»Wollen Sie mir nicht erzählen .«
»Merken Sie sich das eine, mein Lieber: Der Detektiv erzählt nichts.«
»Aber vielleicht andeuten?«
»Nein. Immerhin mögen Sie erfahren, daß meine Theorie entstand, als Sie den Goldzahn erwähnten . Doch meine ich, wir sollten zu einem anderen Gesprächsstoff übergehen«, lächelte mein Freund.
»Doch die Frage Ihres Honorars . Sie müssen mir gestatten .«
Poirot schnitt ihm mit einer ungewohnt herrischen Bewegung das Wort ab.
»Pas un sou! Ich habe nichts getan, um Ihnen zu helfen.«
»Aber Sie opferten mir Ihre Zeit.«
»Wenn mich ein Fall interessiert, nehme ich kein Geld an. Und der Ihrige interessiert mich ungemein.«
Der Schauspieler zupfte nervös an seinen Handschuhen und Poirot schlug ihm auf die Schulter: »Nochmals, sprechen wir von etwas anderem.« »Ich sah eben den Beamten Scotland Yards von Ihnen fortgehen. Er war heute auch bei mir und legte mir ein paar Fragen über die arme Carlotta Adams vor.«
»Sie haben sie gut gekannt, nicht wahr?«
»Gut - das wäre zuviel gesagt. Ich kannte sie als Kind in Amerika. Hier waren wir nur selten zusammen. Die Polizei scheint an einen Selbstmord zu glauben, Monsieur Poirot.«
»Möglich. Ich jedoch glaube nicht, daß es sich um Selbstmord handelt.«
»Auch ich halte einen Unglücksfall für wahrscheinlicher.«
Dann stockte das Gespräch, bis Hercule Poirot mit einem Lächeln sagte: »Finden Sie nicht ebenfalls, daß der Fall Edgware beginnt, reichlich verworren zu werden?«
»Ja. Wissen Sie ... oder vielmehr hat man irgendwelche Mutmaßungen, wer es war, jetzt, nachdem Jane endgültig ausscheidet?«
»Mais oui, die Polizei hegt einen starken Verdacht.«
Martin Bryans Spiel mit den Handschuhen begann von neuem.
»Wirklich? Gegen wen?«
»Der Butler ist geflüchtet. Sie begreifen: Flucht ist so gut wie eine Beichte.«
»Der Butler?«
»Jawohl. Er war ein außergewöhnlich gut aussehender Mensch ein wenig ähnelte er Ihnen, Monsieur Bryan.« Diese Worte begleitete Poirot mit einer kleinen Verneigung.
»Seit wann gehören Sie zu den Schmeichlern, Monsieur Poirot?« entgegnete der Filmschauspieler mit einem kurzen Auflachen.
»Nein, nein, nein. Ist Martin Bryan denn nicht der Abgott aller jungen Mädchen, gleichgültig ob Dienstmädchen, Backfisch, Schreibmaschinenfräulein oder Dame der Gesellschaft? Gibt es eine einzige, die Ihnen widerstehen kann?«
»Oh, eine ganze Menge vermutlich«, erwiderte Bryan, und unvermittelt brach er auf. »Noch einmal vielen Dank, Monsieur Poirot. Und Verzeihung wegen der Störung.«
Jetzt trat der verstörte Ausdruck noch mehr zutage und machte den Mann um Jahre älter.
Ich wurde von Neugier verzehrt, und sobald die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, bestürmte ich meinen Freund:
»Poirot, haben Sie wirklich erwartet, daß er auf die Untersuchung dieser seltsamen Vorfälle in Amerika verzichten würde?«
»Sie hörten es doch.«
»Aber dann ...« Rasch stellte ich eine logische Überlegung an. »Dann müssen Sie ja wissen, wer die geheimnisvolle junge Dame ist?«
»Ich habe wieder einmal eine kleine Idee, mein Freund, auf die mich, wie gesagt, der Goldzahn brachte. Im übrigen könnten Sie genausoviel wissen wie ich, wenn Sie den Verstand, den Ihnen der liebe Gott mitgegeben hat, gebrauchen würden. Manchmal freilich, mein guter Hastings, bin ich versucht zu glauben, daß er Sie aus Versehen bei der Verteilung überging ...«
18
Ich habe weder die Absicht, den Untersuchungstermin in der Sache Edgware zu beschreiben, noch jenen, der sich mit Carlottas Ableben befaßte. Bei Carlotta lautete der Spruch: Tod infolge eines Unglücksfalles. In der Affäre Lord Edgwares wurde nach Verlesung der ärztlichen Gutachten die Verhandlung vertagt. Auf Grund der Magenanalyse war man zu dem Schluß gekommen, daß der Tod mindestens eine Stunde nach dem Dinner, möglicherweise auch anderthalb bis zwei Stunden nachher, eingetreten sei - das hieß also zwischen zehn und elf Uhr.
