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»Diese Frage hat das Gericht zu entscheiden«, ließ sich Japp vernehmen, und Poirot versuchte es mit freundlichem Zureden.

»Nun seien Sie vernünftig, mein Lieber. Es läuft ja nicht darauf hinaus, daß Sie Jane Wilkinson anklagen; sie ist bereits angeklagt. Und daher dürfen Sie nicht mit dem hinter dem Berg halten, was Sie wissen. Man hat Pflichten gegen die menschliche Gesellschaft, junger Freund.«

Wieder seufzte Martin Bryan, während Poirot dem Inspektor einen auffordernden Blick zuwarf.

»Haben Sie jemals gehört, daß Lady Edgware Drohungen gegen ihren Gatten ausstieß?« begann Japp das Verhör.

»Ja, verschiedentlich. Neulich erst machte sie eine derartige Äußerung in Gegenwart der beiden Herren hier - nicht wahr, Monsieur Poirot?« wandte er sich, um Unterstützung flehend, an meinen Freund.

Poirot nickte wortlos.

»Es ist uns zu Ohren gekommen, daß sie ihre Freiheit wiederhaben wollte, um eine neue Ehe einzugehen. Wissen Sie, wer der betreffende Mann ist?« bohrte der unerbittliche Frager weiter.

»Ja. Der Herzog von Merton.«

»Sieh da, der Herzog von Merton!« Scotland Yards Beamter stieß einen kleinen Pfiff aus. »Hatte hochfliegende Pläne, die Dame. Der Herzog gilt als einer der reichsten Männer Englands.«

Bryan nickte, niedergeschlagener als je.

Mehr und mehr wurde mir Poirots Haltung unverständlich. Er lag weit zurückgelehnt in seinem bequemen Sessel, die Fingerspitzen gegeneinandergepreßt, und die rhythmische Bewegung seines Kopfes erinnerte an den restlosen Beifall eines Menschen, der eine Grammophonplatte ausgewählt hat und jetzt ihren Klang genießt.

»Wollte ihr Gatte sie nicht freigeben?«

»Er weigerte sich hartnäckig.«

»Ist das eine unumstößliche Tatsache?«

»Ja.«

»Und nun«, sagte Poirot, das Wort plötzlich wieder an sich reißend, »hören Sie, wie ich in die Angelegenheit hineingezogen wurde, mein guter Japp. Lady Edgware bat mich, ihren Gatten aufzusuchen und zu einer Scheidung zu überreden. Ich hatte mit Lord Edgware für heute Vormittag eine Unterredung vereinbart.«

»Das wäre vergebliche Mühe gewesen«, warf Martin Bryan ein. »Nie würde er eingewilligt haben.«

»Meinen Sie?« fragte Poirot, ihn mit einem freundschaftlichen Blick umfassend.

»Nie!« wiederholte der andere. »Jane selbst glaubte auch nicht recht an den Erfolg Ihrer Bemühungen. Sie hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Der Mann war ja in bezug auf Scheidung von fixen Ideen besessen.«

Poirot lächelte, und seine Augen nahmen plötzlich eine schillernde grünliche Färbung an.

»Falsch, mein lieber junger Herr«, sagte er mit unverminderter Freundlichkeit. »Ich habe gestern mit Lord Edgware gesprochen, und er setzte der Scheidung keinen Widerspruch entgegen.«

»Sie ... Sie sahen ihn ... gestern?« stotterte Martin Bryan, wie vor den Kopf geschlagen.

»Gestern, um ein Viertel nach zwölf«, erklärte Poirot in seiner kleinlich genauen Art.

»Und er willigte in die Scheidung?«

»Ja. Er willigte in die Scheidung.«

»Das hätten Sie doch Jane umgehend mitteilen müssen!« schrie der junge Mann in bitterem Vorwurf.

»Ist geschehen.«

»Wie?« Einstimmig riefen es Martin Bryan und Japp.

»Nicht wahr, das schwächt den angeblichen Beweggrund zur Tat ein wenig?« lächelte mein Freund. »Und nun, Mr. Bryan, haben Sie die Güte, diese paar Zeilen zu lesen.«

Er zeigte ihm die betreffende Stelle, die Martin ohne sonderliches Interesse überflog.

»Meinen Sie, das sei ein Alibi, Monsieur Poirot? Ich vermute, daß Lord Edgware irgendwann gestern abend erschossen wurde, nicht?«

»Erdolcht, nicht erschossen.«

Bryan ließ das Blatt langsam sinken.

»Jane ging nämlich nicht zu jenem Dinner.«

»Woher wissen Sie das?«

»Irgendwer hat es mir erzählt.«

»Das ist schade!«

»Bei Gott, jetzt könnte man wieder meinen, Sie wünschen die Frau nicht überführt zu sehen, Monsieur Poirot!« rief der Inspektor erregt.

