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»Die Herzogin von Merton ist auch jetzt noch überzeugt, daß meine Stiefmutter den Mord beging«, sagte Geraldine Marsh nachdenklich und streifte Poirot dabei mit einem raschen fragenden Blick. »Doch ich wüßte nicht, wie das möglich wäre.«

»Darf ich Ihre Meinung über Ihre Stiefmutter wissen, Mademoiselle?«

»Nun - ich kenne sie kaum. Als mein Vater sich mit ihr verheiratete, war ich in Paris auf der Schule. Verbrachte ich meine Ferien daheim, so behandelte sie mich ganz nett. Oder um es beim richtigen Namen zu nennen: Sie nahm von meiner Anwesenheit keinerlei Notiz. Ich hielt sie für sehr dumm und gewinnsüchtig.«

Poirot nickte. »Sie erwähnten soeben die Herzogin von Merton. Mademoiselle. Haben Sie sie oft gesehen?«

»Ja. Sie hat sich während der letzten vierzehn Tage in der rührendsten Weise um mich gekümmert. Vielleicht hätte ich ohne sie das Ganze gar nicht ertragen - die Vernehmungen, die Reporter, Ronald im Gefängnis . Ich wurde mir jetzt erst so recht bewußt, daß ich keine wirklichen Freunde habe. Aber die Herzogin war unbeschreiblich gut, und auch ihr Sohn ist nett zu mir gewesen.«

»Mögen Sie ihn gern?«

»Er ist scheu und steif und schwer zugänglich. Doch da seine Mutter fast stets von ihm spricht, habe ich das Gefühl, daß ich ihn besser kenne, als es eigentlich der Fall ist.«

»Ich verstehe. Wie gefällt Ihnen Ihr Vetter, Mademoiselle?«

»Ronald? Ich mag ihn sehr, sehr gern. Leider haben wir uns während der letzten beiden Jahre wenig gesehen; aber als er noch bei uns im Haus lebte - ach, wie war das schön! Immer war er lustig und guter Dinge, immer zu einem Spaß aufgelegt. Wie ein Sonnenstrahl, der etwas Licht in unser düsteres Haus brachte, kam er mir vor.«

»Nicht wahr, Sie wünschen nicht, daß er gehenkt wird?« fragte Poirot, und ich zuckte ein wenig zusammen, weil mich die Frage roh und nebenbei recht überflüssig dünkte.

»Nein, nein«, gab das Mädchen unter heftigem Zittern zurück. »Oh, wenn es doch meine Stiefmutter gewesen wäre! Die Herzogin sagt, sie muß es gewesen sein.«

»Ja«, sagte mein Freund weich, »es ist ein Jammer, daß Hauptmann Marsh nicht draußen bei dem Taxi stehenblieb, weil dann der Chauffeur beeiden könnte, daß er Ihr Haus nicht betrat.«

Sie neigte den Kopf. Die Tränen, die sie bislang mühsam zurückgehalten hatte, liefen die blassen Wangen herab und fielen ungehindert in ihren Schoß. Poirot nahm behutsam die kleine, schmale Mädchenhand.

»Ich soll ihn für Sie retten, nicht wahr?«

»Ja, ja. O bitte, retten Sie ihn. Sie wissen nicht ...«

»Mademoiselle, Sie haben kein leichtes Dasein gehabt, ich weiß es sehr wohl«, unterbrach er sie ernst. »Nein, es ist bei Gott nicht leicht gewesen ... Hastings, wollen Sie für Mademoiselle ein Taxi besorgen?«

Ich geleitete Geraldine Marsh hinunter. Sie hatte sich inzwischen gefaßt und dankte mir, als ich die Tür des Wagens schloß, mit ein paar freundlichen, netten Worten.

Oben wanderte Poirot, die Stirn in zahllose Falten zerknittert, ruhelos im Zimmer auf und ab. Ich sah, wie unglücklich er sich fühlte, und begrüßte daher das laute Gellen des Telefons als eine willkommene Ablenkung.

»Hier Poirot. Ah, Sie sind's, Japp? Bonjour, mon ami.«

»Was hat er wohl zu melden?« flüsterte ich, mich näher an den Apparat drängend.

Schließlich sagte Poirot, nachdem er sich eine geraume Zeit mit einsilbigen Ausrufen begnügt hatte:

»Ja, und wer holte sie ab?«

Die Antwort schien ihn zu enttäuschen.

