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Was sagst du dazu, Lissy?

Wäre das schön, wenn sie fragen könnte!

Lissy ist nämlich da. Sie ist mit Natascha gekommen. Lissy ist ihre achtzehnjährige Tochter und Natascha die ihres Mannes. Ja, sie glaubt, ihr Mann war schon einmal verheiratet, ehe sie zueinanderkamen. Sie mag Natascha fast genauso gern wie Lissy. Oder täuscht sie sich?

Die beiden haben einen Rollstuhl mitgebracht, mit dem sie sie mit nach Hause nehmen wollen. Bestimmt wollen sie sie mit nach Hause nehmen. Aber warum sieht sie den Rollstuhl nur, wenn sie die Augen schließt? Sie weiß es nicht. Wenn sie die Augen wieder öffnet, ist er fort. Ach, Lissy und Natascha sind ja auch schon weg! Schade …

Sie reckt sich noch einmal nach ihrem Bild, aber auch das ist nicht mehr da.

Sie glaubt, es trug einen schwarzen Flor.

Sie bekommt Joghurt zu essen.

Sie hat sich die Magensonde herausgerissen???

Ungläubig hat die Blonde bei der Dunkelhaarigen nachgefragt.

Nun muss sie gefüttert werden.

Sie grinst schadenfroh.

Was grinsen Sie so?

Sie weiß, warum sie grinst.

Sie wird es der doch nicht sagen!

Das schwarz umflorte Bild steht in einem langen weißen Zelt auf einem Tisch, ganz vorn. Dahinter Stuhlreihen. Von wo aus sieht sie das eigentlich? Sie glaubt, sie schwebt unter der Zeltdecke.

Langsam füllen sich die Reihen. Ganz vorn ihre Eltern. Ach, da sind ja auch ihre Schwiegereltern! Schön, euch zu sehen. Ihre Kinder. Seine. Drei haben ihr Mann und sie gemeinsam, außerdem hat jeder zwei andere. Onkel Willi kommt, er ist schon über achtzig. Seine Frau Urte. Tante Stössel, Cousine Tabea, Tante Usch — aber ist die denn nicht schon lange tot? Sie wundert sich. Onkel Karl. Tante Karla. Kira und Kaja, derenTöchter. Da ist Max, der Vater ihres zweiten Sohnes, dessen Namen sie jetzt wieder weiß: Bill! Ach, Billy, kleines Billchen … Die beiden Ritas, Pietro, Elke, Carmen, Yvonne, Ingo — so viele Leute, da wird es ja ganz voll! Was wird hier denn gefeiert werden?

Gespannt schaut sie zum Eingang, aber nichts passiert. Die Leute schweigen, reden nicht miteinander. Überhaupt: Sie sehen irgendwie traurig aus.

Jemand zieht an ihren Beinen. Sie sieht sich um. Ach, ihr Mann. Er will sie durch eine Luke an der Stirnwand des Zeltes hinausziehen, aber das braucht er nicht. Sie schlüpft selbst aus dem Zelt. Ihr Mann umarmt sie. Er sagt, dass die Leute auf ihre Begräbnisfeier warten, aber dass sie sich ganz schön geschnitten haben, denn die wird nicht stattfinden.

Schau mal, wen ich mitgebracht habe!

Sie dreht sich um. Kann sich gar nicht rühren vor Freude. Es ist Sulagna! Letztes Jahr in Indien hat sie Sulagna kennengelernt. Sulagna ist fünf oder sechs Jahre alt, so genau weiß man das nicht, denn man hat sie auf der Straße gefunden mit madenzerfressenen Nackenwunden. Wollten sie Sulagna nicht adoptieren? Ach Sulagna, dass du jetzt hier bist …

