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»Vor allem ist es traurig, wenn man über solche Begabung verfügte wie Miss Adams. Haben Sie sie einmal gesehen?«

»Nein. Diese Darbietungen liegen nicht in meiner Linie«, sagte Ross im Ton eines Menschen, für den nur die eigenen Leistungen Wert haben. »Und das Publikum, das sich um sie riß, wird sie bald vergessen haben, glaube ich.«

»Ah, da kommt ein leeres Taxi!« Poirot winkte ihm mit seinem Stock.

»Ich gehe noch bis zur nächsten Untergrundbahn und fahre von dort heim«, meinte der junge Künstler. Und dann brach er plötzlich in ein nervöses Lachen aus. »Wunderlich, dieses Dinner gestern abend!«

»Ja?«

»Wir waren nämlich dreizehn, da irgend jemand in letzter Minute abgesagt hatte, merkten es aber erst gegen Ende des Mahls.«

»Und wer brach zuerst auf?« forschte ich. Wieder ein kleines unfreies Lachen. »Ich, Hauptmann Hastings.«

16

Bei unserer Heimkunft fanden wir Japp vor, der geduldig auf uns gewartet hatte.

»Eh bien, mein guter Freund, wie geht es?«

»Na, wenn es besser ginge, könnte es nichts schaden«, erwiderte unser Gast mit ziemlich niedergeschlagener Miene. »Haben Sie vielleicht einen guten Rat für mich bereit, Monsieur Poirot?«

»Ich habe eine oder zwei kleine Ideen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will.«

»Sie und Ihre Ideen! In gewisser Hinsicht sind Sie ein gefährlicher Kerl, Monsieur Poirot, wenngleich Ihr komisch geformter Kopf bisweilen verdammt brauchbares Zeug ausbrütet.«

Poirot nahm das mit Tadel vermischte Kompliment kühl auf. Der andere fuhr fort: »Beschäftigen sich Ihre Ideen etwa mit Lady Edgwares Doppelgängerin? Dann heraus mit der Sprache! Wer war sie?«

Statt einer genauen Antwort erkundigte sich mein Freund, ob Japp je von Carlotta Adams gehört habe.

»Den Namen, ja. Aber im Augenblick weiß ich nicht, wie und wo.«

Poirot gab die nötigen Erklärungen und schilderte anschließend die Schritte, die wir im Laufe des Tages unternommen und welche Schlußfolgerungen wir aus ihnen gezogen hatten.

»Bei Gott, Sie scheinen recht zu haben, Monsieur Poirot, Kleidung, Hut, Handschuhe und die blonde Perücke . ja, es kann gar nicht anders sein. Bravo, Monsieur Poirot, das nenne ich wackere Arbeit! Zwar glaube ich nicht, daß man diese Carlotta Adams aus dem Wege geräumt hat, nein, nein. Das ist ein bißchen zu weit hergeholt. Weil ich über mehr Erfahrung verfüge als Sie, denke ich nüchterner und glaube nicht an einen Drahtzieher hinter den Kulissen. Carlotta Adams wird aus eigenem Antrieb Lord Edgware aufgesucht haben - Erpressung vermutlich, da sie ja angedeutet hat, daß sie eine größere Geldsumme erwarte. Und wie es dann so geht, entbrannte zwischen den beiden ein Streit. Er wurde borstig, sie ebenfalls, und endlich stach sie auf ihn ein. Und ich möchte weiter behaupten, daß sie, zu Hause angekommen, vor Entsetzen über das, was sie im blinden Zorn angerichtet hatte, eine Überdosis Veronal schluckte, um sich nicht vor den Richtern verantworten zu müssen. Freilich besteht auch die Möglichkeit, daß ihr Fastnachtsscherz und der Mord nichts miteinander zu tun haben und es nur ein verdammt blödes Zusammentreffen gewesen ist.«

Ich wußte, daß Poirot diese Ansicht nicht teilte, aber auch Inspektor Japp griff schon wieder auf seine erste Theorie zurück. »Natürlich werden wir auskundschaften, ob zwischen dem Ermordeten und dem toten Mädchen irgendeine Verbindung bestanden hat«, sagte er.

