Es wurde an die Tür geklopft, und eine Stimme fragte:
»Wjera! Darf man eintreten? ...«
»Komm, komm! ... Ilja Jakowlewitsch, das ist meine Freundin Lipa ...«
Ilja stand vom Stuhl auf und wandte sich nach der Tür um: vor ihm stand ein hohes, stattliches Weib und sah ihm mit seinen ruhigen blauen Augen ins Gesicht. Ihre Kleider strömten einen starken Parfümduft aus, die Wangen waren frisch und rot, und ihr Kopf war mit einem kronenartigen dunklen Haaraufbau geschmückt, der ihre Gestalt noch höher erscheinen ließ.
»Ich sitze allein in meinem Zimmer und langweile mich ... und mit einemmal hör' ich bei dir Geplauder und Lachen – na, und da bin ich hergekommen ... Es tut doch nichts, was? Da ist ja ein Kavalier ohne Dame ... ich will ihn unterhalten – wollt ihr?«
Sie stellte mit einer graziösen Bewegung ihren Stuhl neben denjenigen Iljas, nahm darauf Platz und fragte ihn:
»Sie langweilen sich wohl mit denen da – sagen Sie? Die kosen und girren miteinander, und Sie sind neidisch, nicht wahr?«
»Ich langweile mich nicht mit ihnen«, sprach Ilja, durch ihre Nähe verwirrt.
»Schade!« sagte sie ruhig, wandte sich von Ilja ab und fuhr, zu Wjera gewandt, fort:
»Denk mal – ich war gestern zur Messe im Jungfrauenkloster und hab' da eine so hübsche Chornonne gesehen ... Ein herrliches Mädchen! ... Ich mußte sie immer wieder ansehen und dachte im stillen: warum ist die nur ins Kloster gegangen? Wirklich leid tat sie mir ...«
»Warum? Ich würde sie nicht bedauern«, sagte Wjera.
»Ach – wer dir glauben wollte! ...«
Ilja atmete den süßlichen Wohlgeruch ein, der wie eine Wolke dieses Weib umschwebte, er betrachtete sie von der Seite und horchte auf ihre Stimme. Sie sprach mit bewundernswerter Ruhe und Gelassenheit. In ihrer Stimme lag etwas Einschläferndes, und es war, als ob ihre Worte gleichfalls einen angenehmen, starken Duft ausstrahlten ...
»Weißt du, Wjera – ich überlege immer noch, ob ich zu Poluektow gehen soll oder nicht ...«
»Ich kann dir da nicht raten ...«
»Vielleicht geh' ich doch ... Er ist alt ... und reich ... Aber geizig ist er ... Ich will, daß er in der Bank fünftausend Rubel für mich niederlegt, und daß er mir hundertfünfzig Rubel monatlich gibt – und er bietet nur dreitausend und hundert ...«
»Sprich jetzt nicht davon, Lipotschka!« bat Wjera sie.
»Gut, wie du willst«, sagte Lipa ruhig und wandte sich wieder an Ilja: »Nun, junger Mann, plaudern wir ein bißchen ... Sie gefallen mir ... Sie haben ein hübsches Gesicht und ernste Augen ... Was werden Sie mir darauf antworten?«
»Ich? Nichts werde ich antworten ...« sagte er verlegen lächelnd, während er deutlich fühlte, wie dieses Weib ihn mit seinem Zauber umstrickte.
»Nichts? Ach, Sie sind langweilig ... Was sind Sie denn?«
»Hausierer ...«
»Wi–irklich? Und ich dachte, Sie wären Kommis in einer Bank ... oder in einem feinen Magazin. Sie sehen sehr anständig aus ...«
»Ich liebe die Sauberkeit«, sagte Ilja. Es ward ihm bedrückend heiß, und von dem Parfümduft war sein Kopf benommen.
»Sie lieben die Sauberkeit? Das ist nett ... Können Sie leicht erraten? ...«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Haben Sie schon erraten, daß Sie Ihrem Freunde hier im Wege sind – oder nicht?« sagte sie, während sie ihn mit ihren blauen Augen durchdringend ansah.
»Ach so ... na, ich geh' sofort! ...« sprach Ilja verwirrt.
»Warten Sie doch noch! Wjera, darf ich dir diesen Jüngling hier entführen?«
»Meinetwegen – wenn er mit dir geht ...« versetzte Wjera lachend.
»Wohin denn?« fragte Ilja in heftiger Erregung.
»So geh doch mit, dummes Kerlchen!« rief Paschka.
