Kaum zu Hause angelangt, flog er ans Telefon. Er rief das Savoy-Hotel an und verlangte Lady Edgware zu sprechen.
»Vergebliches Bemühen, alter Knabe«, sagte ich belustigt.
Hercule Poirot ist, wie ich ihm oft versichert habe, einer der am schlechtesten unterrichteten Leute des Erdballs.
»Wissen Sie denn nicht, daß sie in einem neuen Stück auftritt?« fuhr ich fort. »Da es erst halb elf ist, wird sie noch im Theater sein.«
Poirot würdigte mich keiner Antwort. Eifrig verhandelte er mit dem Hotelangestellten, der ihm anscheinend genau dasselbe mitteilte, was ich ihm gesagt hatte.
»Ah ... ? Soso. Dann möchte ich gern mit Lady Edgwares Kammerfrau sprechen.«
In wenigen Sekunden war die Verbindung hergestellt.
»Hier ist Hercule Poirot. Sie erinnern sich meiner wohl, nicht wahr? Die gnädige Frau ist nicht anwesend, wurde mir eben mitgeteilt.«
».. «
»Tres bien. Nun hat sich inzwischen etwas sehr Wichtiges zugetragen, und ich möchte Sie freundlichst bitten, sofort zu mir zu kommen.«
».. «
»Aber ja. Sehr, sehr wichtig! Ich werde Ihnen die Adresse geben. Hören Sie gut zu.«
Er wiederholte sie zweimal und legte dann mit nachdenklichem Gesicht den Hörer weg.
»Was soll das?« fragte ich. »Haben Sie wirklich eine Auskunft erhalten?«
»Bewahre, Hastings. Doch sie wird mir die Auskunft geben.«
»Welche Auskunft?«
»Über eine gewisse Person.«
»Jane Wilkinson?«
»Pah! Über die brauche ich keine Auskunft. Die schöne Frau kenne ich in- und auswendig.«
»Über wen denn?«
Mein Freund fertigte mich mit seinem höchst aufreizenden Lächeln ab und sagte, ich solle mich in Geduld fassen. Hierauf begann er geschäftig das Zimmer aufzuräumen oder vielmehr umzuräumen.
Zehn Minuten später erschien die Erwartete bereits, eine zierliche schwarzgekleidete Person, die etwas nervös und unsicher umherschaute.
Poirot stürzte ihr entgegen. »Ah, wie nett, daß Sie gekommen sind! Bitte nehmen Sie Platz, Mademoiselle - Ellis, wenn ich nicht irre?«
»Ja, Sir. Ellis.«
Folgsam setzte sie sich auf den Stuhl, den mein Freund ihr angewiesen hatte, und blickte, die Hände im Schoß gefaltet, abwechselnd uns beide an. Ihr kleines, blutloses Gesicht war ruhig und gelassen, die schmalen Lippen bildeten einen Strich.
»Darf ich zuerst einmal fragen, wie lange Sie bei Lady Edgware beschäftigt sind?«
»Drei Jahre, Sir.«
»Das dachte ich mir. Dann wissen Sie über ihre Angelegenheiten gut Bescheid.«
Ellis schwieg und preßte die Lippen noch fester aufeinander.
»Mißverstehen Sie mich nicht - ich meinte, Sie werden wissen, wo wir ihre Feinde zu suchen haben.«
»Fast alle Frauen sind ihre Widersacherinnen, Sir. Häßliche Eifersucht!«
»Ah! Also ihr eigenes Geschlecht liebt sie nicht?«
»Nein, Sir. Sie sieht zu gut aus und erreicht stets, was sie will. Oh, Sie ahnen nicht, wie im Schauspielberuf Neid und Eifersucht blühen!«
»Und wie steht's mit den Männern?«
Ellis gestattete sich ein säuerliches Lächeln.
»Sie kann alle Herren um den Finger wickeln.«
»Kennen Sie Martin Bryan, den Filmschauspieler?«
»Gewiß, Sir.«
»Sehr gut?«
»Außerordentlich gut.«
»Ich glaube keinen Irrtum zu begehen, wenn ich sage, daß Mr. Bryan vor einem Jahr sehr in Ihre Herrin verliebt war, wie?«
»Bis über beide Ohren verliebt, Sir.«
»Er hoffte damals wohl auch, sie würde ihn heiraten, eh?«
»Ja. Und wenn Lord Edgware nicht die Scheidung verweigert hätte, würde sie ihn wohl auch geheiratet haben.« »Dann aber erschien, wie ich vermute, der Herzog von Merton auf der Bildfläche.«
»Ja, Sir. Er befand sich auf einer Rundreise durch die Vereinigten Staaten. Liebe auf den ersten Blick war es bei ihm.«
»Und damit wurde Martin Bryans Chance zu Null.«
Ellis nickte.