Nunmehr berichtete Poirot von dem Brief nach Amerika, den Miss Adams' Dienerin spät nachts noch befördert hatte, und Japp pflichtete meinem Freund bei, daß dieses Schreiben wertvolle Fingerzeige enthalten könne. Er machte sich eine Notiz und fuhr dann fort:

»Ich sprach auch mit Hauptmann Marsh, dem jetzigen Lord Edgware. Bis über die Ohren verschuldet und mit dem Onkel überworfen - das genügt eigentlich, um in den Kreis der Verdächtigen einbezogen zu werden. Aber der glückliche Erbe konnte mir ein einwandfreies Alibi nachweisen; er war mit den Dortheimers in der Oper. Ich ließ vorsichtshalber die Angaben nachprüfen - sie stimmen. Er hat das Dinner in ihrer Gesellschaft eingenommen, sie dann in die Oper begleitet, und hinterher sind sie zu viert zu Sobrams gegangen.«

»Und Mademoiselle?«

»Edgwares Tochter meinen Sie? Auch sie verbrachte den Tag außerhalb des Hauses. Zum Dinner bei einer Familie Carthew West, mit denen sie ebenfalls die Oper besuchte. Ein Viertel vor zwölf kam sie heim ... Das ist die Tochter. Miss Carroll, die Sekretärin, halten Sie wohl auch für eine durchaus anständige, über jeden Verdacht erhabene Person? Weiter der Butler. Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß er mir gefällt. Irgend etwas ist faul mit ihm; dunkel und unverständlich auch, weshalb ihn Lord Edgware in seine Dienste nahm. Keine Bange, Monsieur Poirot, ich werde in der Vergangenheit dieses Menschen noch gründlich herumstöbern! Aber ihn des Mordes beschuldigen . ? Ich sehe nicht, welchen Grund er gehabt haben könnte.«

»Und sonst nichts Neues?«

»Lord Edgwares Schlüssel fehlt, wenn Ihnen das der Erwähnung wert erscheint.«

»Der Hausschlüssel?«

»Ja.«

»Natürlich ist das wichtig, mon ami!«

»Möglich. Bedeutsamer aber dünkt mich die Tatsache, daß Lord Edgware gestern für seine Pariser Reise hundert Pfund in französische Noten umgewechselt hat, die verschwunden sind.«

»Wer teilte es Ihnen mit?«

»Miss Carroll, die das Geld auf der Bank besorgte. Sie erwähnte es rein zufällig, und erst hinterher fand ich heraus, daß es fehlte.«

»Wo war es gestern abend?«

»Das weiß Miss Carroll nicht. Sie händigte die Noten Lord Edgware nachmittags gegen halb vier in der Bibliothek aus, und er legte sie - in dem Briefumschlag der Bank - auf einen Tisch.« »Mein lieber Japp, das gibt zu denken . und macht den Fall verwickelter.«

»Oder einfacher. Was übrigens die Wunde anbetrifft .«

»Ja?«

»... so erklären die Ärzte, daß sie von keinem der üblichen Federmesser herrührt. Die Klinge müsse eine ungewöhnliche Form gehabt haben und erstaunlich scharf gewesen sein.«

»Ein Rasiermesser?«

»Nein, nein. Viel kleiner.«

Während Poirot nachdenklich die Stirn runzelte, setzte Japp seinen Bericht fort:

»Dem neuen Lord Edgware scheint die Vorstellung, daß man auch ihn in der Tat verdächtigen könne, ungeheuren Spaß zu bereiten. Verdrehter Geschmack, was? Für ihn kam des Onkels Tod ja wie ein Geschenk vom Himmel, und schleunigst ist er wieder in das Haus übergesiedelt, das man ihm vor drei Jahren verbot.«

»Wo hat er bislang gewohnt?«

»Martin Street. St. George's Road. Gerade kein sehr standesgemäßes Viertel!«

»Hastings, seien Sie so nett und notieren Sie doch bitte die Adresse.«

Ich erfüllte den Wunsch meines kleinen Freundes, wenngleich mir der Zweck nicht einleuchtete. Wenn Ronald seinen Wohnsitz nach Regent Gate verlegt hatte, wozu brauchte man dann noch die alte Adresse?

Derweil rüstete sich Inspektor Japp zum Aufbruch.

»Na, ich neige immer mehr zu der Ansicht, daß diese Carlotta Adams die Täterin war. Eine feine Nase haben Sie heute gehabt, Monsieur Poirot!« Aber als ob ihn dieses uneingeschränkte Lob reue, fügte er rasch hinzu: »Freilich, wenn Sie nicht Zeit hätten für Theater und ähnliche Vergnügungen, so wären Sie auch nicht darauf gekommen . Jammerschade, daß kein augenfälliger Beweggrund zu der Tat da ist, aber mit ein bißchen Schürfarbeit werden wir ihn schon aufdecken.«

»Wissen Sie wohl, mein lieber Inspektor, daß Sie einer bestimmten Person, bei der der Beweggrund durchaus nicht fehlt, keinerlei Beachtung geschenkt haben?« bemerkte Poirot.

»Wer ist das, Sir?«

»Der Herr, den man als künftigen Gatten von Lord Edgwares Witwe betrachtet. Der Herzog von Merton.«