Выбрать главу

»Paris?« sagte sie. »Auf Paris kommt es heutzutage nicht mehr an. Maßgebend sind London und New York.«

Die Worte fielen, wie es bisweilen vorkommt, in eine vorübergehende Unterhaltungspause. Und hierdurch steigerte sich das Peinliche der Lage. Zu meiner Rechten hörte ich Ross einen kurzen, erschreckten Atemzug tun, Mrs. Widburn begann eifrig über das russische Ballett zu sprechen. Jedermann sagte hastig irgend etwas zu irgendwem.

Nur Jane schaute heiter die Tafel auf und ab, ohne im mindesten das Bewußtsein zu haben, daß ihr ein böser Schnitzer unterlaufen sei.

Mein Blick fiel auf den Herzog, seine Lippen waren fest zusammengepreßt, eine Röte der Verlegenheit färbte seine Wangen, und mir wollte es scheinen, als zöge er sich ein paar Zentimeter von Jane zurück. Ihn mußte wohl eine Ahnung überkommen haben, daß für einen Mann seiner Stellung die Ehe mit einer Jane Wilkinson manche Widrigkeiten nach sich ziehen könne.

In meiner Betroffenheit richtete ich an meine Nachbarin zur Linken, eine adelige Dame, die sich auf dem Gebiet der Kinderfürsorge hervortat, die erste beste Frage. Ich erinnere mich, daß sie lautete: Wer ist diese unglaublich aufgetakelte Frau in Purpurrot dort unten am Ende des Tisches? Natürlich war sie die Schwester meiner Nachbarin . ! Nachdem ich hundert Entschuldigungen gestammelt hatte, drehte ich mich zur Seite und schwatzte mit Ross, der mir einsilbig antwortete.

Von links und rechts zurückgewiesen, blickte ich die Tafel entlang und entdeckte Martin Bryan, dessen Anwesenheit mir vorher entgangen war. Er lehnte sich vornüber, plauderte angeregt mit einer hübschen blonden Frau und sah viel jünger, blühender und gesünder aus als bei unserem letzten Beisammensein.

Es fehlte mir an Zeit, ihn weiter zu beobachten, denn meine linke Nachbarin verzieh mir und erlaubte mir gnädigst, einem langen Monolog über die Schönheit einer Kindermatinee zu lauschen, die sie zum Besten skrofulöser Säuglinge veranstaltete. Hercule Poirot brach früher auf als ich. Er untersuchte neuerdings das seltsame Verschwinden der Stiefel eines ausländischen Diplomaten und hatte für halb drei Uhr eine Verabredung getroffen. Mir lag es ob, ihn wegen seines raschen Aufbruchs bei Mrs. Widburn zu entschuldigen. Während ich mich dieser nicht leichten Aufgabe - denn die Dame war von Freunden umringt, die in überschwenglichen Worten ihren Dank für die entzückenden Stunden ausdrückten - zu entledigen versuchte, berührte jemand meinen Arm.

Es war Ross.

»Ist Monsieur Poirot nicht mehr da? Ich wollte ihn sprechen.«

Ich erklärte, daß mein Freund kurz zuvor weggegangen sei, was den jungen Schauspieler sichtlich in Bestürzung versetzte. Als ich ihn daraufhin näher ansah, bemerkte ich die tiefe Erregung, die er kaum zu meistern vermochte.

»Wollten Sie ihn persönlich sprechen?« fragte ich.

Er entgegnete langsam, unschlüssig: »Ich ... weiß nicht.«

Welch wunderliche Antwort.

»Es klingt verrückt, nicht wahr?« meinte Ross, der meine Gedanken erraten zu haben schien. »Als Entschuldigung kann ich nur angeben, daß sich etwas ganz Sonderbares ereignet hat, etwas, für dessen Erklärung mein Verstand nicht ausreicht. Ich hätte so gern Monsieur Poirots Ansicht darüber gehört. Weil . ja, sehen Sie, Hauptmann Hastings, ich weiß nicht, was ich machen soll . ich möchte ihn nicht belästigen, aber .«

Er blickte mich so hilfesuchend, so verzweifelt an, daß ich ihn schnell beruhigte.

»Poirot mußte eine Verabredung einhalten. Um fünf jedoch gedachte er zurück zu sein. Wollen Sie ihn dann nicht anläuten oder selber kommen?«

»Ah! Besten Dank, Hauptmann Hastings. Ich glaube, ich werde das letztere vorziehen. Also um fünf?«

»Telefonieren Sie lieber erst, damit Sie den Weg nicht umsonst machen«, riet ich.

»Richtig. Verstehen Sie, Hastings, was ich mit ihm besprechen möchte, ist vielleicht von ungeheurer Wichtigkeit.«

Ich nickte und wandte mich wieder dorthin, wo Mrs. Widburn honigsüße Worte und schlaffe Händedrücke verteilte.