»Gewiß, Mr. Bryan verdiente fabelhafte Summen«, erläuterte sie, »aber der Herzog von Merton nimmt doch noch eine andere Stellung in der Gesellschaft ein. Und die Gnädige gelüstet es sehr nach Rang und Stellung. Als Gemahlin des Herzogs von Merton wäre sie eine der ersten Damen Englands.«
Sie sagte es mit einer selbstgefälligen Freude, die mich ergötzte.
»Mithin bekam Martin Bryan den Laufpaß. Wie fand er sich denn damit ab, Miss Ellis?«
»Schlimm war er. Machte entsetzliche Szenen, bedrohte sie mit dem Revolver. Aus Gram fing er auch zu trinken an - kurz, es warf ihn völlig um.«
»Aber jetzt hat er sich beruhigt.«
»So scheint es. Doch mir gefällt der Blick in seinen Augen nicht, und ich habe die gnädige Frau auch schon gewarnt. Sie aber hat nur gelacht, denn sie gehört zu denen, die gern ihre Macht fühlen ... ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen.«
»Ja«, sagte Poirot versonnen. »Ich verstehe Sie sehr gut.«
»Die letzte Zeit haben wir ihn kaum gesehen - ein gutes Zeichen, denke ich. Er scheint den Korb überwunden zu haben.«
»Vielleicht.«
Irgend etwas in Poirots Stimme mochte der Frau auffallen, denn sie sah ihn besorgt an.
»Meinen Sie etwa, sie sei in Gefahr, Sir?«
»Ja«, erwiderte mein Freund ernst. »Sie ist in großer Gefahr. Aber sie hat es sich selbst zuzuschreiben.«
Seine Hand, die ziellos an dem Kaminsims entlangfuhr, stieß an eine mit Rosen gefüllte Vase. Sie kippte, und das Wasser ergoß sich über Ellis' Gesicht und Kopf. Selten unterlief Poirot eine Ungeschicklichkeit, und ich konnte aus dem Unfall schließen, wie groß die Erregung sein mußte, die in ihm brodelte. Er rannte fort nach einem Handtuch, half dem Mädchen besorgt, Gesicht und Nacken zu trocknen, und sparte nicht mit Entschuldigungen, denen er durch eine Banknote mehr Gewicht verlieh. Schließlich geleitete er sie zur Tür, ihr nochmals für ihr bereitwilliges Kommen dankend.
»Aber es ist noch früh«, meinte er mit einem Blick auf die Uhr. »Sie werden noch vor Ihrer Herrin wieder im Hotel sein.«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorge, Sir. Lady Edgware geht nach der Vorstellung noch irgendwohin zum Supper, und außerdem brauche ich, wenn sie es nicht vorher ausdrücklich bestimmt, niemals bis zu ihrer Rückkehr aufzubleiben.«
Plötzlich irrte Poirot völlig vom Thema ab.
»Mademoiselle, Verzeihung, Sie hinken ja!«
»Nichts von Belang, Sir. Meine Füße schmerzen ein bißchen.«
»Die Hühneraugen?« raunte der Kleine mit der vertraulichen Stimme eines Dulders, der zu einem Leidensgefährten spricht.
Anscheinend waren es die Hühneraugen. Poirot sang eine Lobeshymne zu Ehren eines gewissen Mittels, das - wollte man seinen Worten trauen - Wunder wirkte.
Schließlich aber schloß sich die Tür hinter Miss Ellis.
»Nun, Poirot? Nun?« Er lächelte über meine Hitzigkeit.
»Heute abend keine Erklärungen mehr, mon ami. Morgen in aller Frühe werden wir Japp anrufen und ihn herbitten. Desgleichen werden wir Martin Bryan anrufen, der uns fraglos Interessantes erzählen kann. Außerdem wünsche ich ihm gegenüber eine Schuld abzutragen.«
»Wirklich?« Ich sah Poirot, der merkwürdig vor sich hinschmunzelte, von der Seite an. »Jedenfalls können Sie ihm nicht den Mord aufbürden, mein Lieber. Den Gatten töten, damit die Witwe sich mit einem anderen verheiratet - nein, einer solchen selbstlosen Handlung ist kein Mann fähig.«
»Ich habe von jeher Ihre weise Menschenkenntnis bewundert, mon cher!«
»Lassen Sie gefälligst Ihren beliebten Spott«, schalt ich verärgert. »Und womit tändeln Sie denn da die ganze Zeit herum?«
Hercule Poirot hielt den betreffenden Gegenstand mit spitzen Fingern hoch.
»Mit dem Kneifer der guten Ellis, teurer Hastings. Sie ließ ihn zurück.«
»Unsinn! Sie hatte ihn beim Weggehen auf der Nase.«