»Friedlich, friedlich, mein guter Japp. Ich bin nicht der Parteigänger, für den Sie mich halten. Aber rundheraus: gegen Ihre Darstellung des Falles empört sich der Verstand.«

»Empört sich der Verstand? Der meinige empört sich nicht.«

Schon sah ich gefährliche Worte auf Poirots Lippen zittern, aber er schluckte sie hinunter. Und ruhig und sachlich führt er aus: »Da haben wir eine junge Frau, die - wie Sie sagen - ihren Gatten loszuwerden wünscht. Diesen Punkt bestreite ich um so weniger, als sie selbst es mir frank und frei eingestand. Eh bien, wie geht sie nun zu Werk ... ? Sie wiederholt vor Zeugen verschiedene Male laut und vernehmlich, daß sie ihn zu töten gedenkt. Hierauf macht sie sich eines Abends auf den Weg nach seinem Haus, nennt dort ihren Namen, ersticht ihn und geht von dannen. Wie bezeichnen Sie das Ganze, mein Freund?«

»Nun, ein bißchen töricht war es ja.«

»Sagen Sie lieber, es ist heillose Dummheit.«

»Meinetwegen«, gab Japp zu, indem er sich erhob. »Die Polizei hat den Vorteil davon, wenn Verbrecher Dummheiten begehen. Jetzt muß ich aber zurück zum Savoy.«

»Gestatten Sie, daß ich Sie begleite?«

Japp sträubte sich nicht, und gemeinsam brachen wir auf. Unten an der Haustür trennte sich Martin Bryan von uns - wenn auch widerwillig. Nervös und inständig bat er, daß wir ihn über die weitere Entwicklung auf dem laufenden hielten.

»Das reinste Nervenbündel!« meinte Japp, als er ihm nachsah; und Poirot schien gleicher Meinung zu sein.

Am Portal des Savoy trafen wir mit einem sehr juristisch aussehenden Herrn zusammen, der nach Janes Appartement fragte und denselben Fahrstuhl wie wir benutzte.

»Na?« erkundigte sich Japp kurz bei einem seiner Leute.

»Sie wünschte zu telefonieren.«

»Und mit wem sprach sie?«

»Modesalon Jay. Wegen Trauerkleidung.«

»Der Teufel hole die Weiber!« knurrte der Inspektor halblaut. Und dann betraten wir den Wohnsalon.

Die verwitwete Lady Edgware probierte vor einem großen Spiegel Hüte und trug ein fließendes, weiß und schwarzes Gebilde der Schneiderkunst.

»Oh, Monsieur Poirot, wie lieb von Ihnen, mich aufzusuchen«, begrüßte sie meinen Freund mit ihrem betörenden Lächeln. »Mr. Mexon«, - dies galt dem Rechtsanwalt -, »ich bin sehr froh, daß Sie da sind. Kommen Sie! Nehmen Sie hier dicht neben mir Platz und sagen Sie mir, welche Fragen ich zu beantworten habe. Jener Mann dort scheint zu glauben, ich sei ausgegangen und hätte George heute morgen getötet.«

»Gestern abend, Madame«, verbesserte Japp. »Gestern abend um zehn Uhr.«

»Ach, gestern abend um zehn?« Janes blaue Augen öffneten sich weit. »Ich dachte, heute morgen.«

»Das wäre nicht gut möglich, weil es jetzt erst elf Minuten nach zehn ist.«

»Elf Minuten nach zehn? Seit Jahren bin ich nicht so zeitig aufgestanden. Dann müssen Sie ja bei Morgengrauen zum erstenmal bei mir vorgesprochen haben, Inspektor. Was aber den gestrigen Abend anbelangt, so befand ich mich auf einer Gesellschaft. Oh ...!« Sie legte in jähem Erschrecken die gepflegte Hand auf den Mund. »Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen.«

Schüchtern suchten ihre Augen den Anwalt.

»Wenn Sie um zehn Uhr gestern abend auf einer Gesellschaft waren, so sehe ich keinerlei Grund, diese Tatsache dem Inspektor zu verheimlichen, Lady Edgware«, beruhigte sie dieser. »Wirklich keinerlei Grund.«

»Nein . ? Dann darf ich wohl auch sagen, daß ich bei Sir Montague Corner war. Ach, Mr. Mexon, Sie ahnen nicht, wie mich dieses rauhe Eindringen der Polizei hier mitgenommen hat! Ich habe einen tiefen Ohnmachtsanfall gehabt.«

»Um wieviel Uhr gingen Sie gestern abend von hier fort, Lady Edgware?« setzte Japp ihren Klagen ein Ende.

»Gegen acht.« Jetzt schien Jane Wilkinson die Scheu vor einer Aussage überwunden zu haben, denn ohne weiteres fügte sie hinzu: »Ich sprach dann ein paar Minuten im Piccadilly vor, um einer amerikanischen Freundin, die nach New York zurückfährt, glückliche Reise zu wünschen. Mrs. van Düsen heißt sie übrigens. Bei Sir Montague werde ich um ein Viertel vor neun eingetroffen sein.«