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»Wie lange bekleidet der Butler sein Amt schon?«

»Sechs Monate. Übrigens ein schöner Bursche.«

»Auffallend schön. Wenn er aber erst sechs Monate dort dient, kann er Lady Edgware nicht erkannt haben, weil er sie zuvor nie gesehen hat.«

»Er kennt sie von den Bildern in den illustrierten Zeitungen. Und die Sekretärin kennt sie auf jeden Fall, da sie ihren Posten bereits fünf oder sechs Jahre innehat.«

»Ah, mein lieber Japp, würden Sie es mir verargen, wenn ich die Sekretärin einmal sprechen möchte?«

»Nicht im geringsten. Warum wollen Sie nicht auf der Stelle mit mir kommen?«

»Mit Vergnügen, mon ami. Ihre Einladung bezieht sich doch hoffentlich auch auf Hastings?«

Japps Mund verzog sich zu einem breiten Lachen.

»Wäre es anders denkbar? Wohin der Herr geht, dorthin folgt ihm der Hund«, erwiderte er, und ich fand, daß seine Bemerkung sich nicht durch allzu großen Takt auszeichnete.

»Das Ganze erinnert mich an den Elisabeth-Canning-Fall«, fuhr der Inspektor fort. »Entsinnen Sie sich, wie auf jeder Seite wenigstens sechzig beschworen, daß sie die Zigeunerin Mary Squires an zwei ganz verschiedenen Orten Englands gesehen hätten? Darunter Zeugen mit einwandfrei gutem Leumund. Und das Frauenzimmer hatte solch eine scheußliche Fratze, daß es kaum eine Doppelgängerin von ihr gegeben haben kann. Nie ist jenes Geheimnis geklärt worden. Und hier in unserem Fall? Da sind eine ganze Schar Leute willens, mit ihrem Eid zu erhärten, daß ein und dieselbe Frau gleichzeitig an zwei verschiedenen Plätzen weilte. Wer von ihnen spricht nun die Wahrheit?«

»Das müßte sich doch mit Leichtigkeit feststellen lassen!«

»Sie haben gut reden, Monsieur Poirot! Aber diese Sekretärin - Miss Carroll - kennt Lady Edgware unbedingt. Ich will sagen, sie lebte Tag für Tag mit ihr im gleichen Haus, und ein Irrtum ist daher ziemlich ausgeschlossen.«

»Das werden wir bald sehen.«

»Wer erbt den Titel?« mischte ich mich ein.

»Ein Neffe, Hauptmann Ronald Marsh. Soll eine etwas verschwenderische Ader haben, wie ich hörte.«

»Und wie lautet das ärztliche Gutachten hinsichtlich der Todesstunde?« nahm Poirot wieder das Wort.

»Ein abschließendes Urteil kann erst die Autopsie ergeben. Man muß sehen, wieweit das Dinner schon in den Bauch gerutscht ist, verstehen Sie?« Zu meinem Bedauern bin ich genötigt, einzugestehen, daß Japps Art, die Dinge zu schildern, auf Feinheit keinen Anspruch erheben durfte. »Aber zehn Uhr paßt sehr gut zu dem vorläufigen Befund«, ergänzte er. »Einige Minuten nach neun, als er vom Tisch aufstand und der Butler Whisky und Soda in die Bibliothek hinübertrug, ist Lord Edgware zuletzt lebend gesehen worden. Da um elf das Licht nicht mehr brannte, muß er zu dieser Stunde tot gewesen sein. Er würde sicherlich nie im Dunkeln gesessen haben.«

Poirot nickte stumm, und ein wenig später fuhren wir von neuem nach jenem palastartigen Haus, dessen Jalousien jetzt herabgelassen, waren.

Wieder öffnete uns der schöne Butler.

Japp, der sich als Führer fühlte, ging voraus. Poirot und ich folgten. Die Tür schlug nach links auf, so daß der Butler beim Zurücktreten an dieser Seite stand. Poirot schritt rechts von mir, und infolge seiner Kleinheit wurde der Butler seiner erst ansichtig, als wir in die Halle traten. Ich, der ich mich dicht neben ihm befand, hörte plötzlich einen jähen, unregelmäßigen Atemzug, fast ein Aufjapsen, und gewahrte, wie der Mann in unverkennbarer Furcht auf das Gesicht des kleinen Belgiers starrte. Aber mir fehlte die Zeit, über diesen Zwischenfall nachzudenken, denn Japp, der schnurstracks ins Speisezimmer spazierte, rief den Butler zu sich.

»Alton, ich möchte die einzelnen Tatsachen noch einmal sorgfältig mit Ihnen durchgehen. Also um zehn Uhr kam die Dame?«

»Die gnädige Frau? Ja, Sir.«

»Wieso haben Sie sie erkannt?« wollte Hercule Poirot wissen.

