Frisch und rosig von dem kalten Wasser, sauber, adrett und ruhig führte sie ohne langes Fragen Ilja in ihr Zimmer, und er folgte ihr und dachte darüber nach, ob es denn wirklich dieselbe Olympiada war, die er vorher ganz welk, von lüsternen Händen besudelt, gesehen hatte.
Während sie Tee tranken, sagte sie zu ihm:
»Schade, daß du gar so wenig gelernt hast ... Da wird's dir schwer fallen im Leben ... Aber jedenfalls mußt du deinen Handel lassen und etwas anderes versuchen ... Wart', ich will eine Stelle für dich suchen ... Du mußt untergebracht werden ... Sobald ich mit Poluektow einig bin, werde ich das machen können ...«
»Gibt er dir wirklich die fünftausend?« fragte Ilja.
»Gewiß gibt er sie«, antwortete sie fest überzeugt. »Na, wenn ich ihn aber mal bei dir treffe – dann reiß' ich ihm den Kopf ab«, rief Ilja eifersüchtig.
»Warte damit wenigstens, bis ich das Geld habe«, meinte sie lachend.
Der Kaufmann tat alles für sie, was sie verlangte. Bald saß Ilja in Olympiadas neuer Wohnung, betrachtete die dicken Teppiche auf dem Boden und die mit dunklem Plüsch überzogenen Möbel. Er lauschte dabei den gesetzten Reden seiner Geliebten. Er bemerkte an ihr keine besondere Freude über die Veränderung ihrer Lage, sie war ebenso ruhig und gesetzt wie immer. »Ich zähle jetzt siebenundzwanzig Jahre,« sagte sie, »wenn ich dreißig bin, werde ich zehntausend Rubel haben. Dann gebe ich dem Alten einen Fußtritt und bin frei ... Bei mir kannst du lernen, wie man das Leben anzufassen hat, mein trotziger Eigensinn!«
Ilja lernte von ihr jene standhafte Ausdauer bei der Erreichung eines vorgesteckten Zieles – zuweilen jedoch quälte ihn bei dem Gedanken, daß er ihre Liebkosungen mit einem andern teilen müsse, ein peinliches Gefühl der Erniedrigung. Dann lebte in ihm wieder mit besonderer Deutlichkeit der Traum von einem Laden auf, von einem sauberen Zimmer, in dem er dieses Weib empfangen würde. Er glaubte nicht, daß er Olympiada liebte, doch schien sie ihm unentbehrlich.
So gingen drei Monate hin ... Eines Tages, als er von seinen Hausiergängen heimkam, begab sich Ilja zum Schuster Perfischka in den Keller und sah mit Erstaunen, daß am Tische vor einer Branntweinflasche Perfischka mit einem glücklichen Lächeln und ihm gegenüber – Jakow saß. Schwer auf den Tisch gestützt, saß Jakow da, wackelte mit dem Kopfe hin und her und sagte unsicher: »Wenn Gott alles sieht – dann sieht er auch mich ... Mein Vater liebt mich nicht, er ist ein Spitzbube! ... Ist's richtig, Perfischka?«
»Ganz richtig, Jascha. Schön ist's nicht, aber richtig ist's«, sagte der Schuster.
»Wie soll ich da leben?« fragte Jakow mit lallender Zunge, während er sein zerzaustes Haar schüttelte.
Ilja stand an der Tür und hörte die trunkenen Reden seines Freundes. Ein peinliches Gefühl beschlich sein Herz. Er sah, wie kraftlos Jakows Kopf auf dem dünnen Halse schwankte, sah das magere, gelbe Gesicht Perfischkas, das von einem seligen Lächeln verklärt war, und er wollte nicht glauben, daß es wirklich Jakow, der stille, bescheidene Jakow war, den er da sah.
»Was treibst du denn hier?« fragte er ihn vorwurfsvoll.
Jakow fuhr zusammen, sah mit erschrockenen Augen in Iljas Gesicht und sagte mit verzweifeltem Lächeln:
»Ach, Ilja ... du bist es! Ich dachte – der Vater ...«
»Was soll das eigentlich, sprich!« unterbrach ihn Ilja.
»Laß ihn in Ruhe, Ilja Jakowlitsch!« rief Perfischka und erhob sich schwankend vom Stuhle. »Er ist in vollem Recht ... Gott sei Dank wenigstens, daß ihm noch der Branntwein schmeckt ...«
»Ilja!« schrie Jakow krampfhaft heraus – »mein Vater hat mich ... geprügelt!«
»So ist's – ich war Zeuge der Sache«, erklärte Perfischka und schlug sich mit der Faust vor die Brust. »Ich hab' alles gesehen ... unterm Eid kann ich's aussagen.«
Jakows Gesicht schien in der Tat geschwollen, und die Oberlippe war blutunterlaufen. Er stand vor dem Kameraden und sagte kläglich lächelnd: »Wie darf man mich denn schlagen?«
Ilja hatte das Gefühl, daß er den Freund weder trösten noch tadeln könne.
