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»Aber warum morden, nachdem Lord Edgware ihr seine Zustimmung zur Scheidung gegeben hatte?«

»Weil der Herzog von Merton eine Säule der Anglo-katholischen Kirche ist«, erläuterte Poirot. »Nie würde er eine geschiedene Frau geheiratet haben, deren Gatte noch lebt; er ist trotz, seiner Jugend ein Mann von starren Grundsätzen. Als Witwe jedoch - oh, da würde es der schönen Jane gewiß gelingen, ihn zur Heirat zu bewegen. Fraglos hat sie es an-fänglich mit der Scheidung probiert, bis sie einsah, daß all ihre bezaubernde Schönheit diese Grundsätze nicht ins Wanken zu bringen vermochte.«

»Zugegeben, das hat Hand und Fuß. Warum aber wurden Sie dann noch zu Lord Edgware geschickt?«

»Ah, parbleu!« Von dem korrekten, sachlichen Englisch fiel Poirot plötzlich in seine Heimatsprache zurück. »Um mir Sand in die Augen zu streuen, mon ami. Um in mir einen Zeugen für die Tatsache zu haben, daß kein Grund für ein Verbrechen vorlag! Ja, sie erdreistete sich, mich, Hercule Poirot, zu ihrem Werkzeug zu machen. Ma foi, es gelang ihr sogar! Oh, dies merkwürdige Hirn kindlich und gerissen zugleich. Parbleu, sie kann schauspielern! Wie gut sie eine Überraschung zur Schau zu tragen wußte, als man ihr von dem Brief erzählte, den ihr Gatte ihr geschrieben und den sie angeblich nie erhalten hatte . ! Fühlte sie auch nur die leisesten Gewissensbisse wegen eines ihrer drei Opfer? Nein - das will ich beschwören.«

»Ich habe sie Ihnen geschildert!« rief Martin Bryan. »Ich wußte, daß sie ihn töten würde, das heißt, ich fühlte es. Und ich fürchtete, daß sie straflos ausging. Sie ist ungeachtet ihrer sonstigen Einfalt verteufelt gescheit. Und ich wollte, daß sie kennenlernte, was leiden heißt. Ich wollte, daß sie für ihre Tat büßte, daß sie gehenkt würde.«

Sein Gesicht hatte sich dunkelrot gefärbt, die Sätze kamen stoßweise aus seinem Mund.

»Na, na«, sagte Jenny Driver, in dem gleichen Ton, mit dem ich einmal im Park eine Bonne ihren kleinen Pflegebefohlenen beruhigen hörte.

»Und die goldene Dose mit dem Buchstaben D und Paris, November im Deckel?« fragte Japp.

»Lady Edgware hat sie brieflich bestellt und dann ihre Ellis nach Paris gesandt, um sie abzuholen. Natürlich forderte Ellis lediglich das Paket, für das sie, ahnungslos über den Inhalt, den geforderten Preis bezahlte. Von Ellis entlieh Lady Edgware auch den Kneifer, den die sogenannte Mrs. van Düsen trug; hinterher aber vergaß sie ihn, und er blieb in Carlotta Adams' Handtäschchen - ein folgenschweres Versehen.

Oh, das alles enthüllte sich mir, als ich dort inmitten des brandenden Verkehrs auf dem Fahrdamm stand! Höflich war es nicht, was die Autobuschauffeure mir zubrüllten - aber all ihre Flüche machten sich überreichlich bezahlt. Ellis! Ellis' Kneifer! Ellis, die die Dose bei dem Pariser Juwelier abholt. Ellis - und daher Jane Wilkinson. Höchstwahrscheinlich entlieh sie außer dem Kneifer auch noch etwas anderes von Ellis.«

»Was?«

»Ein Hühneraugenmesser .« Ich erschauerte.

Wieder saßen wir stumm da, und wieder ergriff Inspektor Japp zuerst das Wort. Er stellte eine Frage, aber man merkte, wie er die Antwort in gläubigem Vertrauen erwartete.

»Monsieur Poirot, ist das wahr?«

»Es ist wahr, mon ami.«

Dann sprach Martin Bryan, und was er sagte, war so kennzeichnend für ihn.

»Was habe ich denn damit zu tun?« nörgelte er. »Warum haben Sie mich hierher bestellt? Und warum haben Sie mich beinahe zu Tode geängstigt?« Poirot musterte ihn kühl.

»Um sie zu strafen, Monsieur, weil Sie sich eine Unverschämtheit erlaubten. Wie können Sie sich erkühnen, mit Hercule Poirot Ihr Spiel zu treiben?«

Und plötzlich erklang Jenny Drivers helles, lustiges Lachen.

»Geschieht dir ganz recht, Martin«, sagte sie zwischen einer neuen Lachsalve. Die nächsten Worte galten meinem kleinen Freund: »Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie froh ich bin, daß Ronnie Marsh, den ich immer gern leiden mochte, gerechtfertigt dasteht. Und froh - froh, froh, unendlich froh - bin ich auch, daß Carlottas Tod gerächt wird. Was aber diesen Übeltäter hier anbetrifft, Monsieur Poirot, so werde ich ihn heiraten. Und wenn er sich etwa einbildet, daß er nach bekanntem Hollywooder Muster im Hui sich scheiden lassen kann, um alle zwei Jahre eine neue Ehe einzugehen, so befindet er sich in dem größten Irrtum seines Lebens. Er wird mich heiraten und an mir klebenbleiben!«

Poirot betrachtete sie, betrachtete ihr energisches Kinn und ihr leuchtendes Haar.

