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»Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Sie mich nicht im mindesten gelangweilt haben«, ergriff Poirot endlich das Wort, »aber da Sie so liebenswürdig sind, möchte ich noch eine kleine Frage stellen.«

»Bitte.«

»Seit wann, Lord Edgware, kennen Sie Carlotta Adams?«

Daß sich die Frage auf diese Künstlerin beziehen würde, hatte der junge Herr bestimmt nicht erwartet. Er richtete sich aus seiner nachlässigen Haltung auf und sah meinen Freund mit einem gänzlich neuen Ausdruck an.

»Warum wollen Sie das wissen? Was hat es mit dem zu schaffen, was wir hier erörtern?«

»Ich bin ein bißchen neugierig veranlagt - das ist alles. Im übrigen aber haben Sie alles so ausführlich erklärt, daß es keiner weiteren Frage meinerseits bedarf.«

Ronald streifte ihn mit einem raschen Blick. Es war beinahe, als ob er Poirots freundlicher Nachgiebigkeit nicht traute, als ob er ihn lieber argwöhnisch gesehen hätte.

»Carlotta Adams?« begann er seinerseits. »Warten Sie mal -nun, ein Jahr oder etwas länger werde ich sie kennen. Richtig, anläßlich ihres vorjährigen Gastspiels wurden wir bekannt.«

»Sie kennen sie gut?«

»Ziemlich. Miss Adams gehört nicht zu den Mädchen, die man im Handumdrehen kennenlernt; sie ist zurückhaltend und verschlossen.«

»Aber Sie mögen sie gern?«

Der junge Lord Edgware warf ihm einen abermaligen prüfenden Blick zu.

»Wenn ich nur wüßte, was Sie eigentlich die junge Dame angeht? Etwa, weil ich neulich abends mit ihr zusammen war? Ja, ich mag sie sogar sehr gern. Sie hat eine liebe Art, hört einen Menschen an und gibt ihm das Gefühl, daß er letzten Endes doch etwas taugt.«

Poirot nickte.

»Das verstehe ich. Dann werden Sie um so betrübter sein.«

»Betrübter?«

»Wenn Sie die Nachricht hören ...« »Welche Nachricht?« unterbrach Ronald wiederum.

»Daß sie tot ist.«

»Was?« Mit einem Satz war der junge Mann auf den Füßen. »Carlotta tot? Ah, Monsieur Poirot, Sie erlauben sich einen Scherz! Carlotta war, als ich sie das letztemal sah, vollkommen wohl!«

»Wann haben Sie sie zum letztenmal gesehen?« fragte Poirot.

»Vorgestern.«

»Tout de meme, sie ist tot.«

»Um Gottes willen, wie denn? Ein Straßenunfall? Überfahren?«

Poirot betrachtete die getäfelten Felder der Decke.

»Nein. Sie nahm eine Überdosis Veronal.«

»Das arme kleine Ding! Wie furchtbar!« Lord Edgware legte, wie betäubt, die Hand über die Augen.

»N'estcepas?«

»Tot, jetzt, da sich alles so gut anließ? Sie wollte ihre kleine Schwester zu sich kommen lassen und hatte noch hundert andere Pläne. Verdammt, das nimmt mich mehr mit, als ich Ihnen sagen kann.«

»Ja, es ist unsäglich traurig, zu sterben, wenn das Leben verheißungsvoll vor einem liegt. Glauben Sie, auch mich bekümmert es, wenn ich die Jugend ihres Rechts zu leben beraubt sehe, Lord Edgware. Ah, das greift mir sogar ans Herz . Und nun sage ich Ihnen Lebewohl.«

»Oh . oh . « Ronald nahm ziemlich verwirrt die ihm gebotene Hand. »Leben Sie wohl, Monsieur Poirot.«

Als ich die Tür öffnete, prallte ich fast mit Miss Carroll zusammen.

»Man hat mir gesagt, daß Sie noch nicht fort seien. Und da ich noch gern ein paar Worte mit Ihnen reden möchte, wollte ich Sie bitten, mit auf mein Zimmer zu kommen.«

»Selbstverständlich, Mademoiselle.«

»Es betrifft das Kind . die Geraldine«, ergänzte sie, während wir die Schwelle ihres Heiligtums überschritten. »Was hat sie für einen Unsinn geschwatzt ...! Widersprechen Sie nicht, Monsieur Poirot. Unsinn nenne ich es, und Unsinn war es.«

»Ihre Nerven gaben nach«, begütigte Poirot.

»Ja, gewiß. Um ehrlich zu sein: Sie hat wenig frohe Stunden in ihrem Leben gekannt. Lord Edgware übte in bezug auf Geraldine eine Schreckensherrschaft aus. Er war nicht der Mann, dem man die Erziehung eines Kindes hätte anvertrauen dürfen; er fühlte sich nur wohl, wenn er Angst und Furcht um sich verbreitete, und genoß es mit geradezu krankhaftem Vergnügen.«

