Dreizehn Geschichten von Hexen und Zaubermeistern
Otfried Preußler
Der Wunsch, sich geheime Macht über Mensch und Tier zu verschaffen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Und wenn das mit Gottes Hilfe nicht zu erreichen ist, versucht man es eben mit seinem höllischen Widersacher. Der scheint gern bereit zu sein, solche Hilfe zu leisten. Nicht ohne Gegenleistung natürlich.
Autor
Otfried Preußler, Jahrgang 1923, stammt aus Reichenberg in Böhmen. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Rosenheim, war bis 1970 Volksschullehrer und widmet sich seither ausschließlich seiner literarischen Arbeit. Sich selbst mit Vorliebe als Geschichtenerzähler bezeichnend, ist er heute einer der namhaftesten und erfolgreichsten Autoren Deutschlands. Preußlers viel geliebte Kinder- und Jugendbücher haben inzwischen weltweit eine Gesamtauflage von über 43 Millionen Exemplaren erreicht und liegen in rund 250 fremdsprachigen Übersetzungen vor.
Ein Wort zuvor
Die Welt ist voller Geheimnisse, voller Rätsel und Überraschungen. Immer wieder geschah und geschieht es, dass sich im Leben des Menschen Dinge ereignen, die über seinen Verstand, über sein Verständnis hinausgehen. Denkwürdige Vorkommnisse solcher Art bilden Grundstoff und Nährboden der Volkssage. Von unerhörten Begebenheiten ist da die Rede, von staunenswerten Geschehnissen, von verblüffenden Wendungen, Glücksfällen, Schicksalsschlägen. Was mag wohl dahinter stecken? Der blinde Zufall, das Walten höherer Mächte? Himmlische Gnade oder die Tücke des Satans? Fragen über Fragen, auf die auch die Volkssage keine letzte Antwort gibt. Die Volkssage deutet Antworten höchstens an. Doch vielleicht macht gerade der Umstand, dass sie so vieles in geheimnisvoller Schwebe belässt, einen ihrer besonderen Reize aus.
Es gibt zahlreiche Sammlungen deutscher Volkssagen. Stellte man sie alle nebeneinander, so würden sie ganze Wände füllen. Wer sich näher mit ihnen beschäftigt, wird zu der Feststellung kommen, dass sich in der Welt der Sage bestimmte Themen, bestimmte Vorwürfe und Motive auffallend häufen. Sie treten an den verschiedensten Orten zu Tage, nicht selten in weit voneinander entfernten Landstrichen. Keine Geschichte unter den vielen, die einer der anderen völlig gliche, es gibt zwischen ihnen allen kleine und größere Unterschiede; manchmal beginnen zwei Varianten ein und derselben Sage verdächtig ähnlich, um bald schon in entscheidenden Zügen weit voneinander abzuweichen; manchmal führt eine überzeugend beginnende Fassung zu einem durchaus unbefriedigenden Abschluss, anderswo ist das gerade Gegenteil der Fall.
Seit langem trug ich mich mit der Absicht, die schönsten und interessantesten Volkssagen der deutschen Überlieferung und ihres Umfeldes auszuwählen und neu zu erzählen. Dabei war und ist es mein Plan, die unterschiedlichen Fassungen einzelner Geschichten miteinander zu verbinden, um mich auf diese Weise sozusagen dem Idealtyp der betreffenden Sage so weit wie möglich anzunähern. In der Praxis bedeutet das, etwa den überzeugenden Anfang einer Geschichte, die aus dem Sächsischen stammt, mit dem befriedigenderen Schluss zu versehen, wie er aus dem Thüringer Wald überliefert wird; und zwischendurch werden dann ein paar ergänzende Einzelheiten aus der Lausitz hinzugefügt, ein paar Farbtupfer aus dem Eichsfeld.
Ich bin ein Geschichtenerzähler, kein wissenschaftlicher Sagensammler. In diesem Buch will ich nichts weiter tun, als Geschichten erzählen - Geschichten, die ich aus dem einen oder anderen Grund für besonders erzählenswert halte. Dabei nehme ich mir ganz bewusst die Freiheit, mit den vorgefundenen Stoffen zu spielen, Überliefertes auf meine persönliche Art erzählerisch abzuwandeln, stets in der Absicht, das zu Erzählende rund und schlüssig zu machen.
