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»Und wieviel nimmt denn ... deine?« fragte Ilja, während er den Schnee von seinen Kleidern abklopfte.

»Ich weiß es nicht ... billig ist sie auch nicht«, antwortete Gratschew nach einer Weile unwirsch.

Hinter der Tür ließ sich ein Geräusch vernehmen. Ein goldiger Lichtstreifen erzitterte in der Luft.

»Wer ist da?«

»Ich bin's, Wassa Ssidorowna ... Gratschew ...«

»Ach so! ...«

Die Tür ging auf, und eine kleine, dürre Alte mit einer mächtigen Nase in dem welken Gesichte hielt Pawel die Kerze vor das Gesicht, während sie freundlich sagte:

»Guten Tag, Pascha! ... Wjerunka wartet schon lange und ist ganz böse. Wer ist denn da mit dir gekommen?«

»Ein Freund ...«

»Wer ist gekommen?« tönte aus dem dunklen, langen Korridor eine angenehme Stimme.

»Besuch für Wjera«, sagte die Alte.

»Wjera, dein Schatz ist da«, rief dieselbe, hell durch den Korridor klingende Stimme.

Im Hintergrunde des Korridors öffnete sich rasch eine Tür, und in der hell erleuchteten Öffnung erschien die zierliche Gestalt eines Mädchens, ganz in Weiß gekleidet, von einer reichen Fülle blonder Haarsträhnen umwallt.

»Du bleibst ja so lange!« sprach sie schmollend mit einer tiefen Altstimme. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, legte ihre Arme auf Pawels Schultern und schaute mit ihren sanften braunen Augen auf Ilja.

»Das ist mein Freund Ilja Lunew ... Ich hab' ihn getroffen und komme darum etwas später ...« sagte Pawel.

»Seien Sie willkommen!« sagte sie, Ilja die Hand reichend, wobei der weite Ärmel ihres weißen Negligés fast bis zur Schulter zurückfiel. Ilja drückte respektvoll, ohne ein Wort zu sagen, ihr heißes Händchen. Er blickte auf Pawels Freundin mit jenem Gefühl freudiger Überraschung, mit dem man im dichten Walde, mitten im Gestrüpp und Sumpfgehölz, eine schlanke Birke begrüßt. Als sie zur Seite trat, um ihn eintreten zu lassen, ging er gleichfalls auf die Seite und sagte höflich:

»Bitte, nach Ihnen!«

»Welch ein Kavalier!« lachte sie.

Ihr Lachen war angenehm, munter und hell. Pawel lachte gleichfalls und meinte:

»Hast ihm schon den Kopf verdreht, Wjerka ... Sieh doch, wie er dasteht ... wie der Bär vorm Honigtopf!«

»Ist's wahr?« fragte das Mädchen Ilja schelmisch.

»Gewiß!« antwortete dieser lächelnd. »Ganz weg bin ich von Ihrer Schönheit ...«

»Du, hör' mal – verlieb dich bloß in sie! Dann stech' ich dich tot«, drohte Pawel scherzend. Es war ihm angenehm, daß die Schönheit seiner Geliebten auf Ilja einen solchen Eindruck machte, und seine Augen blitzten vor Stolz. Auch sie prahlte in naiver Koketterie mit ihren Reizen, von deren Wirkung sie überzeugt war. Sie trug nichts weiter als ein weites Ärmelleibchen über dem Hemd und einen blendend weißen Unterrock. Das Leibchen stand offen und ließ ihren kernigen, schneeweißen Körper sehen. Um die himbeerfarbigen Lippen ihres kleinen Mundes spielte ein selbstzufriedenes Lächeln; sie schien an sich selbst ihre Freude zu haben, wie ein Kind an einem Spielzeug, dessen es noch nicht überdrüssig ist. Ilja konnte die Augen nicht von ihr losreißen. Er sah, wie sie graziös im Zimmer auf und ab schritt, wie sie das Näschen rümpfte, wie sie lachte und plauderte und dabei zärtlich auf Pawel blickte. Und es ward ihm weh ums Herz bei dem Gedanken, daß er nicht gleichfalls eine solche Freundin hatte. Schweigend saß er da und schaute um sich.

Mitten in dem kleinen, nett aufgeräumten Zimmer stand ein weißgedeckter Tisch; auf dem Tische brodelte lustig ein Samowar, und alles ringsum war frisch und heiter. Die Tassen, die Flasche Wein, der Teller mit Wurst und Brot – alles gefiel Ilja ganz ausnehmend und erregte seinen Neid gegen Pawel. Dieser saß ganz glücklich da und begann, aus dem Stegreif zu reimen:

»Seh' ich dich – ist's, als ob Sonnenschein mir strahlte in mein Herz hinein! Vergessen ist aller Gram und Schmerz, und auf das Glück hofft wieder mein Herz ... Ein schönes Mädchen sein eigen zu nennen – wer mag ein größeres Glück wohl kennen?«

»Mein lieber Paschka, wie schön ist's doch hier!« rief Wjera ganz entzückt.

