Jeremjej legte seine Hände auf die Brust, als wehrte er mit ihnen etwas von sich ab, und suchte hüstelnd den Umstehenden die Bedeutung des Ereignisses darzulegen.
»Schon lange hat der Schwarze es ihm ins Herz geflüstert: Schlag sie doch tot!« sprach er, zu dem Wachtmann gewandt.
»Aber mit der Zange hat doch nicht der Teufel, sondern der Schmied geschlagen«, meinte der Polizist und spuckte aus.
»Und wer hat's ihm eingegeben?« schrie der Alte. »Das zieh mal in Betracht! Wer hat's ihm eingegeben?«
»Sag' mal,« versetzte der Polizist, »in welchen Beziehungen stehst du denn zu dem Schmied? Ist er dein Sohn?«
»Nicht doch, bewahre! ...«
»Aber verwandt bist du sicher mit ihm, was?«
»Nein. Ich hab' gar keine Verwandten ...«
»Warum regst du dich dann so auf?«
»Ich? O Gott ...«
»Ich will dir mal was sagen«, sprach streng der Polizist. »Aus Altersschwäche schwatzt du so ... Mach' lieber, daß du fortkommst!«
Der Wachtmann stieß eine dichte Rauchwolke aus seinem Mundwinkel hervor und wandte dem Alten den Rücken, Jeremjej aber ließ sich nicht abschrecken, sondern sprach immer noch weiter, rasch, weinerlich, mit den Händen fuchtelnd.
Ganz blaß, mit weitgeöffneten Augen war Ilja im Hofe herumgegangen und bei einer Gruppe stehengeblieben, in der sich der Kutscher Makar, der Schuster Perfischka und Matiza mit ein paar anderen Weibern aus den Dachstuben befanden.
»Sie hat sich ja schon vor der Hochzeit mit andern abgegeben, meine Lieben!« meinte eins von den Weibern. »Wahrscheinlich ist auch Paschka nicht Ssawels Sohn, sondern der Sohn eines Lehrers, der beim Kaufmann Malafjejew wohnte ...«
»Meinst du den, der sich erschossen hat?« fragte Perfischka.
»Ganz recht ... Sie hatte sich mit ihm eingelassen ...«
Auch Perfischkas gelähmte Frau war aus dem Keller hervorgekrochen und saß, ganz mit Lumpen umwickelt, an ihrem gewohnten Platz im Kellereingang. Ihre Arme ruhten unbeweglich auf den Knien; sie hatte den Kopf emporgehoben und schaute mit ihren schwarzen Augen zum Himmel auf. Ihre Lippen waren fest zusammengepreßt, die Mundwinkel nach unten verzogen. Ilja schaute bald in die dunkeln Augen der Schustersfrau, bald gleichfalls, wie sie, zum Himmel empor, und er dachte bei sich, daß Perfischkas Weib vielleicht dort oben den Herrgott sehe und ihn schweigend um etwas bitte.
Bald hatten sich alle Kinder des Hauses an dem Kellereingange zusammengefunden. Sie hüllten sich fester in ihre Kleider, saßen dicht beieinander auf den Stufen der Kellertreppe und horchten in angstvoller Neugier auf das, was Ssawels Sohn von der Untat erzählte. Paschkas Gesicht war verstört, und seine sonst so kecken Augen schauten unsicher und verwirrt drein. Doch fühlte er sich als Held des Tages: noch niemals hatten die Leute ihm soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie heute. Wohl zum zehnten Male erzählte er immer wieder dasselbe, und seine Erzählung klang nun schon ganz gleichgültig und mürrisch.
»Wie sie vorgestern wegging,« berichtete er, »da hat der Vater schon mit den Zähnen geknirscht, und von der Zeit an war er in einem fort wütend und brüllte immer. Mich zog er jeden Augenblick an den Haaren ... Ich sah schon was voraus – ja wohl! Und endlich kam sie. Die Wohnung war fest verschlossen – wir waren in der Schmiede, ich stand beim Blasebalg. Mit einemmal seh' ich, wie sie näher kommt und in der Tür steht. Gib den Schlüssel, sagt sie. Der Vater aber nahm die Zange und ging auf sie los ... Ganz leise ging er, wie schleichend ... Ich machte sogar die Augen zu – schrecklich war's! Ich wollt' schon rufen: Lauf weg, Mutter! Aber ich rief nicht ... Wie ich die Augen aufmachte, ging er immer noch auf sie zu. Und seine Augen brannten so! Da wollte sie zurückweichen ... Sie drehte ihm den Rücken zu und wollte weglaufen ...«
Paschkas Gesicht erzitterte, und sein magerer, eckiger Körper begann zu zucken. Tief aufseufzend sog er die Brust voll Luft, atmete dann langsam wieder aus und sprach:
»Da schlug er sie mit der Zange auf den Schädel! ...«
Die Kinder, die bisher unbeweglich gesessen hatten, kamen in Bewegung.
