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»Vorwärts, du Racker!«

Sein rundes, keckes Gesicht war ganz voll Schmutz und Ruß; auf der Stirn hatte er eine Beule; durch die unzähligen Löcher seines Hemdes schimmerte sein gesunder, kräftiger Körper. Paschka war der schlimmste Raufbold und Krakeeler auf dem Hofe; er hatte den unbeholfenen Ilja schon zweimal tüchtig durchgeprügelt, und als sich Ilja darüber weinend beim Onkel beklagte, zuckte dieser nur mit den Achseln und meinte:

»Was läßt sich da schon tun? Mußt es halt ertragen ...«

»Ich will ihn aber nächstens verhauen, daß er genug hat!« drohte Ilja unter Tränen.

»Tu's nicht!« warnte der Onkel ihn streng. »Das darfst du auf keinen Fall! ...«

»Er darf es also tun – und ich nicht?«

»Er! ... Er ist ein Hiesiger ... und du bist fremd am Ort ...«

Ilja fuhr fort, gegen Paschka heftige Drohungen auszustoßen, aber der Onkel wurde böse und schrie auf ihn los, was bei ihm nur sehr selten vorkam. Da dämmerte in Ilja das Bewußtsein, daß er sich den »hiesigen« Kindern nicht gleichstellen durfte, und während er fortan sein feindliches Gefühl gegen Paschka verheimlichte, schloß er sich noch mehr an Jakow an.

Jakow führte sich stets sehr anständig auf; er prügelte sich nie mit andern Kindern und schrie sogar nur selten. An den Spielen nahm er fast gar nicht teil, doch sprach er gern davon, was für Spiele die Kinder in den Höfen der reichen Leute und im Stadtpark spielten. Unter den übrigen Kindern des Hauses war Jakow, außer Ilja, nur noch mit der siebenjährigen Maschka, der Tochter des Schusters Perfischka, einem zarten, gebrechlichen Mädchen, befreundet. Ihr kleines, dunkles Lockenköpfchen huschte vom Morgen bis zum Abend auf dem Hofe hin und her. Ihre Mutter saß gleichfalls beständig in der Tür, die zum Keller führte. Sie war hochgewachsen, trug einen langen Zopf auf dem Rücken und nähte immer, tief über ihre Arbeit gebeugt. Sobald sie den Kopf erhob, um nach ihrer Tochter auszuschauen, konnte Ilja ihr Gesicht sehen. Es war ein gedunsenes, bläuliches, starres Gesicht – wie das Antlitz einer Toten. Auch ihre gutmütig blickenden schwarzen Augen hatten etwas Starres, Unbewegliches. Nie sprach sie mit jemandem, und auch ihre Tochter winkte sie nur durch Zeichen zu sich heran. Selten nur rief sie mit heiserer, halberstickter Stimme:

»Mascha!«

Anfangs gefiel Ilja irgend etwas an dieser Frau. Als er jedoch erfuhr, daß sie schon seit drei Jahren gelähmt war und bald sterben würde, bekam er Furcht vor ihr.

Einstmals, als Ilja in ihrer Nähe vorüberging, streckte sie den Arm aus, faßte ihn am Ärmel und zog den ganz Erschrockenen zu sich heran.

»Ich bitte dich, mein Sohn,« sagte sie, »sei gut zu unserer Mascha! ...«

Das Sprechen fiel ihr schwer, sie kam ganz außer Atem dabei.

»Sei zu ihr ... recht gut, mein Lieber! ...«

Sie schaute dabei bittend in Iljas Gesicht und ließ ihn dann los. Von diesem Tage an nahm Ilja sich gemeinsam mit Jakow der Schusterstochter ganz besonders an und ließ ihr seinen Schutz angedeihen. Es tat ihm wohl, die Bitte eines Erwachsenen zu erfüllen, um so mehr, als sonst alle großen Leute nur befehlend zu den Kindern sprachen und sie prügelten. Der Droschkenkutscher Makar stieß mit den Füßen nach ihnen und schlug sie mit dem nassen Lappen übers Gesicht, wenn sie beim Reinigen seiner Droschke zusehen wollten. Ssawel war wütend auf alle, die ihm aus Neugier in die Schmiede sahen, und warf mit den Kohlensäcken nach den Kindern. Der Schuster schleuderte jedem, der vor seinem Kellerfenster stehen blieb und ihm das Licht verstellte, den ersten besten Gegenstand, der ihm zur Hand war, an den Kopf ... Zuweilen schlugen sie die Kinder einfach aus Langerweile, oder um mit ihnen zu spaßen. Nur Großvater Jeremjej schlug sie niemals.

