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»Geld bekommst du noch? Eine kleine Schuld? Schö–ön, mein Junge ...«

Der Alte nahm plötzlich die Lampe von Iljas Gesicht fort, stellte sich auf die Fußspitzen, brachte sein gelbes, verwittertes Gesicht ganz nahe an Iljas Ohr und fragte ihn leise, mit einem listigen Lächeln:

»Und wo ist denn die Rechnung? Gib mal die Rechnung her!«

»Was für eine Rechnung?« fragte Ilja und trat erschrocken zurück.

»Na, von deinem Herrn?! Die Rechnung für Olympiada Danilowna! Du hast sie doch mitgebracht? Wie? Gib sie mal her! Ich trag' sie ihr hin ... Na, nur rasch, rasch!«

Der Alte rückte Ilja förmlich zu Leibe, während dieser nach der Tür zurückwich. Es ward ihm vor Angst ganz trocken im Munde.

»Ich hab' doch gar keine Rechnung!« sprach er laut und voll Verzweiflung; es war ihm, als ob im nächsten Augenblick etwas Schreckliches geschehen müßte.

In diesem Moment jedoch erschien hinter dem Alten die hohe, stattliche Gestalt Olympiadas. Ruhig, ohne mit der Wimper zu zucken, schaute sie über den Kopf des Greises hinweg auf Ilja und fragte in ihrer gemessenen Weise:

»Was gibt's denn da, Wassilij Gawrilowitsch?«

»Ein Hausierer ist da ... Er sagt, er bekäme von Ihnen noch Geld. Sie haben Bändchen bei ihm gekauft? Haben ihn nicht bezahlt, wie? Da ist er nun jetzt ... und verlangt sein Geld ...«

Er trippelte vor Olympiada hin und her und blinzelte mißtrauisch bald sie, bald Ilja an. Sie schob ihn mit einer gebieterischen Bewegung ihrer rechten Hand zur Seite, fuhr mit derselben Hand in die Tasche ihres Mantels und sagte zu Ilja in strengem Tone:

»Was ist denn das? Konntest du nicht zu einer andern Zeit kommen?«

»Ganz recht!« schrie der Alte mit quiekender Stimme. »So'n Dummkopf, nicht wahr? Kommst, wenn man dich am wenigsten braucht, Esel!«

Ilja stand da wie versteinert.

»Schreien Sie nicht, Wassilij Gawrilowitsch! Es schickt sich nicht!« sprach Olympiada und wandte sich dann zu Ilja: »Wieviel bekommst du doch? Drei Rubel vierzig Kopeken, nicht wahr? Da, nimm!«

»Und mach', daß du fortkommst!« quiekte der Alte von neuem. »Erlauben Sie, ich selbst werde zuriegeln ... ich selbst, ich selbst!«

Er schlug die Schöße seines Schlafrockes übereinander, öffnete die Tür und schrie Ilja an:

»Da, geh! ...«

Ilja stand im Frost vor der verschlossenen Tür und starrte stumpfsinnig nach ihr hin. Er begriff noch nicht recht, ob alles das, was er eben gesehen, nur ein häßlicher Traum oder Wirklichkeit war. In der einen Hand hatte er seine Mütze, mit der andern hielt er das Geld fest, das ihm Olympiada gegeben hatte. So stand er lange da, bis er fühlte, daß der Frost einen Eisreif um seinen Schädel legte und seine Beine vor Kälte starr wurden. Da setzte er seine Mütze auf, steckte das Geld in die Tasche, schob die Hände in die Ärmel des Paletots, zog die Schultern ein und ging mit vorgebeugtem Kopfe langsam die Straße hinunter. Es war ihm, als ob sein Herz erstarrt wäre, und als ob in seinem Kopfe ein paar schwere Kugeln hin und her rollten und gegen seine Schläfen klopften. Vor seinen Augen schwebte die dunkle Gestalt des Alten mit dem gelben, vom kalten Lampenlicht beleuchteten Schädel ...

Das Gesicht dieses Alten lächelte boshaft, listig, triumphierend ...

XIII

Am folgenden Tage schritt Ilja langsam und schweigend in der Hauptstraße der Stadt auf und ab. Beständig sah er vor sich das höhnische Gesicht des Alten, die ruhigen blauen Augen Olympiadas und die Handbewegung, mit der sie ihm gestern das Geld gegeben hatte. In der frostigen Luft jagten sich scharfe, kleine Schneeflocken, die sein Gesicht wie Nadelspitzen trafen ...