Nach den Schatzgeschichten (OMNIBUS 26124) folgen nun dreizehn Geschichten von Hexen und Zaubermeistern.
Der Wunsch, sich geheime Macht zu verschaffen, Macht über Mensch und Tier, über das Reich der Natur und das Reich der Geister: Vermutlich ist er so alt wie die Menschheit selbst. Dahinter steckt die Verlockung der Schlange im Paradies, das Streben des Menschen, wie Gott zu sein, sich zum uneingeschränkten Herrscher über die Schöpfung aufzuschwingen. Und wenn das mit Gottes Hilfe nicht zu erreichen ist, versucht man es eben mit Gottes höllischem Widersacher, dem Satan. Der Böse scheint gern bereit zu sein, solche Hilfe zu leisten. Nicht ohne Gegenleistung natürlich. Der Pakt mit dem Teufel steht denn auch meistens am Anbeginn aller Geschichten, die uns von großen und kleinen Zauberern überliefert sind, von Hexen und Hexerichen. Und nur in seltenen Ausnahmefällen gelingt es dem einen, gelingt es der andern von ihnen, dennoch Erlösung zu finden ...
Bloß eine Unterschrift
Doktor Johannes Faustus, der weltweit berühmteste aller Zauberer Deutschlands, war ein Zeitgenosse Martin Luthers, stammte aus dem Schwäbischen und hat sich an mehreren hohen Schulen aufgehalten, wo er Theologie, Medizin und Astrologie, vermutlich auch Alchemie studiert hat. Später zog er als Wahrsager und Kurpfuscher durch die Lande und kam noch zu Lebzeiten in den Geruch, ein Meister der schwarzen Magie zu sein. An seinen Namen knüpfen sich zahlreiche Geschichten, die bereits 1587 unter dem Titel »Historia von D. Johann Fausten« erstmals im Druck erschienen sind, eine bunter und abenteuerlicher als die andere. Auch als Puppenspiel ist der »Doktor Faustus« landauf, landab in den verschiedensten Varianten auf Jahrmärkten und in Wirtshäusern gespielt worden. Johann Wolfgang von Goethe war es dann, der den »weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler« des Volksbuchs zum leidenschaftlichen Wahrheitssucher gemacht und ihm zu literarischem Weltruhm verholfen hat. Während Goethe jedoch seinen Helden in letzter Stunde Gnade und Vergebung finden lässt, ist dem Faust des Puppenspiels und der Sage ein schreckliches Ende beschieden: Pünktlich nach Ablauf der Frist wird er, wie vertraglich besiegelt, vom Teufel geholt. Und dabei hatte doch alles so überaus viel versprechend begonnen, damals in Wittenberg ...
Über das Studium der Theologie und der Astrologie war er an die geheimen Wissenschaften geraten. Wer ihm dann in Wittenberg das siebente Buch Mosis zugespielt haben könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander, vielleicht ist es schon der Teufel selber gewesen. Die schwarze Bibel! Lange Zeit hatte Faustus vergebens danach getrachtet, an sie heranzukommen. Jetzt hatte sein Wunsch sich endlich erfüllt.
Das verrufene Buch lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch. Sieben Nächte lang hatte der Doktor eifrig darin studiert, beim Schein einer schwarzen Kerze. Zuweilen hatte ihm bei der Lektüre vor Schauder und Staunen der Atem gestockt.
Die Seiten des Folianten waren mit magischen Zahlen, mit Zeichen und Formeln bedeckt. Was für ein Buch! Es schien wirklich zu halten, was Faust sich davon erhofft hatte. Es verschaffte ihm Zugang zu den geheimen Kräften, von denen die Dinge der Welt bewegt wurden. Und es verhieß ihm Macht über alle Geister.
Sieben Nächte lang hatte Faust sich darauf beschränkt, das Buch zu studieren. Heute war er dazu entschlossen, die Probe darauf zu machen. Mit Zirkel und Kreide hatte er auf dem Fußboden der Studierstube einen Kreis geschlagen - und innerhalb dieses äußeren Kreises zwei weitere: alle drei mit dem gleichen Mittelpunkt. Die Zwischenräume waren mit magischen Zeichen bedeckt, genau wie die schwarze Bibel es vorschrieb.