»Was schadet das, Bryan? Man wird uns eben oben weiterservieren. Veranlassen Sie das Nötige, ja? Und, Bryan ...«
Sie ging dem Schauspieler, der sich schon umgedreht hatte, nach und schien ihn zu irgend etwas überreden zu wollen, das ihm widerstrebte. Wenigstens runzelte er die Stirn, bis er sich schließlich mit einem Achselzucken fügte.
Ein- oder zweimal hatte er während ihres Drängens nach dem Tisch hinübergeschaut, an dem Carlotta Adams saß, und ich überlegte im stillen, ob vielleicht die junge Amerikanerin der Gegenstand von Janes Überredungskunst sei.
Nach gewonnener Schlacht kehrte Jane Wilkinson strahlend zu uns zurück. »Jetzt werden wir sofort nach oben gehen«, ordnete sie an und widmete mir ein betörendes Lächeln.
Ob uns ihr Plan genehm war oder nicht, darüber dachte sie gar nicht nach, sondern schleppte uns ohne den leisesten Anflug einer Entschuldigung einfach von dannen.
»Ich muß es als die größte Glücksfügung bezeichnen, daß ich Sie just heute abend hier sah, M. Poirot«, warf sie hin, während sie uns zum Lift führte. »Herrlich, wie sich für mich alles zum besten kehrt . ! Gerade als ich grübelte und sann, was ich tun sollte, blickte ich auf. Und wen entdeckte ich am Nachbartisch? Monsieur Poirot. Ah, M. Poirot wird mir sagen, was ich tun soll! war mein nächster Gedanke.«
Sie unterbrach ihre Rede, um dem Liftjungen ein kurzes »Zweite Etage« zuzuwerfen.
»Wenn ich Ihnen dienlich sein kann ...«, begann mein Freund.
»Davon bin ich überzeugt. Ich habe gehört, daß Sie der wunderbarste Mensch sind, der je existierte. Irgend jemand muß mich aus dem Gewirr, in das ich verstrickt bin, befreien, und wer vermöchte das besser als Sie?«
Wir waren in der zweiten Etage angelangt, schritten den Korridor entlang und betraten eines der üppigsten Appartements des Savoy-Hotels.
Und ihren weißen Hermelinpelz auf einen Sessel und die kleine juwelenbesetzte Tasche auf den Tisch werfend, rief die Künstlerin ohne Umschweife:
»M. Poirot, auf die eine oder andere Weise muß ich meinen Gatten loswerden!«
2
Nach ein paar Sekunden hatte sich Poirot von seiner Überraschung erholt.
»Aber Madame«, sagte er, und seine Augen zwinkerten vergnügt, »die Damen von ihren Gatten zu befreien, gehört nicht zu meinem Fach.«
»Gewiß, das weiß ich.«
»Wahrscheinlich wünschen Sie einen Rechtsanwalt.«
»Da irren Sie gewaltig. Der Anwälte bin ich restlos überdrüssig. Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen, von einem Advokaten zum anderen, und nicht einer hat mir genützt. Die Anwälte kennen das Gesetz, aber sie besitzen nicht einen Funken von gesundem Menschenverstand.«
»Und Sie meinen, daß ich ihn besäße?«
Sie lachte.
»Man sagt, Sie seien ein unerreichbarer Pfiffikus, Monsieur.«
»Comment? Pfiffikus? Das verstehe ich nicht. Jedenfalls aber liegt Ihre Angelegenheit abseits von meiner Linie, Madame.«
»Nun, das bezweifle ich fast. Es ist ein Problem.«
»Oh! Ein Problem?«.
»Und es ist schwierig«, fuhr Jane Wilkinson fort. »Sie sind doch wahrlich nicht der Mann, der Schwierigkeiten scheut.«
»Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen zu Ihrer Menschenkenntnis gratuliere, Madame. Doch trotzdem gebe ich mich mit Nachforschungen zu Scheidungszwecken nicht ab. Es ist nicht nett - ce metierla.«
»Mein Lieber, ich verlange von Ihnen nicht, daß Sie den Spion spielen. Indessen habe ich mich entschlossen, meinen Mann loszuwerden, und ich bin sicher, daß Sie imstande sind, mir zu sagen, wie ich es anfangen soll.«
Hercule Poirot ließ ein Weilchen verstreichen, ehe er antwortete. »Erzählen Sie mir zuerst einmal, Madame, warum Ihnen so viel daran liegt, Lord Edgware >loszuwerden<«, bat er dann. Und wer ihn kannte, hörte, daß ein neuer Klang in seiner Stimme vibrierte.
Die Erklärung der schönen Frau kam ohne Zaudern.
