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Hercule Poirot nickte.

»Ja. Und es bestätigt meine Theorie. Allerdings will ich Ihnen nicht verhehlen, daß ich auf eine reichere Ausbeute gehofft hatte. Ich rechnete, Miss Adams würde, als Frau, ihrer besten Freundin das Geheimnis enthüllt haben.«

»Nein, sie hat all meinem Drängen widerstanden und mir lachend erklärt, daß ich mich noch ein bißchen gedulden müsse; bis ich mehr erfahren könne.«

Poirot ritzte mit dem Daumennagel Linien in das Tischtuch.

»Sie kennen den Namen Lord Edgware, Mademoiselle?« fragte er, plötzlich von seinem Linienwerk aufblickend.

»Wie? Der Mann, der ermordet wurde? Auf einer Polizeibekanntmachung las ich vor einer halben Stunde den Namen.«

»Ja, den meine ich. Wissen Sie, ob Miss Adams mit ihm bekannt war?«

»Ich glaube nein. Aber ... Oh, warten Sie eine Minute. Mein Gott, wie war das doch?« Jenny Driver rieb sich mit beiden Händen die Stirn, als vermöchte sie dadurch ihrem Gedächtnis zu helfen. »Halt, jetzt habe ich's. Sie erwähnte den Namen einmal, in äußerster Erbitterung.«

»Erbitterung?«

»Ja. Sie sagte, daß es solchen Menschen unterbunden werden müsse, durch ihre Grausamkeit und ihren Mangel an Verständnis das Leben anderer Leute zu ruinieren. Und weiter, daß er ein Mann sei, dessen Tod für all und jeden eine Wohltat bedeuten würde.«

»Wann machte sie diese Äußerung, Mademoiselle?«

»Oh, vielleicht vor einem Monat.«

»Und wie kam sie darauf zu sprechen?«

Wieder strengte Jenny Driver einige Minuten ihr Hirn an, um schließlich resigniert den Kopf zu schütteln.

»Ich kann mich nicht mehr darauf besinnen, Monsieur Poirot. Möglicherweise durch eine Zeitungsnotiz .? Aber wie gesagt -da läßt mich mein Gedächtnis im Stich. Nur so viel weiß ich noch, daß ich mich wunderte, wie die beherrschte Carlotta so leidenschaftlich einen Menschen verdammte, den sie gar nicht kannte.«

»Das ist auch verwunderlich«, gab Poirot zu. Und dann fragte er: »Pflegte Miss Adams eigentlich Veronal zu nehmen?«

»Nicht, daß ich wüßte.«

»Und haben Sie jemals eine goldene Dose mit den Buchstaben C. A. aus Rubinen bei ihr gesehen?«

»Eine goldene Dose? Nie, nie!«

»Ist Ihnen zufällig bekannt, wo Miss Adams sich im vergangenen November aufhielt?«

»Ende November fuhr sie nach Amerika zurück, nachdem sie vorher in Paris gewesen war.«

»Allein?«

»Natürlich allein! Ich möchte wissen, warum alle Welt bei der Erwähnung von Paris immer gleich das Schlechteste annimmt? Sie kennen es doch wahrscheinlich zur Genüge, um mir beizustimmen, daß es eine durchaus ehrbare, solide Stadt ist, Monsieur Poirot. Und außerdem ist Carlotta nie das leichtsinnige Mädchen gewesen, das Ihnen im Augenblick wohl vorschwebt.«

Mein Freund ließ diese Strafpredigt mit engelhafter Geduld über sich ergehen und stellte gleich darauf eine neue Frage:

»Mademoiselle, nun noch etwas Wichtiges: Gab es in Miss Adams' Leben irgendeinen Mann, der sie besonders fesselte?«

»Darauf heißt die Antwort nein«, sagte Jenny langsam. »Solange ich Carlotta kenne, ging sie auf in ihrer Arbeit und in der Liebe zu ihrer kleinen Schwester. Die Idee, daß sie das Familienhaupt sei, auf dessen Schultern Verantwortung und Pflichten ruhten, beherrschte sie fortwährend. Also streng genommen, muß ich Ihnen antworten: nein. Ist Ihnen mit bloßen Vermutungen gedient, Monsieur Poirot? Dann will ich Ihnen aber gestehen, daß ich in letzter Zeit manchmal stutzte, weil sie mir im Wesen etwas verändert vorkam. Nicht eigentlich verträumt . eher zerstreut. Ach, ich kann das nicht mit dürren Worten erklären. Es ist eben das, was eine andere Frau nur rein gefühlsmäßig empfindet - und es mag auch sein, daß ich mich täuschte.«

Poirot nickte.