»Sind Sie sicher, Japp?«

».. «

»Comment?«

»Nein, es ist nur etwas unerwartet. Ich muß mich umstellen.«

».. «

»Das ist gleich. Die Hauptsache, daß ich recht hatte, mon cher! Richtig, richtig, eine kleine Einzelheit.«

».. «

»Nein. Ich bin nach wie vor derselben Ansicht. Stellen Sie Nachforschungen in den Restaurants in der Nachbarschaft von Regent Gate und Euston an. Tottenham Court Road und vielleicht Oxford Street.«

».. «

»Ja, ein Mann und eine Frau. Und ebenfalls in der Umgegend des Strands, kurz vor Mitternacht. Comment?«

».. «

»Aber ja. Ich weiß, daß Hauptmann Marsh mit den Dortheimers zusammensaß. Es gibt doch außer Hauptmann Marsh aber auch noch andere Leute in der Welt.«

».. «

»Dickschädelig ...? Tout de meme, tun Sie mir den Gefallen. Schön, schön. Also besten Dank im voraus.«

Er legte den Hörer auf seinen Platz.

»Nun, was Gutes?« forschte ich ungeduldig.

»Weiß ich, ob es was Gutes ist? Jedenfalls aber wurde die Golddose in Paris gekauft. Auf eine briefliche Bestellung hin hat sie ein sehr bekanntes Pariser Geschäft angefertigt. Der Brief ist von einer Lady Constancy Ackerley unterzeichnet worden und kam zwei Tage vor dem Mord an. Die Dame betonte, daß die Dose mit Initialen und Gravierung am nächsten Tag fertig sein müsse und abgeholt werden würde, das heißt also am Tag vor der Tat. Im übrigen gibt es eine Lady Constancy Ackerley nicht, mein Lieber, der Name wurde wohl gewählt, damit die Initialen passen sollten.«

»Und man holte die Dose tatsächlich ab?«

»Ja. Die Bezahlung erfolgte in Banknoten.«

»Wer holte sie ab?« erkundigte ich mich erregt, denn ich fühlte, daß wir uns der Wahrheit näherten.

»Eine Frau, Hastings.«

»Eine Frau?«

»Mais oui. Eine Frau mittleren Alters, die einen Kneifer trug.«

Sprachlos schaute ich meinen Freund an. Aber auch dessen Weisheit war zu Ende.

25

Ich glaube, es war am dritten Tag nach diesem Besuch, als wir uns zum Lunch zu den Widburns nach Claridge begaben.

Weder Poirot noch ich legten auf diese Gesellschaft Wert. Aber nachdem wir bereits sechs Einladungen abgelehnt hatten, ließ uns die beharrliche Mrs. Widburn, die gern Berühmtheiten bei sich empfing, zwischen so viel Tagen die Wahl, daß die Kapitulation unvermeidlich wurde.

Poirot zeigte sich seit dem Eintreffen der Pariser Nachricht äußerst wortkarg. Auf meine Bemerkungen gab er stets die gleiche Antwort:

»Da ist etwas, das ich nicht begreife.« Und ein- oder zweimal hörte ich ihn im finsteren Selbstgespräch murmeln: »Ein Kneifer in Paris, ein Kneifer in Carlotta Adams' Handtäschchen ...«

Schließlich kam ich so weit, Mrs. Widburns Lunch als eine sehr gelegene Zerstreuung zu betrachten.

Der junge Ross befand sich auch unter den Eingeladenen. Er kam sofort auf mich zu, um mich mit ein paar lustigen Worten zu begrüßen, und da Mrs. Widburn mehr Herren als Damen gebeten hatte, wurde er mein Tischnachbar.

Uns beinahe gegenüber saß Jane Wilkinson und neben ihr der junge Herzog von Merton, während die Hausherrin den Platz an seiner anderen Seite einnahm.

Bildete ich es mir ein, oder sah er wirklich etwas krank aus . ? Die Gesellschaft, die ihn umgab, konnte schwerlich seinen Neigungen entsprechen. Streng konservativ, um nicht zu sagen reaktionär, schien der junge Mann durch einen bedauernswerten Irrtum aus dem Mittelalter in unsere heutige Zeit versetzt worden zu sein, und seine Vernarrtheit in die moderne Jane Wilkinson war einer jener anachronistischen Scherze, in denen sich die Natur gefällt.

Beim Anblick von Janes Schönheit und unter dem Bann ihrer seltsam heiseren Stimme, die auch den abgedroschensten Sätzen einen Charme verlieh, wunderte mich seine Unterwerfung freilich nicht. Allein man kann sich an die vollendetste Schönheit und die betörendste Stimme gewöhnen! Es schoß mir durch den Sinn, daß vielleicht gerade eben ein Strahl gesunder Einsicht die Nebel berauschender Liebe zerteilte. Eine zufällige Bemerkung - eine ziemlich beschämende Blöße, die sich Jane gab, rief diesen Eindruck hervor. Irgend jemand - wer es war, habe ich vergessen - hatte in der Unterhaltung die Redensart »das Urteil des Paris« gebraucht, und gleich darauf meldete sich Jane Wilkinsons köstliche Stimme.