»Hahaha!« lachte Japp. »Bei dem fehlt allerdings der Beweggrund nicht. Jedoch wird ein Herr in seiner Stellung nicht zum Mörder. Und außerdem befindet er sich in Paris.«
»Also halten Sie ihn nicht für ernsthaft verdächtig?«
»Sie etwa, Monsieur Poirot?«
Und mit dröhnendem Lachen schüttelte Inspektor Japp uns beiden die Hand.
17
Der folgende Tag war ein Tag der Untätigkeit für uns und regster Geschäftigkeit für Japp. Zur Teestunde beehrte er uns mit einem kurzen Besuch.
Sein Gesicht, rot und grimmig, verhieß nichts Gutes.
»Ich habe einen Schnitzer gemacht.«
»Unmöglich, lieber Freund«, sagte Hercule Poirot beschwichtigend.
»Ja. Ich habe jenen (hier erlaubte er sich eine schlimme Entgleisung) ... von Butler entwischen lassen.«
»Wie? Er ist fort?«
»Jawohl, verduftet! Und mir hirnverbranntem Idioten erschien er gar nicht so arg verdächtig!«
»Beruhigen Sie sich doch, mein Bester. Beruhigen Sie sich!«
»Sie haben gut reden! Möchte mal Ihre Ruhe sehen, wenn Sie von Ihrem Vorgesetzten heruntergeputzt würden!«
Japp wischte sich die Stirn, ein leibhaftiges Bild des Elends, während Poirot mitleidige Laute von sich gab, die irgendwie an eine eierlegende Henne erinnerten. Als besserer Kenner des englischen Charakters mischte ich einen steifen Whiskysoda und stellte ihn vor den schwermütigen Beamten Scotland Yards hin. Und tatsächlich klärten sich seine Züge etwas auf.
»Das kann mir nichts schaden«, sagte er.
Gleich darauf sprach er schon merklich froher.
»Ich bin auch jetzt keineswegs sicher, daß er der Mörder ist. Selbstverständlich deutet diese Flucht auf ein schlechtes Gewissen, aber er kann ja auch was anderes ausgefressen haben. Ein wenig bin ich ihm nämlich schon auf die Schliche gekommen. Scheint in ein paar der anrüchigsten Nachtclubs verkehrt zu haben - nicht etwa die landläufigen Lokale dieser Art. Nein, etwas viel Widerlicheres und Schmutzigeres, und deshalb von einer gewissen Menschengattung sehr gesucht. Wirklich, er ist ein sauberes Früchtchen.«
»Aber, wie Sie sehr richtig sagten, nicht unbedingt ein Mörder.«
»Nein. Ich bin mehr als je überzeugt, daß Carlotta Adams den Mord beging, obwohl ich es vorläufig noch durch nichts zu beweisen vermag. Ich habe heute ihre Wohnung um und um gekehrt . umsonst. Ah, sie muß ein ganz durchtriebenes Geschöpf gewesen sein! Hat nichts von Bedeutung verwahrt mit Ausnahme einiger Kontrakte, alle hübsch eingeschlagen und mit Aufschrift versehen. Ferner fand ich ein dickes Bündel Briefe von ihrer Schwester in Washington, rechtschaffene, nette Briefe. Ein paar schöne Schmuckstücke, offenbar durch Erbschaft erhalten - nichts Neues oder Kostbares. Vergebens suchte ich nach einem Tagebuch, und ihr Paß und Scheckbuch sind trostlos nichtssagend. Zum Kuckuck, dies Mädchen scheint überhaupt kein privates Leben geführt zu haben!«
»Man hat sie mir allgemein als still und verschlossen geschildert«, sagte Poirot grübelnd. »Von unserem Standpunkt aus ist das natürlich bedauerlich.«
»Ich habe die Frau, die sie bediente, wie eine Zitrone ausgequetscht. Nichts! Ich habe die Freundin, die einen Hutsalon besitzt, aufgesucht .«
»Ah, Miss Driver. Was halten Sie von ihr?«
»Ein aufgewecktes Ding, aber helfen konnte sie mir auch nicht. Das überrascht mich keineswegs. Von all den vielen als vermißt gemeldeten Mädchen, denen ich im Lauf meiner Praxis nachspüren mußte, sagten ihre Familien und Freundinnen stets dasselbe: >Sie war heiter und liebevoll veranlagt und hatte auf keinen Fall irgendwelche Freunde.< Das stimmt niemals. Es ist auch unnatürlich. Mädchen müssen Freunde haben. Haben sie keine, so hapert es irgendwo mit ihnen. Ach, wenn Sie ahnten, wie diese vertrottelte Biederkeit von Freunden und Verwandten einem Detektiv das Leben vergällt!«
Er machte eine Atempause, und ich benutzte sie, um ihm von neuem einzuschenken.