»Ach, ist's hier heiß! ... He, du – Ilja! Laß das mal! Kannst dich an ihr nicht sattsehen?! Schaff dir doch selber eine an!«

»Aber hübsch muß sie sein«, sagte Wjera mit ganz besonderer Betonung, während sie Ilja in die Augen sah.

»Eine hübschere, als Sie sind, gibt es nicht«, seufzte Ilja und lächelte.

»Reden Sie doch nicht von Dingen, die Sie nicht verstehen!« sagte Wjera leise.

»Er weiß Bescheid«, warf Paschka ein und fuhr dann, zu Ilja gewandt, stirnrunzelnd fort: »Da ist nun hier alles so nett und vergnügt ... und dann fällt einem plötzlich das ein! ... Ins Herz schneidet's einem ...«

»So denk' doch nicht daran«, sagte Wjera und neigte den Kopf über den Tisch. Ilja schaute sie an und sah, wie ihre Ohren sich röteten.

»Du mußt so denken,« fuhr das Mädchen leise, doch bestimmt fort – »wenn's auch nur ein Tag ist, so gehört er doch mir! Mir ist's auch nicht leicht ... Ich will's so halten, wie es im Liede heißt: ›Den Schmerz will tragen ich allein, die Freude soll gemeinsam sein‹.«

Pawel hörte ihre Rede, verharrte jedoch in seiner mürrischen Stimmung. Ilja hätte ihnen gern etwas recht Tröstendes, Ermutigendes gesagt und sprach nach einer Weile:

»Was läßt sich tun, wenn man den Knoten nicht auflösen kann? Wenn ich so recht viel Geld hätte, tausend Rubel vielleicht – ich gäbe sie euch. Da habt ihr! Nehmt sie, bitte, um eurer Liebe willen ... Denn ich seh' und fühle: es ist euch Herzenssache, und die ist immer rein vor dem Gewissen ... Auf alles übrige könnt ihr spucken.«

Ein heißes Gefühl flammte in ihm auf und durchdrang ihn ganz und gar. Er stand sogar vom Stuhl auf, als er sah, wie das Mädchen den Kopf emporhob und ihn mit dankbaren Augen anschaute, während Pawel ihm zulächelte, als ob er erwartete, daß Ilja noch mehr solche Worte sagen würde.

»Zum erstenmal im Leben seh' ich, wie Leute einander lieben«, fuhr Ilja fort ... »Und dich, Pawel, hab' ich heut' erst so recht kennengelernt ... Ich hab' in deine Seele geschaut ... Hier sitz' ich, und ich sag's offen: ich beneide dich ... Und was ... das andere betrifft, so will ich euch was sagen: ich liebe die Tschuwaschen und Mordwinen nicht, sie sind mir zuwider, weil sie triefäugig sind. Aber ich bade doch in demselben Flusse wie sie ... trinke dasselbe Wasser wie sie. Soll ich ihretwegen den Fluß verabscheuen? Gott reinigt ihn doch wieder ...«

»Das stimmt, Ilja! Bist ein Prachtkerl!« rief Pawel mit Leidenschaft.

»Trinken Sie denn auch aus dem Flusse! ...« ließ sich Wjeras Stimme leise vernehmen.

»Wenn ich ihn erst finde!« lachte Ilja. »Vorläufig gießen Sie mir ein Glas Tee ein, Wjera!«

»Sie sind ein prächtiger Junge!« rief das Mädchen.

»Danke recht sehr«, sagte Ilja ernsthaft.

Auf Pawel wirkte diese kleine Szene wie ein Trunk Wein. Sein lebhaftes Gesicht rötete sich, die Augen blitzten begeistert, und er sprang von seinem Stuhl auf, um lustig durchs Zimmer zu rennen.

»Ach, hol' mich der Teufel!« rief er. »Prächtig lebt sich's auf der Welt, wenn die Menschen wie Kinder sind! Hab' meiner Seele eine Freude bereitet, wie ich dich hierher brachte, Ilja! Laß uns trinken, Bruder!«

»Jetzt ist er ganz aus dem Häuschen«, sagte das Mädchen, ihm zärtlich zulächelnd, und wandte sich dann zu Ilja: »So ist er immer – entweder Feuer und Flamme, oder grau, langweilig und boshaft ...«