Kein Wort sickerte darüber in die Außenwelt, daß Carlotta unter der Maske Jane Wilkinsons den Ermordeten aufgesucht hatte. Die Zeitungen veröffentlichten eine Beschreibung des flüchtigen Butlers, den man allgemein als den Täter bezeichnete. Seine Geschichte von Jane Wilkinsons abendlichem Besuch wurde als freche Lüge gewertet, zumal die Öffentlichkeit von Miss Carrolls bekräftigendem Zeugnis gleichfalls nichts erfuhr. Und all die spaltenlangen Aufsätze über den Mord waren eigentlich kläglich arm an wirklichen Tatsachen.
Inzwischen war Japp eifrig bei der Arbeit. Da ich dies wußte, verdroß mich die faule Muße, der Poirot sich hingab, ein wenig. Nicht zum erstenmal meldete sich bei mir der Argwohn, daß sie ein Zeichen nahenden Alters sei. Er erging sich in Entschuldigungen, die nicht sehr überzeugend klangen.
»Wenn man eine gewisse Anzahl von Jahren auf dem Rücken hat, erspart man sich Unruhe und Lauferei«, erklärte er.
»Aber mein guter Poirot, Sie müssen sich nicht für alt halten«, widersprach ich, denn ich fühlte, daß ihm ein Ansporn vonnöten war. Behandlung durch Suggestion - das ist doch die moderne Auffassung. »Sie stehen in der Blüte des Lebens, sind geschwellt von Kraft. Wenn Sie nur wollten, könnten Sie ausgehen und diesen Fall blendend lösen.«
Hercule Poirot jedoch erwiderte, daß er vorzöge, ihn sitzenderweise zu lösen.
»Aber das können Sie doch nicht, Poirot.«
»Nicht völlig - das gebe ich zu.«
»Verstehen Sie mich doch recht, mein Lieber: Wir tun nichts, und Japp tut alles.«
»Was mir wunderbar gefällt«, ergänzte er unerschüttert.
»Mir gefällt es durchaus nicht«, entgegnete ich gereizt. »Ich wünsche, daß Sie sich betätigen.«
»Das tue ich ja.«
»Was tun Sie denn?«
»Ich warte.«
»Worauf?«
»Daß mir mein Jagdhund das Wild apportiert«, belehrte mich Poirot schmunzelnd.
»Wie bitte?«
»Ich meine den guten Japp. Warum sich einen Hund halten und dann selber bellen? Japp bringt uns das Ergebnis der körperlichen Tatkraft, die Sie so sehr bewundern, nach hier. Er hat verschiedene Mittel zu seiner Verfügung, die ich als Ausländer nicht habe, und wird daher fraglos über kurz oder lang mit etlichen Neuigkeiten anrücken.«
Kraft beharrlicher Nachforschung brachte Inspektor Japp tatsächlich langsam Material zusammen. Aus Paris freilich kehrte er mit leeren Händen zurück, indes schob er sich einige Tage später mit selbstgefälligem Lächeln zur Tür herein.
»Es hat schwergehalten«, sagte er, »aber etwas sind wir doch vorwärtsgekommen.«
»Gratuliere, Inspektor. Was hat sich ereignet?«
»Ich habe entdeckt, daß an dem fraglichen Abend eine blonde Dame um neun Uhr einen kleinen Handkoffer in der Gepäckabgabe des Euston-Bahnhofs hinterlegte. Als wir dem Beamten Miss Adams' Koffer zeigten, erklärte er, daß es dieser gewesen sei. Es ist eine amerikanische Marke und unterscheidet sich ein wenig von unseren englischen Fabrikaten.«
»Ah, Euston! Die letzte große Station vor Regent Gate. Wahrscheinlich machte sie sich im dortigen Waschraum zurecht. Wann wurde der Koffer wieder abgeholt?«
»Gegen halb elf, und zwar, nach Aussage des Beamten, von derselben Dame. Das ist aber nicht die einzige Neuigkeit, Monsieur Poirot. Ich habe Grund zu der Annahme, daß Carlotta Adams um elf im Lyon Corner House am Strand gesessen hat.«
»Ah, c'est tres bien 9a!«
»Der Zufall war mir behilflich. In einigen Zeitungen wurde die kleine Golddose mit den Rubinen erwähnt, und irgendein Reporter, der für die Sonntagsausgabe einen romantischen Stoff brauchte, verfertigte hierauf einen Artikel über den Hang junger Schauspielerinnen zu Rauschgiften. Das verhängnisvolle Gold-döschen mit seinem tödlichen Inhalt - die rührende Gestalt eines jungen Mädchens, vor dem ein erfolgreiches Leben liegt . wo mag sie den allerletzten Abend zugebracht haben . von welchen Gefühlen wurde sie beherrscht ... Na ja, Sie wissen schon, was die Federfuchser zusammenkritzeln! Kurz und gut, eine Kellnerin aus dem Corner House las den Erguß und erinnerte sich einer Dame, die sie bedient und bei der sie eine derartige Dose gesehen hatte. Sogar das C. A. in roten Steinen fehlte nicht. Und sie wurde ganz aufgeregt, begann alle Freundinnen ins Vertrauen zu ziehen . mein Gott, vielleicht zahlte die Zeitung ihr eine Belohnung .!