Als ich meiner Pflicht genügt hatte, schlenderte ich zu Fuß durch den Park heimwärts. Gegen vier kam ich zu Haus an. Poirot war noch nicht da, sondern erschien erst zwanzig Minuten vor fünf, vergnügt schmunzelnd.

»Ich sehe, Sherlock Holmes, daß Sie die diplomatischen Stiefel aufgespürt haben«, sagte ich.

»Ja. Es handelte sich um einen sehr schlau eingefädelten Kokainschmuggel. Die letzte Stunde habe ich in einem DamenSchönheitssalon zugebracht, den ein Mädchen mit kastanienbraunem Haar leitet, das Ihr empfängliches Herz sofort entzündet hätte.«

Mein Freund lebt in dem unausrottbaren Wahn, daß ich kastanienbraunem Haar gegenüber rettungslos verloren bin, und ich wußte, daß jede Verwahrung meinerseits zwecklos war. Überdies kam das Klingeln des Telefons meiner Antwort zuvor.

»Das wird Ross sein«, bemerkte ich, während ich zu dem Apparat ging.

»Ross?«

»Ja, der junge Mann, den wir in Chiswick kennenlernten. Ihm liegt sehr daran, Sie zu sprechen.«

Ich legte den Hörer ans Ohr. »Hallo! Hier Hauptmann Hastings.«

»Ist Monsieur Poirot zurückgekommen?« fragte Ross' Stimme.

»Ja. Wollen Sie die Sache telefonisch erledigen, oder dürfen wir Sie hier erwarten?«

»Es sind nur ein paar Worte, Hauptmann Hastings. Die kann ich ihm ebensogut telefonisch sagen.«

»Dann bleiben Sie bitte am Apparat.«

Poirot nahm mir den Hörer aus der Hand. Ich blieb so dicht neben ihm stehen, daß ich die Stimme des jungen Schauspielers schwach noch vernahm. »Monsieur Poirot?« fragte sie eifrig.

»Jawohl, ich bin's selbst.«

»Entschuldigen Sie die Störung. Aber ich möchte Ihnen etwas mitteilen in bezug auf Lord Edgwares Tod. Etwas Merkwürdiges .«

Sofort nahmen Hercule Poirots Züge den Ausdruck gespannter Erwartung an.

»Fahren Sie fort, fahren Sie fort!«

»Ihnen wird es wahrscheinlich dumm und unsinnig erscheinen.«

»Nein, nein. Sagen Sie es mir trotzdem.«

»Als man heute bei Tisch von Paris sprach, fiel mir eine Binde von den Augen. Sehen Sie, Monsieur ...« Ganz matt hörte ich den hellen Ton einer Klingel.

»Eine Sekunde«, bat Ross. Dann kam das dumpfe Geräusch des aus der Hand gelegten Hörers über die Leitung bis zu uns.

Wir warteten. Poirot am Telefon, ich neben ihm.

Wir warteten weiter .

Zwei Minuten vergingen . drei . vier . fünf Minuten.

Unbehaglich bewegte Poirot die Füße. Jetzt sah er auf die Uhr. Hierauf ließ er die Telefongabel auf- und niederschnellen und sprach mit dem Fräulein vom Amt.

»Die Verbindung besteht nach wie vor«, wandte er sich zu mir, »und der Hörer ist am anderen Ende noch nicht wieder aufgelegt worden. Jedoch man bekommt keine Antwort. Schnell, Hastings, schlagen Sie Ross' Adresse im Telefonbuch auf. Wir müssen unverzüglich zu ihm fahren.«

26

Wenige Minuten später sprangen wir in ein Taxi. »Ich fürchte, Hastings«, sagte Poirot, dessen Gesicht sehr ernst war, »ich fürchte .«

»Sie glauben doch nicht etwa ...«, unterbrach ich.

»Wir haben es mit einem Gegner zu tun, der bereits zweimal zum Schlag ausholte und der auch vor dem dritten Schlag nicht zurückweichen wird. Er windet und dreht sich wie eine um ihr Leben kämpfende Ratte, mon ami. Ross ist eine Gefahr, und deshalb wird er ausgelöscht werden.«

»Ob das, was er Ihnen sagen wollte, wirklich so wichtig war?« fragte ich zweifelnd.

»Ungeheuer wichtig anscheinend.«

»Aber wie konnte das jemand wissen?«

»Hastings, Sie haben mir gesagt, daß sich, als er mit Ihnen sprach, ringsum Leute befanden. Solche Verrücktheit, solch himmelschreiende Verrücktheit! Ah, weshalb nahmen Sie ihn nicht mit sich, weshalb hüteten Sie ihn nicht, weshalb sperrten Sie ihn nicht gegen jedermann ab, bis ich ihn angehört hatte?«