»Aber gern, Monsieur Poirot. Ich wünsche mich wieder zu verheiraten. Welchen anderen Grund könnte ich wohl sonst haben?« Jane schlug die blauen Augen mit naiver Offenheit zu ihm auf.
»Eine Scheidung wird sich doch wohl ermöglichen lassen!«
»Sie kennen meinen Mann nicht, Monsieur. Er ist ... er ist ...« Sie schauderte. »Ich weiß nicht, wie ich es in Worte fassen soll Er ist ein absonderlicher Mensch - nicht wie andere Sterbliche.« Ein tiefer Seufzer und eine lange Pause.
»Nie hätte er wieder heiraten dürfen. Ich kann ihn nicht beschreiben, ich kann nur wiederholen: er ist absonderlich. Seine erste Frau lief ihm davon, ließ ein Baby von drei Monaten zurück. Er hat nie in eine Scheidung eingewilligt, und sie ist irgendwo jämmerlich zugrunde gegangen. Hierauf heiratete er mich. Und auch ich konnte es nicht ertragen. Oh, wie ich mich zu Tode geängstigt habe ...! Kurz und gut, ich reiste nach drüben. Mir fehlen stichhaltige Gründe für eine Scheidung, und wenn ich ihm die nötigen Gründe lieferte, würde er keine Notiz davon nehmen. Er ist ... er ist eine Art von Fanatiker.«
»In gewissen amerikanischen Staaten könnten Sie eine Scheidung erzwingen, Madame.«
»Damit ist mir nicht gedient - nicht, wenn ich nachher in England leben will.«
»Und Sie wollen in England leben?«
»Ja.«
»Wer ist der Mann, mit dem Sie ein neues Ehebündnis einzugehen gedenken?«
»Der Herzog von Merton.«
Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Denn der Herzog von Merton war bislang die Verzweiflung aller ehestiftenden Mamas gewesen. Ein junger Herr mit asketischen Neigungen, ein eifernder Katholik, stand er in dem Ruf, sich vollkommen von seiner Mutter lenken zu lassen, der gefürchteten HerzoginWitwe. Er sammelte chinesisches Porzellan, galt als ein weitabgewandter Ästhetiker und als ein Mann, der sich nichts aus Frauen machte.
»Er hat mich ganz verzaubert«, sagte Jane rührselig. »Und Schloß Merton ist unbeschreiblich schön. Überhaupt möchte ich das Ganze die romantischste Angelegenheit nennen, die je auf diesem Erdball sich ereignete. Schade, daß Sie Merton nicht kennen, Monsieur Poirot - er gleicht einem verträumten Mönch.«
Wieder schaltete sie eine Pause ein.
»Wenn ich heirate, entsage ich der Bühne. Und das Opfer wird mir für ihn nicht einmal schwer.«
»Einstweilen steht Lord Edgware diesen romantischen Träumen im Wege«, meinte Hercule Poirot trocken.
»Ja - und das bringt mich zur Raserei.« Sie lehnte sich nachdenklich zurück. »Wenn wir uns in Chicago befänden, wäre es ein leichtes, ihn niederknallen zu lassen, aber hier hält so was schwer.«
»Hier«, lächelte Poirot, »vertreten wir den Standpunkt, daß jedes menschliche Wesen das Recht zu leben hat.«
»Möglich. Aber ich, der ich Edgware wie kein zweiter kenne, versichere Ihnen, daß sein Tod kein Verlust wäre - eher das Gegenteil.«
Man hörte ein Pochen an der Tür, und gleich darauf trat ein Kellner ein, der den Tisch zu decken begann. Seine Anwesenheit hinderte Jane Wilkinson nicht, ihr Problem weiter zu erörtern.
»Ich wünsche aber keineswegs, daß Sie ihn für mich töten, Monsieur Poirot.«
»Merci, Madame.«
»Sondern daß Sie vielleicht geschickt mit ihm verhandeln und ihm die Einwilligung zur Scheidung abringen. Daß Sie hierzu fähig sind, bezweifle ich keine Minute.«
»Sollten Sie meine überzeugenden Kräfte nicht doch überschätzen, Madame?«
»Nein. Doch vielleicht fällt Ihnen noch eine andere Lösung ein.« Jetzt beugte sie sich vor, und ihre blauen Augen hingen an Poirots Gesicht. »Nicht wahr, Sie möchten mich doch glücklich sehen?«
Wie weich, wie verführerisch diese Stimme ihn umschmeichelte!
»Ich möchte jeden glücklich sehen«, erwiderte vorsichtig mein kleiner Freund.
»Ja, aber ich denke nicht an alle und jeden. Ich denke an mich.«
»Madame, ich wage zu behaupten, daß Sie das immer tun.«