner haben ...«

»Und was tatest du nun?«

»Was ich tat? Ich schlug sie noch einmal ... und weinte. Was hätt' ich sonst tun sollen? Ernähren konnt' ich sie doch nicht ...«

»Warum nahm sie denn keine neue Stelle an?«

»Der Teufel mag es wissen! Sie meinte – es wär' so besser. Wenn Kinder kämen – was sollten wir mit ihnen anfangen? ... Und so ...«

Ilja Lunew sann eine Weile nach und sagte: »Ein verständiges Mädchen ...«

Paschka ging schweigend ein paar Schritte voraus. Dann wandte er sich jäh um, blieb vor Ilja stehen und sprach mit dumpfer, zischender Stimme: »Wenn ich so dran denke, daß andere sie küssen, dann ist es mir, als ob heißes Blei durch meine Glieder strömte ...«

»Warum läßt du sie nicht laufen?«

»Sie laufen lassen?« rief Pawel höchst erstaunt.

Ilja begriff, als er das Mädchen gesehen hatte, Pawels Erstaunen.

Sie kamen an die Peripherie der Stadt, zu einem einstöckigen Hause. Seine sechs Fenster waren mit dichten Laden fest verschlossen, das gab dem Hause das Aussehen eines langgestreckten, alten Speichers. Der feuchte, weiche Schnee klebte an Dach und Wänden, wie wenn er dieses Haus verbergen wollte.

Paschka klopfte ans Tor und sagte:

»Hier haben sie ihre besondere Einrichtung. Die Ssidoricha gibt ihren Mädchen Quartier und Kost und nimmt dafür fünfzig Rubel von jeder ... Sie hat im ganzen nur vier Mädchen ... Natürlich hält sie auch Wein und Bier feil, und Konfekt ... Im übrigen läßt sie ihre Mädchen machen, was sie wollen: willst du – so geh aus, und willst du nicht ... so bleib zu Hause, nur zahl' dein halbes Hundert monatlich ... Es sind alles prächtige Mädchen ... sie verdienen ihr Geld mit Leichtigkeit ... Eine darunter, Olympiada, nimmt nie weniger als vier Rubel ...«