»Schönen Dank, Hauptmann Hastings - wirklich, das kann mir nichts schaden. Also zurück zu Carlotta Adams! Sie hat ein Dutzend junge Herren oberflächlich gekannt, mit denen sie gelegentlich tanzte und zum Supper ausging, aber nicht einen scheint sie bevorzugt zu haben. Unter ihnen befinden sich Ronald Marsh, der jetzige Lord Edgware, dann Martin Bryan, der Filmstar, und die übrigen sind der Erwähnung nicht wert. Geben Sie Ihrer Idee von dem geheimen Drahtzieher den Laufpaß, Monsieur Poirot; sie ist falsch. Ich hoffe, Ihnen eines Tages beweisen zu können, daß Miss Adams allein zu Werke ging. Vorläufig suche ich allerdings erst mal nach der Verbindung zwischen ihr und dem Ermordeten, und diese Suche wird mich wahrscheinlich nach Paris führen. Paris lautet die Gravierung in der kleinen Golddose; Paris war, wie mir Miss Carroll erzählte, im vergangenen Herbst verschiedentlich Lord Edgwares Reiseziel, der dort Antiquitäten und Raritäten kaufte. Auf morgen früh ist der Untersuchungstermin anberaumt, und vielleicht fahre ich dann noch mit dem Nachmittagsdampfer.«
»Sie haben eine rasende Energie im Leibe, die mich verwirrt, Japp.«
»Ja, Sie werden träge; Sie sitzen in Ihrem bequemen Stuhl und denken! Oder - wie Sie es nennen - Sie lassen die kleinen grauen Zellen arbeiten. Aber damit schaffen Sie nichts, mein Bester. Sie müssen sich hinausbemühen, um die Dinge zu suchen, denn sie kommen nicht zu Ihnen hineinspaziert.«
In diesem Augenblick trat unser Hausmädchen ins Zimmer.
»Mr. Martin Bryan läßt fragen, ob Sie ihn empfangen wollen, Sir.« »Ah, da werde ich mich drücken.« Japp schnellte empor. »Bei Ihnen scheinen sich ja sämtliche Stars der Theater- und Filmwelt Rat zu holen.«
Poirot wehrte bescheiden ab, und der Inspektor lachte.
»Sie sind auf dem besten Weg, Millionär zu werden, Monsieur Poirot. Was machen Sie mit all dem Geld? Legen Sie es in mündelsicheren Papieren an?«
»Erzählen Sie mir lieber, wie Lord Edgware über sein Geld verfügte. Das ist augenblicklich wichtiger.«
»Alles, was nicht zum Fideikommiß gehört, hat er seiner Tochter vermacht. Ein Legat von fünfhundert Pfund fällt an Miss Carroll. Andere Legate sind nicht vorgesehen. Mithin ein sehr kurzes, bündiges Testament.«
»Und wann wurde es abgefaßt?«
»Kurz nachdem seine Frau ihn verließ - vor reichlich zwei Jahren. Er schließt sie ausdrücklich von jeder Erbschaft aus.«
»Ein rachsüchtiger Mensch«, murmelte Poirot.
Und dann ging Japp mit einem munteren »Auf Wiedersehen« davon, weil Martin Bryan bereits im Türrahmen auftauchte.
Er war mit vorbildlicher Eleganz gekleidet, und jeder, der ihm Gerechtigkeit widerfahren ließ, mußte ihn einen schönen Mann nennen. Aber auf mich machte er einen verstörten und nicht sehr glücklichen Eindruck.
»Ich glaube, daß ich ungebührlich lange auf mich warten ließ, Monsieur Poirot«, entschuldigte er sich. »Und zudem habe ich Ihre Zeit für nichts und wieder nichts in Anspruch genommen.«
»En verite?«
»Ja. Ich sprach mit der betreffenden Dame, beschwor sie, flehte . aber sie will nichts davon hören, daß Sie sich der Angelegenheit annehmen. Infolgedessen bin ich gezwungen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Es tut mir leid, daß ich Sie belästigte .« »Du tout - du tout«, sagte Hercule Poirot liebenswürdig. »Ich erwartete nichts anderes.«
»Ah ... Sie erwarteten das? ...« stammelte er.
»Mais oui. Sobald Sie davon redeten, sich mit Ihrer Freundin ins Einvernehmen setzen zu wollen.«
»Dann haben Sie schon eine Theorie?«
»Ein Detektiv hat immer eine Theorie, Mr. Bryan. Man erwartet das von ihm. Ich selbst pflege dergleichen allerdings eine kleine Idee zu nennen. Das ist die erste Stufe.«
»Und die zweite?«
»Wenn die kleine Idee sich bewahrheitet - dann weiß ich. Nichts einfacher als das, nicht?«