»Das deckt sich mit dem Eindruck, den er auf mich machte, Mademoiselle.«

»Ah, dann werden Sie also nicht glauben, daß ich übertreibe? Ein außerordentlich belesener Mann, mit einem Verstand, der den Durchschnitt weit überragte . und dennoch! Wenn ich selbst unter dieser Schattenseite seines Wesens auch nicht zu leiden hatte, so darf ich sie doch nicht leugnen. Offen gestanden überrascht es mich nicht, daß seine Frau ihn verließ. Die jetzige Frau, meine ich. Ich habe keine gute Meinung über sie, doch als sie Lord Edgware heiratete, bürdete ihr das Schicksal Schlimmeres auf, als sie verdiente. Nun, sie verließ ihn - ohne daß ihr das Herz darüber brach. Aber Geraldine, die Arme, konnte ihn nicht verlassen. Und manchmal habe ich das Gefühl gehabt, als wollte er durch die brutale Behandlung, die er ihr angedeihen ließ, seine Rache an ihrer Mutter, seiner ersten Gattin, stillen. Sie soll ein gutherziges kleines Ding gewesen sein, weich und anschmiegsam. Wenn Geraldine sich vorhin nicht so töricht benommen hätte, würde ich diese traurigen Familiengeschichten gar nicht aufrühren; aber jetzt fühle ich mich dazu verpflichtet, damit Sie kein schiefes, häßliches Bild von dem Kind gewinnen. Aus dem Munde der Tochter zu hören, sie habe ihren ermordeten Vater gehaßt - das muß ja die Ohren eines Fremden verletzen.«

»Ich bin Ihnen für Ihre Erklärungen sehr verbunden, Mademoiselle. Alles in allem hätte Lord Edgware also besser daran getan, nicht zu heiraten?«

»Viel besser.«

»Eine dritte Heirat hat er nie erwogen?«

»Wie denn? Seine Frau lebte ja.«

»Indem er ihr die Freiheit gab, würde er selbst frei geworden sein.«

»Ich sollte meinen, die Ungelegenheiten mit zwei Frauen wären hinreichend gewesen«, versetzte Miss Carroll grimmig.

»Mithin sind Sie überzeugt, daß die Frage einer dritten Heirat niemals angeschnitten wurde? Niemals, Mademoiselle? Denken Sie gut nach!«

Der Sekretärin schoß das Blut in die Wangen.

»Sie haben eine seltsame Art, Fragen zu stellen, Monsieur Poirot. Natürlich war niemals von einer dritten Heirat die Rede.«

14

»Warum fragten Sie Miss Carroll so hartnäckig nach der Möglichkeit einer Wiederverheiratung Lord Edgwares, Poirot?«

Wir saßen nebeneinander im Auto und fuhren unserer Wohnung entgegen.

»Warum, mon ami? Weil ich mir seinen plötzlichen Gesinnungsumschwung zu erklären suche. Jahrelang setzt er dem Drängen seiner Frau und dem Drängen von Rechtsanwälten aller Art eisernen Widerstand entgegen, erklärt, daß er nie in die Scheidung willigen würde. Und dann gibt er eines guten Tages jählings nach!«

»Oder er behauptet es«, erinnerte ich ihn, »Sehr wahr, Hastings. Er behauptet es; aber wir haben keinerlei Beweise, daß jener Brief tatsächlich geschrieben wurde. Wenn er ihn jedoch geschrieben hat, so ist ein Grund vorhanden gewesen. Und der nächstliegende, der sich einem ohne weiteres aufzwingt, ist, daß Lord Edgware eine dritte Ehe zu schließen beabsichtigte.«

»Was Miss Carroll mit aller Entschiedenheit in Abrede stellt«, fügte ich hinzu.

»Ja ... Miss Carroll ...«

Poirot ist ein Meister darin, Zweifel durch den Ton seiner Stimme anzudeuten.

»Sie halten sie für eine Lügnerin? Warum denn, mein Lieber? Haben Sie nicht den Eindruck eines aufrechten, geraden Menschen von ihr gewonnen?«

»Bisweilen läßt sich vorsätzliche Falschheit sehr schwer von uneigennütziger, nachlässiger Ungenauigkeit unterscheiden, mon ami.«

»Wie?«

»Vorsätzlich täuschen - das ist eine Sache. Aber ihrer Tatsachen, ihrer Ideen nebst ihrer wesentlichen Wahrheit so sicher zu sein, daß die Einzelheiten keine Rolle spielen - das, mein guter Hastings, ist ein kennzeichnendes Merkmal für besonders ehrliche Personen. Bedenken Sie auch, daß sie uns schon eine Lüge erzählt hat. Sie sagte, daß sie Jane Wilkinsons Gesicht gesehen habe, was sich als unmöglich herausstellte. Wie kommt sie nun zu einer derartigen Aussage? Auf folgende Weise, Hastings: Sie schaut über das Geländer und erblickt Jane Wilkinson in der Halle. Kein Zweifel steigt in ihr auf, ob es wirklich Jane Wilkinson ist. Sie weiß es. Sie erklärt, das Gesicht deutlich gesehen zu haben, weil - von der Tatsache fest überzeugt - genaue Einzelheiten sie nicht kümmern. Nachher wird ihr nachgewiesen, daß sie das Gesicht gar nicht gesehen haben kann. >So ...? Pah, was tut das, ob ich ihr Gesicht sah oder nicht - es war Jane Wilkinson!< Und so geht's mit jeder anderen Frage. Sie weiß. Infolgedessen gibt sie ihre Antworten in der Überzeugung ihres Wissens, aber nicht aufgrund erinnerter Tatsachen. Die positive Zeugin sollte man immer mit Argwohn behandeln, mein Freund. Die unsichere Zeugin, die sich nicht entsinnt, wird eine Minute nachdenken . ah ja, so verhielt es sich! Und man darf sich auf ihre Aussage unendlich mehr verlassen.«