»Sie streckte die Arme aus und fiel hin ... wie wenn sie ins Wasser plumpste ...«
Er nahm ein Spänchen auf, betrachtete es aufmerksam und warf es dann über die Köpfe der Kinder hinweg. Sie saßen alle unbeweglich, als wenn sie von ihm noch irgend etwas erwarteten. Doch er schwieg und senkte den Kopf tief auf die Brust.
»Hat er sie ganz totgeschlagen?« fragte Mascha mit ihrer feinen, zitternden Stimme.
»Dummes Ding!« versetzte Paschka, ohne den Kopf aufzuheben.
Jakow legte den Arm um die Kleine und zog sie dicht an sich heran, während Ilja näher an Paschka heranrückte und ihn leise fragte:
»Tut sie dir leid?«
»Was geht's dich an?« versetzte Paschka böse.
Die Kinder schauten ihn an – schweigend, alle zugleich.
»Sie hat sich immer 'rumgetrieben ...« ließ sich Mascha vernehmen, aber Jakow fiel ihr sogleich eifrig ins Wort:
»'rumgetrieben! ... Was war das auch für'n Mensch, der Schmied! ... Immer so schwarz und brummig – Angst mußte man vor ihm haben ... Und sie war so lustig wie Perfischka ...«
Paschka schaute ihn an und sprach ernst und düster, wie ein Großer:
»Ich sagte ihr immer: Mutter, sagt' ich, nimm dich in acht! Er wird dich totschlagen ... Aber sie hörte nicht. Sie bat mich nur immer, ich sollte ihm nichts sagen. Dafür kaufte sie mir Naschwerk. Und der Feldwebel schenkte mir jedesmal einen Fünfer. Bracht' ich ihm 'nen Brief von ihr, gleich bekam ich meinen Fünfer ... Er ist ein guter Kerl! ... Und so stark ... und 'nen mächtigen Schnurrbart hat er ...«
»Hat er auch einen Säbel?« fragte Mascha.
»Und was für einen!« sagte Paschka, und mit Stolz fügte er hinzu: »Ich hab' ihn mal aus der Scheide gezogen. Ganz zis'liert ist die Klinge!«
»Jetzt bist du also auch eine Waise, wie Iljuschka ...« meinte Jakow nach einer Weile nachdenklich.
»Mag ich's doch sein!« versetzte Paschka unwirsch. »Meinst wohl, ich werde auch unter die Lumpensammler gehen? Da spuck' ich drauf!«
»Das meine ich nicht! ...«
»Ich werde jetzt leben, wie es mir paßt«, versetzte Paschka stolz, während er den Kopf erhob und seine Augen grimmig funkeln ließ. »Ich bin gar keine Waise ... ich stehe nur so ... allein in der Welt. Und ich will auch ganz für mich bleiben. Der Vater wollt' mich nicht in die Schule schicken – und jetzt werden sie ihn ins Gefängnis sperren ... Und ich werde einfach in die Schule gehen und lernen ... noch mehr als ihr!«
»Woher wirst du denn die Kleider nehmen?« fragte ihn Ilja und lachte dabei triumphierend. »In zerrissenen Sachen darfst du da nicht hinkommen!«
»Kleider? Ich werde ... die Schmiede verkaufen.«
Alle blickten respektvoll auf Paschka, und Ilja fühlte sich besiegt. Paschka bemerkte den Eindruck, den seine Worte hervorgebracht hatten, und verstieg sich noch höher.
»Auch ein Pferd werde ich mir kaufen, ein lebendiges, richtiges Pferd! ... Ich werde in die Schule reiten ...«
Dieser Gedanke gefiel ihm so gut, daß er sogar lächelte, wenn es auch nur ein ganz, ganz schüchternes Lächeln war, das flüchtig um seinen Mund zuckte und sogleich wieder verschwand.
»Hauen wird dich jetzt niemand«, sagte plötzlich Mascha zu Paschka, während sie ihn voll Neid betrachtete.
»Werden sich schon Liebhaber finden«, versetzte Ilja in überzeugtem Tone.
Paschka sah ihn an, spuckte wegwerfend zur Seite aus und fragte:
»Was willst du damit sagen? Fang nur mit mir an!«
Von neuem mischte sich Jakow ins Gespräch:
»Wie merkwürdig ist es doch, Kinder! Da lebte also ein Mensch, ging umher und sprach, und so weiter ... war voll Leben, wie alle andern. – Und mit einemmal kriegt er eins mit der Zange über den Schädel – und ist nicht mehr!«