Er war soeben an einem kleinen Laden vorübergegangen, der in einer Vertiefung der Straße zwischen einer Kapelle und dem großen Hause eines reichen Kaufmanns versteckt lag. Über dem Eingang zu dem Laden hing ein verrostetes Schild mit der Aufschrift:

»Wechselgeschäft des W.G. Poluektow. Einkauf von altem Gold und Silber, Metallschmuck von Heiligenbildern, Kostbarkeiten jeder Art und alten Münzen.«

Als Ilja an der Tür des Ladens vorüberkam, war es ihm, als ob er hinter den Fensterscheiben das Gesicht eines kahlköpfigen alten Mannes gesehen hätte, das ihn höhnisch angrinste und ihm zunickte. Lunew fühlte einen unwiderstehlichen Drang, sich diesen Alten in der Nähe anzusehen. Einen Vorwand hatte er leicht gefunden: wie alle Kleinkrämer, hob er jede alte Münze auf, die ihm in die Hände fiel, und verkaufte sie an die Wechsler mit einem Aufschlag von zwanzig Kopeken für den Rubel. Auch jetzt steckten ein paar solche Münzen in seinem Beutel. Er kehrte zurück, öffnete keck die Tür des Ladens, trat mit seinem Hausierkasten ein, nahm die Mütze ab und grüßte:

»Wünsch' einen guten Tag!«

Der Alte saß hinter dem schmalen Ladentisch und nahm gerade die Metallbeschläge von einem Heiligenbilde ab, indem er die Nägelchen mit einem kleinen Stemmeisen lockerte. Er war ganz vertieft in seine Arbeit. Mit flüchtigem Blick streifte er den eintretenden Burschen, wandte sich sogleich wieder seiner Arbeit zu und sagte trocken, ohne aufzublicken:

»Guten Tag ... Was ist gefällig? ...«

»Haben Sie mich erkannt?« fragte ihn Ilja.

Der Alte blickte ihn zum zweitenmal an.

»Vielleicht hab' ich dich erkannt ... Was willst du?«

»Sie kaufen doch alte Münzen?«

»Zeig' mal her!«

Ilja schob seinen Kasten auf den Rücken und suchte die Tasche, in der er den Beutel mit den Münzen hatte. Seine Hand vermochte die Tasche jedoch nicht zu finden: sie zitterte gleich seinem Herzen, das in Haß gegen den Alten und in Furcht vor ihm erbebte. Während er mit der Hand unter dem Schoße seines Paletots suchte, schaute er hartnäckig nach dem kahlen kleinen Schädel des Wechslers, und über seinen Rücken lief es wie ein kalter Schauer.

»Na, hast du sie bald?« fuhr ihn der Alte in ärgerlichem Tone an.

»Sogleich! ...« antwortete Ilja leise.

Endlich gelang es ihm, seinen Geldbeutel herauszuziehen; er ging dicht an den Ladentisch heran und schüttete seine Münzen aus. Der Alte überflog sie mit einem Blicke.

»Weiter nichts? ... Hm ...«

Er nahm die Silbermünzen mit seinen dünnen gelben Fingern und betrachtete sie einzeln, wobei er vor sich hinmurmelte:

»Katharina die Zweite ... Anna ... Katharina ... Paul ... noch ein Paul ... ein Kreuzrubel ... ein Zweiunddreißiger ... der Teufel mag die Prägung erkennen! Da – den mag ich nicht, er ist ganz abgegriffen ...«

»Aber man sieht doch nach der Größe, daß es ein Viertelrubel ist«, sagte Ilja grob.

»Für fünfzehn Kopeken nehm' ich ihn ... mehr gibt's nicht!«

Der Alte schob die Münzen auf die Seite, holte mit einer raschen Handbewegung seine Geldkasse hervor und begann in ihr zu suchen. Ilja holte mit dem Arm aus, und seine kräftige Faust traf den Alten gegen die Schläfe. Der Geldwechsler flog gegen die Wand und schlug mit dem Kopfe dagegen, er stemmte sich jedoch sogleich mit der Brust gegen den Ladentisch, hielt sich daran mit den Händen fest und streckte seinen dünnen Hals nach Ilja aus. Lunew sah, wie in dem kleinen, dunklen Gesichte die erschrockenen Augen blinzelten und die Lippen bebten, und er hörte das durchdringende, krächzende Flüstern des Alten:

»Um Gottes willen!... Mein Täubchen!...«

»Ha, du Lump!« rief Ilja leise und preßte mit Ekel den Hals des Alten zusammen. Er würgte und drückte ihn und begann ihn zu schütteln, der Alte aber röchelte und suchte ihn krampfhaft von sich abzuwehren. Seine Augen füllten sich mit Blut, wurden größer und größer und quollen von Tränen über. Die Zunge trat aus dem dunklen Munde hervor und bewegte sich hin und her, als ob sie den Mörder verspottete. Der warme Speichel tropfte auf Iljas Hand, und aus der Kehle des Alten drang ein heiseres, pfeifendes Gurgeln. Die kalten, gekrümmten Finger griffen nach Lunews Halse – er aber biß die Zähne zusammen, warf seinen Kopf zurück und schüttelte den schmächtigen Körper des Alten immer stärker, während er ihn über die Bank emporzog. Und er hätte die unter seinen Fingern knirschende Gurgel des Alten nicht losgelassen, wenn selbst jemand gekommen wäre und von hinten auf ihn losgeschlagen hätte. Voll Haß und Grauen sah er, wie die trüben Augen Poluektows immer größer wurden, und immer leidenschaftlicher, wilder würgte er ihn. Und in dem Maße, wie der Körper des Alten schwerer und schwerer ward, schwand der lastende Druck in Iljas Herzen. Endlich ließ er den Geldwechsler los und stieß ihn von sich, daß der leblose Körper am Ladentisch herunter schlaff zu Boden sank.