»Warum hat er dich geschlagen? ...« fragte er.
Jakow zuckte mit den Lippen, als wenn er etwas sagen wollte, doch schwieg er schließlich. Er nahm seinen Kopf in die Hände und begann laut zu schluchzen, während sein ganzer Körper in Bewegung geriet. Perfischka goß sich ein Glas Branntwein ein und sagte:
»Laß ihn weinen! ... Es ist gut, wenn ein Mensch noch weinen kann ... Auch Maschutka hat was abbekommen ... Ganz in Tränen gebadet war sie ... ›Die Augen kratz' ich ihm aus‹, schrie sie in einem fort. Da hab' ich sie zur Matiza gebracht ...«
»Was ist denn eigentlich vorgefallen?« fragte Ilja.
»Es war 'ne ganz tolle Sache«, sagte Perfischka. »Terentij nämlich, dein Onkel, fing die Musik an ... Mit einemmal sagt er zu Petrucha: ›Laß mich nach Kiew gehen‹, sagt er, ›zu den heiligen Nothelfern!‹ ... Petrucha war damit ganz zufrieden: schon lange sticht ihm der Buckel Terentijs in die Augen, und die Wahrheit zu sagen – er ist froh, daß Terentij geht ... Nicht immer ist ein Mitwisser heimlicher Dinge angenehm! ›Na,‹ sagte er, ›dann geh nur und leg' auch für mich bei den heiligen Nothelfern ein Wörtchen ein‹ ... Und plötzlich fängt Jakow an: ›Laß auch mich gehen‹, spricht er ...«
Perfischka begann die Augen zu rollen, schnitt eine wilde Grimasse und rief, Petrucha nachahmend, mit rauher Stimme:
,»Wa–a–as willst du!' ... ›Zu den Heiligen möcht' ich mit dem Onkel‹ ... ›Wie denn?‹ ... ›Ich möcht'‹, spricht Jakow, ›gleichfalls für dich beten‹ ... Da fängt Petrucha an zu brüllen: ›Ich will dich beten lehren!‹ Und Jakow bleibt immer bei seinem: ›Laß mich gehen! Das Gebet des Sohnes für die Sünden des Vaters ist Gott angenehm‹. Wie ihm da Petrucha eins ins Maul pfefferte ... und noch eins ... und noch eins ...« »Ich kann nicht mit ihm zusammenleben!« schrie Jakow. »Ich häng' mich auf! Warum hat er mich geschlagen? Es kam mir aus dem Herzen, was ich sagte ...«
Ilja ward peinlich berührt von seinem Geschrei, er zuckte ratlos die Achseln und verließ den Keller. Die Nachricht, daß der Onkel eine Pilgerfahrt antreten wolle, war ihm angenehm: geht der Onkel fort, dann wird auch er das Haus verlassen, wird sich ein kleines Zimmerchen nehmen und sein eigner Herr sein ...
Als er seine Kammer betrat, erschien gleich hinter ihm Onkel Terentij. Sein Gesicht hatte einen frohen Ausdruck, seine Augen glänzten lebhaft; den Buckel schüttelnd, kam er auf Ilja zu und sagte:
»Nun, ich geh' also! O Herr! Wie aus einer Höhle tret' ich in Gottes Welt hinaus ...«
»Weißt du schon, was mit Jakow ist? Betrunken hat er sich ...« sagte Ilja trocken.
»Was du sagst! Das ist nicht schön von ihm!«
»Warst du dabei, wie der Vater ihn schlug?«
»Freilich war ich dabei ... Warum?«
»Begreifst du denn nicht, daß er sich eben darum betrunken hat?« fragte Ilja barsch.
»Wirklich darum? Nicht möglich! ...«
Ilja sah klar, daß Jakows Schicksal dem Onkel höchst gleichgültig war, und das verstärkte noch sein feindseliges Gefühl gegen den Buckligen. Er hatte Terentij noch nie so freudig erregt gesehen, und diese Freude des Onkels, so unmittelbar nach Jakows Tränen, berührte ihn ganz seltsam. Er setzte sich an das Fenster und sagte zum Onkeclass="underline"
»So geh doch in die Schenke ...«
»Dort ist Petrucha ... Ich muß mit dir reden ...«
»So? Wovon denn?«
Der Bucklige trat auf ihn zu und sprach geheimnisvolclass="underline"
»Ich breche bald auf. Du bleibst hier allein zurück ... das heißt ...«
»So mach' doch rasch«, sagte Ilja.
»Gleich, gleich ... Ich möchte nämlich ... es ist nicht leicht zu sagen ...« sprach Terentij in gedämpftem Tone, während seine Augen blinzelten. »Ich hab' etwas Geld gespart ...«