Bald kam Ilja zu der Überzeugung, daß das Leben im Dorfe doch angenehmer sei als das Leben in der Stadt. Im Dorfe konnte man hingehen, wohin man wollte, und hier hatte ihm der Onkel verboten, den Hof zu verlassen. Dort ist es geräumiger und stiller, dort haben alle Leute dieselbe, jedem verständliche Beschäftigung – hier dagegen tut jeder, was er will, und alle sind arm, alle essen fremdes Brot und sind halb verhungert.

Eines Tages beim Mittagessen sprach Onkel Terentij tief aufseufzend zu seinem Neffen:

»Der Herbst kommt heran, Iljucha ... Er wird uns beiden den Schmachtriemen anziehen! ... O Gott!«

Er versank in Nachdenken und sah sorgenvoll in seine Schüssel mit Kohlsuppe. Auch der Knabe wurde nachdenklich. Sie aßen beide am dem Tische, auf dem der Bucklige das Geschirr abwusch.

»Petrucha meint, du solltest zusammen mit seinem Jaschka in die Schule gehen ... Es wäre wohl nötig, glaub's schon ... Ohne Bildung ist der Mensch hier wie ohne Augen. Aber da müßtest du neue Schuhe und neue Kleider haben für die Schule ... O Gott, auf dich setz' ich meine Hoffnung!«

Die Seufzer des Onkels und sein trauriges Gesicht machten Ilja das Herz schwer, und er schlug mit leiser Stimme vor:

»Komm, Onkel! Wir wollen von hier fortgehen! ...«

»Wohin denn?« fragte der Bucklige düster.

»Vielleicht in den Wald?!« meinte Ilja und ward plötzlich ganz begeistert von seinem Einfall. Der Großvater hat auch so viele Jahre im Walde gelebt, wie du mir erzähltest! Und wir sind doch zu zweien! Bast könnten wir von den Bäumen schälen ... Füchse und Eichhörnchen könnten wir fangen ... Du schaffst dir eine Flinte an, und ich fange die Vögel in Dohnen. Weiß Gott! Auch Beeren gibt es dort, und Pilze ... Wollen wir hin, Onkel?«

Der Onkel sah ihn freundlich an und fragte lächelnd:

»Und die Wölfe? Die Bären?«

»Wenn wir eine Flinte haben?!« rief Ilja mutig. »Ich werde mich vor wilden Tieren nicht fürchten, wenn ich groß bin! Mit den Händen werde ich sie erwürgen! Ich fürcht' mich auch jetzt schon vor nichts. Hier ist das Leben nicht leicht. Wenn ich auch klein bin – das begreif' ich schon! Hier hauen sie auch viel derber als im Dorfe ... Wenn der Schmied einem ein Kopfstück gibt, brummt der Schädel davon den ganzen Tag! ...«

»Ach du, Waise Gottes!« sagte Terentij weich, legte seinen Löffel fort und ging vom Tische weg.

Am Abend desselben Tages saß Ilja, müde von seinen Entdeckungsfahrten im Hofe, auf dem Fußboden neben dem Tische des Onkels. Er hörte im Halbschlaf ein Gespräch zwischen Terentij und Großvater Jeremjej, der gekommen war, um in der Schenke ein Glas Tee zu trinken. Der alte Lumpensammler hatte mit dem Buckligen innige Freundschaft geschlossen und setzte sich mit seinem Tee stets in die Nähe Terentijs.

»Tut nichts«, hörte Ilja Jeremjejs knarrende Stimme. »Hab' nur immer den einen Gedanken: Gott! Wie Sein Leibeigener bist du ... ein Knecht, heißt es in der Schrift! Er sieht dein Leben. Es wird ein herrlicher Tag für dich kommen, da wird Er zu Seinem Engel sagen: Mein himmlischer Diener, geh hin, erleichtere Meinem treuen Knechte Terentij das Leben! ...«

»Ich vertraue auch auf den Herrn, Großväterchen – was bleibt mir denn sonst übrig?« sprach Terentij leise.

Mit veränderter Stimme, die fast so klang wie die Stimme des Büfettiers Petrucha, wenn er zornig ward, sagte der Alte zu Terentij:

»Ich will dir Geld geben, damit du Iljuschka für die Schule einkleiden kannst ... Will sehen, daß ich's zusammenkratze ... Borgen will ich's dir ... Wenn du mal reich bist, gibst du es mir wieder ...«

»Großväterchen!« rief Terentij leise.

»Halt, sei still! Unterdessen kannst du mir den Jungen lassen – er hat doch sonst hier nichts zu tun. Er kann mir behilflich sein ... statt der Zinsen ... Kann mir 'nen Knochen aufheben, oder ein Stück Lumpenzeug zureichen ... Brauch' dann nicht mehr so oft meinen Rücken zu krümmen, ich alter Mann ...«