»Das halte ich für sehr wahrscheinlich«, meinte er mit seinem aus Schalk und Güte gemischten Lächeln. »Sie haben Mut und genügend Nerven - um selbst einen Filmstar zu heiraten.«

31

Zwei Tage später wurde ich durch ein Kabel plötzlich nach Argentinien gerufen, und so kam es, daß ich Jane Wilkinson nie wiedersah und nur in der Zeitung ihren Prozeß und ihre Verurteilung las. Unerwarteterweise - unerwartet wenigstens für mich - brach sie völlig zusammen, als man ihr die Wahrheit vorhielt. Solange sie auf ihre Schlauheit stolz sein und ihre Rolle spielen konnte, beging sie keinen Fehler, doch als ihr Selbstvertrauen erschüttert wurde, weil ein anderer sie durchschaut hatte, zeigte sie sich unfähiger als ein Kind, eine Täuschung aufrechtzuerhalten.

Wie ich bereits früher einmal gesagt habe, begegnete ich bei jenem Lunch Jane Wilkinson zum letztenmal. Aber wenn ich an sie denke, sehe ich sie immer vor mir, wie sie in ihrem luxuriösen Hotelzimmer vollkommen von dem Probieren kostbarer schwarzer Gewänder in Anspruch genommen wurde. Ich bin überzeugt, daß dies keine Mache war; nein, sie benahm sich, wie es ihr inneres Wesen verlangte. Erfolgreich hatte sie ihren Plan durchgeführt und hatte deshalb keine weiteren Skrupel und Zweifel.

Ich gebe nun noch ein Schreiben wieder, das nach ihrem Tod wunschgemäß an Hercule Poirot gesandt wurde und das am besten die bezaubernde und gänzlich gewissenlose Dame charakterisiert.

Lieber Monsieur Poirot, ich habe hin und her überlegt und fühle, daß ich Ihnen schreiben muß. Wie ich weiß, veröffentlichen Sie bisweilen Berichte über Ihre Fälle. Aber haben Sie schon je einen Bericht von dem Täter selbst veröffentlicht? Ja, Monsieur Poirot, ich möchte gern, daß es all und jeder erfährt, wie ich es zuwege brachte. Auch heute denke ich noch, daß es gut eingefädelt war, und wenn Sie nicht gewesen wären, würde alles gut abgelaufen sein. Nicht wahr, Monsieur Poirot, Sie werden möglichst viele prominente Leute von dem Inhalt dieses Schreibens in Kenntnis setzen? Ich will, daß man sich meiner erinnert. Und ich denke, daß ich ein wirklich einzigartiger Mensch bin diese Meinung scheinen alle hier zu hegen.

Es begann in Amerika, als ich Mertons Bekanntschaft machte. Ich merkte sofort, daß er mich, wäre ich verwitwet, heiraten würde. Bedauerlicherweise hatte er ein sonderbares Vorurteil gegen die Scheidung, das ich zuerst zu bekämpfen suchte, aber ohne Erfolg. Und ich mußte vorsichtig zu Werke gehen, weil er ein leicht verletzbarer Mann war.

Bald gewann ich die Überzeugung, daß Lord Edgware einfach sterben mußte. Aber wie das veranlassen? Drüben in den Vereinigten Staaten kann man dergleichen viel leichter erledigen. Oh, wie habe ich gegrübelt und gegrübelt! und dann sah ich plötzlich Carlotta Adams' Vorstellung und gleichzeitig einen Weg. Mit ihrer Hilfe konnte ich mir ein Alibi verschaffen. Derselbe Abend führte mir Sie in den Weg, und es fiel mir ein, daß es nicht schlecht sei, wenn ich Sie zu meinem Mann schickte, damit Sie von ihm die Scheidung verlangten. Gleichzeitig wollte ich von der Absicht reden, Lord Edgware zu töten, denn ich habe immer bemerkt, daß niemand einem Glauben schenkt, wenn man in ziemlich einfältiger Weise die Wahrheit spricht. Bei Kontrakten habe ich dies Verfahren oft angewendet. Und es ist immer gut, dümmer zu erscheinen, als man ist. Bei meiner zweiten Begegnung mit Carlotta Adams brachte ich meinen Einfall zur Sprache. Ich gab an, es handele sich um eine Wette - und sie zeigte sich wundervoll gefügig. Sie sollte an meiner Statt eine Gesellschaft besuchen und hinterher zehntausend Dollar dafür erhalten. Wie sie sich begeisterte! Und einige gute Winke hinsichtlich des Kleiderwechsels, des Schminkens usw. verdanke ich ihr. Wegen Ellis konnten wir uns nicht bei mir umkleiden, und wegen ihres Mädchens nicht bei ihr. Carlotta begriff natürlich nicht, warum wir es nicht konnten. Das war der einzige etwas peinliche Augenblick. Ich sagte kurz und bündig nein. Und sie gab, obwohl sie mich wegen meiner dummen Grille ein bißchen auszankte, nach und erfand mit mir den Hotelplan, zu dem ich mich eines Ellis gehörigen Kneifers bediente.