»Ich danke Ihnen, Mademoiselle. Ah ... nun muß ich Sie mit noch einer Frage belästigen. Gab es unter Miss Adams' Freunden eine Person, deren Name mit D beginnt?«

»D?« sprach Miss Driver ihm nach. »D? Tut mir leid. Ich kenne keinen.«

11

Ich glaube nicht, daß Poirot eine andere Antwort auf seine Frage erwartet hatte, und dennoch schüttelte er traurig den Kopf und starrte geistesabwesend vor sich hin.

Jenny Driver, die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, gönnte ihm Zeit, aber nach einer geraumen Weile sagte sie: »Bekomme ich nun auch etwas zu hören?«

»Mademoiselle, Sie haben mir mit solch klugem Verständnis geantwortet, daß ich Ihnen vor allem erst mal meine Hochachtung aussprechen muß. Wahrlich, Sie sind klug, Mademoiselle. Wenn Sie mich nun fragen, ob Sie etwas zu hören bekommen, so erwidere ich: leider nicht sehr viel. Einige wenige nackte Tatsachen will ich Ihnen indes erzählen.«

Er schwieg und fuhr nach ein paar Sekunden im Ton eines sachlichen Berichterstatters fort:

»Gestern abend wurde Lord Edgware in seiner Bibliothek ermordet. Um zehn erschien eine Dame, von der ich vermute, daß es Ihre Freundin gewesen ist, verlangte Lord Edgware zu sprechen und stellte sich selbst als Lady Edgware vor. Sie trug eine goldhaarige Perücke und war mittels raffinierter Toilettenkünste bis zum Verwechseln Lady Edgware ähnlich, deren Bühnenname, wie Sie wissen werden, Jane Wilkinson lautet. Miss Adams - sofern sie es war blieb nur kurze Zeit; schon knapp zehn Minuten nach zehn verließ sie das Haus in Regent Gate wieder, aber kehrte desungeachtet erst nach Mitternacht heim, wo sie sich, nach dem Einnehmen einer Überdosis Veronal, zur Ruhe begab. Jetzt wird Ihnen vielleicht Sinn und Zweck meiner vielen Fragen klar, Mademoiselle.«

Jenny atmete tief auf.

»Ja«, sagte sie. »Und ich glaube, daß Sie mit Ihrer Ansicht das Richtige getroffen haben. Ich meine, daß die abendliche Besucherin Carlotta gewesen ist. Denn erstens kaufte sie sich gestern bei mir einen Hut, und zweitens hob sie ausdrücklich hervor, daß sie einen brauche, der die linke Seite ihres Gesichtes schütze.«

Hier muß ich ein paar erklärende Worte einschalten, da ich nicht weiß, wann dieses Buch gelesen werden wird. Ich habe im Wandel der Zeit mancherlei Hutmoden erlebt - die Glocke, die das Gesicht der Trägerin so restlos beschattete, daß man bei dem Versuch, eine Freundin zu erkennen, in Verzweiflung geriet. Den nach vorn geneigten Hut, den Hut, der verwegen auf der Spitze einer ausladenden Haarfrisur schwebte, das Barett, die Toque und manche andere Spielarten. In diesem Junimonat glich der Hut einem umgekehrten Suppenteller, klebte auf einem Ohr und gab die andere Seite des Gesichts und des Haares der Besichtigung preis.

»Gewöhnlich werden diese Hüte auf der rechten Kopfhälfte getragen, nicht?« warf mein in Modesachen ziemlich beschlagener Freund hin, worauf die kleine Modistin bestätigend nickte.

»Immerhin führen wir stets auch etliche Formen für die linke Seite«, erläuterte sie. »Weil es nämlich Damen gibt, die ihr rechtes Profil hübscher finden als das linke oder die den Scheitel unentwegt über dem linken Auge münden lassen. Haben Sie denn irgendeine Vermutung, weshalb Carlotta entgegen ihrer sonstigen Haartracht jene Gesichtshälfte verdunkelt wünschte?«

Ich entsann mich sofort, daß die Tür von Lord Edgwares Haus nach links aufging, so daß der Butler jeden Eintretenden von dieser Seite deutlich sehen mußte. Und des weiteren entsann ich mich, daß Jane Wilkinson (zufällig hatte ich es neulich abend bemerkt) ein winziges Mal unweit des linken Augenwinkels hatte.

Aufgeregt teilte ich meine Beobachtung den beiden mit, und Poirot gab mir recht.

»So verhält es sich, ja, ja. Vous avez parfaitement raison, Hastings. Das erklärt den Kauf des linksseitigen Hutes.«

»Monsieur Poirot.« Kerzengerade saß das kluge kleine Person dien plötzlich. »Sie können doch nicht eine Sekunde nur daran denken, daß Carlotta ihn ermordete? Nicht wahr, das denken Sie nicht, trotzdem sie so erbittert von ihm sprach?«