»Sie nannte ihren Namen, Sir. Außerdem aber habe ich sie oft in den Zeitungen abgebildet gesehen, und einmal wohnte ich einer Vorstellung bei, in der sie auftrat.«

»Wie war sie gekleidet?«

»In Schwarz, Sir. Eine schwarze Straßentoilette und einen kleinen schwarzen Hut. Dazu eine Schnur Perlen und graue Handschuhe.«

Poirot blickte fragend zu Japp hinüber. »Weißes Taffetabendkleid und Hermelin-Cape«, sagte der letztere beißend.

Der Butler führte seine Schilderung zu Ende, und sie stimmte genau mit dem überein, was Japp uns bereits mitgeteilt hatte.

»Empfing Ihr Herr an jenem Abend noch einen anderen Besuch?« forschte mein kleiner Freund. »Nein, Sir.«

»Wie war die Haustür gesichert?«

»Sie hat ein Yale-Schloß, Sir. Überdies schiebe ich um elf, bevor ich zu Bett gehe, die Riegel vor. Vergangenen Abend besuchte Miss Geraldine indes die Oper, so daß ich nicht abriegelte.«

»Und heute morgen?«

»Da war sie verriegelt, weil Miss Geraldine bei ihrer Heimkehr die Riegel vorgeschoben hatte.«

»Ist Ihnen bekannt, um wieviel Uhr sie heimkehrte?«

»Ich denke, ungefähr ein Viertel vor zwölf, Sir.«

»Wie viele Hausschlüssel sind vorhanden?«

»Der gnädige Herr hatte seinen eigenen; ein zweiter wurde in einer Schublade in der Halle aufbewahrt. Ob es außer diesen beiden noch mehr gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Miss Carroll läutet jedenfalls immer.«

Hercule Poirot gab zu verstehen, daß er keine weiteren Fragen zu stellen wünschte, und wir begaben uns auf die Suche nach der Sekretärin.

Emsig schreibend saß sie vor einem riesigen Tisch. Eine angenehme Erscheinung, etwa fünfundvierzig Jahre alt. Ihr blondes Haar begann zu ergrauen, und durch die Brille betrachteten uns ein Paar kluge blaue Augen. Als sie sprach, erkannte ich sofort die klare, sachliche Stimme, die ich tags zuvor am Telefon gehört hatte.

»Ah, Monsieur Poirot!« sagte sie. »Mit Ihnen traf ich gestern morgen die Verabredung, nicht wahr?«

»Sehr richtig, Mademoiselle.«

Mir schien, daß Freund Poirot einen günstigen Eindruck von ihr gewann, und auch ich traute ihr absolute Zuverlässigkeit zu.

»Nun, Inspektor Japp, was kann ich noch für Sie tun?« fragte sie jetzt.

»Mir bestätigen, daß die gestrige Besucherin Lady Edgware war.«

»Das bestätige ich Ihnen bereits zum dritten Male. Ja, sie war es, Inspektor. Darüber kann gar kein Zweifel herrschen. Ich sah sie mit meinen eigenen Augen.«

»Wo haben Sie sie gesehen, Mademoiselle?«

»In der Halle. Sie wechselte ein paar Worte mit dem Butler, durchschritt dann die Halle und betrat die Bibliothek.«

»Und wo standen Sie selbst?«

»Ich schaute vom ersten Stock herunter.«

»Mademoiselle, Sie wagen mit unbedingter Sicherheit zu behaupten, daß Sie nicht das Opfer eines Irrtums wurden?«

»Ja, das wage ich. Ich sah ihr Gesicht ganz deutlich.«

»Und es täuschte Sie keine Ähnlichkeit?«

»Nein. Jane Wilkinsons Züge sind einzigartig. Sie war es -glauben Sie es mir.«

Japp warf Poirot einen Blick zu, der in Worte gefaßt etwa besagt haben würde: »Na, da haben Sie es!«

»Hat Lord Edgware irgendwelche Feinde?« fragte mein Freund.

»Unsinn!« entschied Miss Carroll.

»Unsinn? Wieso, Mademoiselle?«

»Feinde! Heutigentags haben die Leute keine Feinde. Zum mindesten bei uns in England nicht!«

»Nichtsdestoweniger wurde Lord Edgware ermordet.«

»Das tat seine Gattin.«

»Eine Gattin ist kein Feind, eh?«

»Ah, ich bin sicher, daß sich so etwas in unserer Gesellschaftsschicht bislang noch nie ereignet hat!«

Nach Miss Carrolls Ansicht wurden Morde offenbar nur durch betrunkene Angehörige der unteren Klassen verübt.

»Wie viele Hausschlüssel sind vorhanden?«

»Zwei«, erwiderte Miss Carroll prompt. »Lord Edgware pflegte den einen immer in der Tasche zu haben, während der andere in der Halle liegt. Einen dritten Schlüssel verlor liederlicherweise Hauptmann Marsh seinerzeit.«