Ilja stand ganz verblüfft da und lächelte zerstreut, die Schöne aber nahm ihn bei der Hand, zog ihn mit sich fort und sagte in ihrer ruhigen Weise:
»Sie sind noch ungezähmt – und ich bin launisch und halsstarrig. Wenn ich mir vornehme, die Sonne auszulöschen, dann steig' ich aufs Dach und werde so lange nach ihr blasen, bis ich den letzten Atemzug ausgehaucht habe ... Jetzt wissen Sie, wie ich bin ...«
Ilja ging Hand in Hand mit ihr, verstand ihre Worte nicht und hörte sie kaum, er fühlte nur, daß sie so warm, so weich und so duftig war ...
XII
Das Verhältnis zu Olympiada, das so unerwartet, rein aus einer weiblichen Laune, entstanden war, nahm Ilja ganz und gar in Anspruch. Es erweckte in ihm ein stolzes, selbstgefälliges Empfinden und brachte ihm gleichsam Heilung für die kleinen Wunden, die das Leben seinem Herzen zugefügt hatte. Der Gedanke, daß ein schönes, nett gekleidetes Weib ihm aus freiem Antrieb seine teuren Küsse antrug und nichts dafür als Entgelt forderte, hob ihn noch mehr in seinen eigenen Augen. Es war ihm, als ob er in einem breiten Strome dahinglitte, von einer ruhigen Woge getragen, die seinen Körper liebkoste.
»Mein Eigensinn!« sprach Olympiada zu ihm, während sie mit seinen Locken spielte oder mit dem Finger über den dunklen Flaum fuhr, der seine Lippe bedeckte. »Du gefällst mir alle Tage besser ... Du hast ein so tapferes, zuversichtliches Herz, und ich sehe, daß, wenn du etwas willst, du es sicher erreichen wirst ... Auch ich bin von solcher Art ... Wenn ich jünger wäre – würde ich dich heiraten, dann würden wir zwei miteinander ein herrliches Leben führen ...« Ilja begegnete ihr mit großer Achtung. Sie erschien ihm so verständig, und es gefiel ihm, daß sie trotz ihres lasterhaften Wandels doch auf sich hielt. Sie betrank sich nicht und gebrauchte keine unflätigen Worte, wie andere Weiber, die er kannte. Ihr Körper war ebenso geschmeidig und kräftig wie ihre volle Bruststimme und ebenso straff wie ihr Charakter. Auch ihre Sparsamkeit, ihre Vorliebe für Sauberkeit und das Geschick, mit dem sie über alles zu reden und allen gegenüber ihren Stolz zu wahren wußte, gefielen ihm sehr. Zuweilen jedoch, wenn er sie besuchte und sie mit bleichem, welkem Gesicht und zerzaustem Haar im Bett antraf, regte sich in ihm ein Gefühl des Ekels. Und wenn er dann hart und finster in ihre trüben, ausgebleichten Augen schaute, brachte er nicht einmal einen Gruß über seine Lippen.
Sie mußte dieses Gefühl wohl begreifen, denn sie hüllte sich dann jedesmal ganz in ihre Bettdecke und sagte zu ihm:
»Geh fort, geh zu Wjera! ... Sag' der Alten, sie soll mir Schneewasser bringen! ...«
Er betrat das saubere Zimmerchen, in dem Pawels Freundin wohnte, und Wjera lächelte schuldbewußt beim Anblick seines finstren Gesichtes. Eines Tages fragte sie ihn:
»Na, Ilja Jakowlewitsch, wie steht's? Wie gefallen wir Ihnen hier?«
»Ach, Wjerotschka, Ihnen kann die Sünde nichts anhaben! ... Wenn Sie nur lächeln, schmilzt sie wie der Schnee ...«
»Ihr tut mir recht leid, ihr beiden armen Jungen«, sagte sie in mitleidigem Tone.
Ilja hatte Wjera recht gern, er bedauerte sie wie ein kleines Kind, war sehr beunruhigt, wenn sie sich mit Pawel zankte, und versöhnte sie jedesmal miteinander. Es machte ihm Vergnügen, in ihrem Zimmer zu sitzen und zuzusehen, wie sie ihr goldenes Haar kämmte oder irgend etwas für sich nähte und dabei leise sang. Öfters bemerkte er in ihren Augen einen zehrenden Kummer, und zuweilen zuckte über ihr Gesicht ein hoffnungsloses, schmerzliches Lächeln. In solchen Momenten gefiel sie ihm noch mehr, er empfand ihr Unglück noch peinlicher und sprach ihr Trost zu, so gut er konnte. Sie aber meinte:
»Nein, nein, Ilja Jakowlewitsch – so kann man nicht leben! ... Ganz unmöglich ist's ... Nun ... ich muß ja schon so weiter leben in dem Schmutz ... Aber Pawel ... was soll der hier bei mir? ...«
Ihre Unterhaltung wurde von Olympiada unterbrochen, die, in einen weiten blauen Mantel gehüllt, geräuschlos wie ein kalter Mondstrahl bei ihnen eintrat.
»Komm Tee trinken, mein Eigensinn! Und später komm auch du herüber, Wjerotschka ...«