Sie möchte sie drücken, aber Sulagna macht eine entschiedene Geste: Sie hält sie mit erhobenen Händen auf Abstand, legt dann einen Finger auf den Mund. Was ist das, warum kann Sulagna sie so dirigieren? Jetzt legt sie sie flach auf den Boden, hebt ihren rechten Fuß mit beiden Händen ein Stückchen hoch und hält ihn fest. Sulagna wartet. Der Mann sitzt mit gespanntem Gesicht ein Stück abseits. Plötzlich spürt sie, wie ein Sog sie zurück ins Zelt ziehen will. Nur eine Luke in einem Stück Stoff trennt sie von ihrer eigenen Begräbnisfeier. Sie lacht. Der Sog wird stärker und stärker, aber Sulagna sitzt still und hält ihr Bein. Was für eine Kraft das Mädchen aber auch hat! Der Sog kann einfach nichts ausrichten gegen die Kleine. Ihr ist es eigentlich egal, wie das ausgehen wird.

Wie lange soll denn das dauern? Ob sie nicht erst einmal eine Runde schlafen sollte?

Sulagna scheint es geschafft zu haben. Noch immer ist sie unter den Lebenden, oder?

Bestimmt hat Matthes sie mit nach Hause genommen. Nun haben sie also ein sechstes Kind.

Matthes? Er heißt Matthes!

Mads.

Sie öffnet die Augen und blickt ins Gesicht der Dunkelhaarigen.

Na sehen Sie, das erste Wort ist gesagt, nun wird es auch weitergehen.

Mads? Mads! Mads, Mads, Mads, Mads …

Das soll sie gesprochen haben? Ihre Stimme klingt brüchig. Kein E zu hören, und das S stimmhaft gesummt nach einem D, statt es nach dem E klacken zu lassen.

Matthes kommt jetzt öfter.

Oder kommt er jetzt etwa genauso oft wie früher, nur hat sie immer geschlafen? Keine schöne Vorstellung.

Matthes nimmt jedes Mal, wenn er kommt, einen Verband vom rechten Auge, ehe er an ihr Bett tritt.

Sie würde ihn gern fragen, wie sie hierhergekommen ist, sie weiß es einfach nicht mehr. Solche komplizierten Sachen kann sie aber nicht sagen.

Sie sagt:

He, Mads!

oder

Mads, gutag!

Er versteht es. Er versteht es! Ihr Ehrgeiz ist entfacht.

Bist Eulen?

, fragt sie ihn. Er guckt. Überlegt er?

Ruft plötzlich:

Ja, bin Eulen! Ja, ja!

Sie könnte nicht

Jandl

sagen, denkt sie. Nicht

Mayröcker

.

Glück gehabt.

Bist Eulen?

rutschte ziemlich leicht heraus.

Yvonne Kiering ist nicht mehr da. Sie ist wieder allein.

Wieder?

Der Hinternabwischer hat sie heute entschlaucht.

Einen Schlauch aus der Blase gezogen.

Den Schlauch von der Hand entfernt. (

Die Braunüle bleibt aber!)

Es kommt ihr so vor, als würde auch aus der Leistengegend einiges entfernt werden.

Er gibt ihr ein Gerät, in das sie hineinblasen soll. Die Kugeln, die darin sind, müssen dadurch auf das nächsthöhere Niveau befördert werden. Sie versucht es. Scheitert kläglich.

Außerdem gibt es ein kleines Brettchen mit vier Federn darauf. Das soll sie in die Hand nehmen und die Federn zusammenpressen, mit jedem Finger eine. Sie will mit der rechten Hand danach greifen, aber das gelingt nicht.

Geht nicht.

Warum geht es denn nicht?

Rechte Hand nicht.

Nehmen Sie doch die linke!

Warum?

Hat er die Frage verstanden? Wird er ihr eine Antwort geben? Warum kann sie ihre rechte Hand nicht bewegen?

Er gibt keine Antwort. Stattdessen nimmt er lächelnd ihre linke Hand und presst die Federn zusammen. Mit ihren Fingern.

Was ist eigentlich eine Braunüle?

Der Trupp kommt.

Heute werden Sie verlegt.

Verlegt? Was heißt verlegt? Wollen die nachher etwa so tun, als könnten sie sich nicht mehr daran erinnern, wo sie sie entsorgt haben? Ihre Angst — da ist sie ja wieder.

Guten Tag, Angst.

Schön, dass du mich besuchen kommst.