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habe, sich da reinzuhängen, dass sie aber geglaubt hätte, sich nicht mehr verlieben zu können, und da hätte ihr Helene einen gehörigen Strich durch die offenbar voreilig veranschlagte Rechnung gemacht. Sie schämte sich dennoch kein bisschen, nicht der Männer-Fotoaktion noch der dussligen Zustände, in die sie immer wieder geraten wäre, so ohne Helene und doch ganz mit ihr, so

himmelhochjauchzendzutodebetrübt

, so einfordernd und wieder weichend, so vor und zurück. So sei das eben, sie wäre aus der Übung im Lieben. In letzter Zeit hätte sie sich dann zu dem Gedanken verstiegen, Frauenliebe liefe doch außer Konkurrenz, wäre keine Gefahr, für nichts, für niemanden, und wenn sie, Helene, das auch so sehen könnte, müssten sie doch niemandem sagen, wie es um sie bestellt wäre, oder? Ein Tag in der Woche würde reichen, ach, was sagte sie, einmal im Monat! alle zwei Monate! sie könnte warten, würde warten, würde doch niemandem etwas wegnehmen, sondern ihr, Helene, höchstens etwas schenken wollen! Ganz klein wurde sie bei dieser Rede, schrumpfte unter Helenes ungläubigem Blick, den sie in Dackelmanier erwiderte, und Helene mochte nicht glauben, dass es Maljutka Malysch war, die gesprochen hatte. Dass es Maljutka Malysch war, die

kein Recht

zu haben glaubte, sich in Helenes Beziehungen reinzuhängen, dabei hatte Helene selbst sie mitten hineingehängt, ihr eine Gloriole verpasst und sie über allem segeln lassen, was Gott werden ließ im letzten halben Jahr. Nein, Maljutka. Du hast sehr wohl das Recht, das Recht zu haben. Helene hatte ihr sagen wollen, wie sie sie heute zum ersten Mal, auf Anhieb, gesehen hatte: Als Frau, nicht als

Neutrum

oder

kastrierten Kerl

, wie es ihr zuvor einfach passiert war, sie hatte das gar nicht ändern können, etwas anderes als abwarten hätte nichts gebracht, glaubte sie zu wissen, aber gleichzeitig wurde es ihr auf der Stelle zu viel, Maljutka das zu erklären und ihr damit das Hoffen zu stärken, das sie ihr hatte nehmen wollen; den ganzen Weg, die lange S-Bahn-Fahrt über hatte sie nach den

richtigen

Worten gesucht, den Abschied plausibel zu machen, den sie Maljutka zu geben vorhatte. Den vorläufigen, versuchsweisen, unter Vorbehalt stehenden, zeitweiligen, vorübergehenden, experimentellen, behelfsmäßigen, provisorischen, den Abschied bis auf Weiteres, zur Probe, bis auf Widerruf, den Interimsabschied. Das noch leicht geöffnete Türchen fest im Blick. So ein Türchen sollte der Abschied schon offen lassen, es war, als wollte sie, wenn schon nicht den Fuß, so aber doch den Schuh dort stehen lassen. Schon aber fragte sie sich, wovon sie sich in diesem Falle zu verabschieden hatte. Von täglichen, mitunter sogar mehrmals täglich gewechselten Mails? Von Nichttagen und Nichtnächten, die sie miteinander hatten? Wie lange hatten sie einander schon nicht mehr gesehen? Das letzte Mal war ihre Märznacht gewesen, danach hatte Maljutka

ihr

den Abschied gegeben, jedenfalls hatte das anfangs so ausgesehen, bis dann wieder täglich die Mails eintrafen und abgingen und alles zurückgeschnippt war in den früheren Zustand der ausgesprochenen, ungelebten Liebe, der für Helene zu einem des ungeliebten Lebens zu werden drohte, wenn sie ihm nicht irgendwie Einhalt gebot. Nicht mit Abstand ordnete, was der Ordnung weit abstand, jedenfalls der in Jahrzehnten eingeübten Matthesordnung, die sie nie grundsätzlich hinterfragt hatte. Ja, sie war durcheinander, und eine devote, fußfällige Maljutka war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Jetzt merkte sie, dass es gerade Maljutkas stacheliges, widerborstiges Wesen gewesen war, das sie

gereizt

hatte, bis aufs Blut sozusagen, nicht etwa ihre schlecht zu versteckende Männlichkeit oder der breite, ausufernde Schritt, den sie zeigte, wenn es ihr nicht darauf ankam. Helene selbst war nie widerborstig und stachelig gewesen, sondern dem Muster des anschmiegsamen Weibchens nur halbherzig entwachsen. Zwar konnte sie für ihre Rechte, beruflich und politisch zum Beispiel, einstehen, hatte das früh gelernt und sich auch nichts vormachen lassen, aber im persönlichen, privaten Bereich zog sie schnell die Fühler ein und sich zurück in die Muschelschale, wenn die Harmonie auf der Kippe stand und durch einen Verzicht zu retten war.

Eine servile Maljutka war undenkbar, unvorstellbar. Sollte ihr doch nicht die Finger lecken, wenn sie die gnädig, einmal im Quartal? rüberreichte! So hatten sie nicht gewettet, Helene wurde geschüttelt, schüttelte sich, eine Welle des Widerwillens brach sich an ihrem eben noch klaren Blick, und hätte Maljutka ihr nicht erschrocken die Hand auf den Unterarm gelegt, so wäre das Ganze womöglich in eine Art Schüttellähmung ausgeartet …

Sie muss lächeln bei diesem Gedanken, das stimmt sie versöhnlich. Mit dem, was man Schicksal nennt? So weit würde sie vielleicht nicht gehen. Aber mit dem heutigen Tag, der eben heraufkriecht und rote Streifen ins Schwarz, ins Grau malt, der ihr gestattet hat, sich ein ernst zu nehmendes Stück der Vergangenheit wiederzuholen, muss sie nun nicht so hart ins Gericht gehen wie mit dem gestrigen.

Sie dreht sich zur Seite, kann sogar noch einmal einschlafen, aber erst, als sie ein hartes, sperriges Stück Plastik aus dem Slip gefischt hat. Sie legt es unters Kopfkissen.

Maljutkas Gesicht, kantig, nun mit einem Halbrähmchen aus kurzem Aschblond, die schmale Nase der glänzenden Stellen wegen gepudert, kommt immer mit, wenn Helene an diesem Morgen in der Klinik unterwegs ist. Während der Ergotherapie versucht sie verbissen, eine Steckaufgabe zu bewältigen. Sie kennt die Ergotherapeutin, eine Arztgattin, die früher mit Mann und Sohn im Henrichshorster Ärztewohnhaus lebte. An den Sohn kann sich Helene gut erinnern, er hieß Ben und lernte in der Musikschule die Violine spielen, hatte im letzten Kindergartenjahr damit begonnen. Er besuchte mit Bengt den Kindergarten, war ein früher Freund. Wann waren sie aus Henrichshorst weggezogen? Vor siebzehn Jahren. Jahre, in denen Helene sich sehr verändert haben muss, denn die Ergotherapeutin erkennt sie nicht. Dabei hatte sie in deren Augen zum

qualifizierten Personal

gehört. Seltsam, in solchem Wissens-Ungleichgewicht hier zu sitzen und zu versuchen, diese verdammten Steine nacheinander in das Steckbrett zu befördern. Manchmal gelingt es Helene, ein Steinchen fest genug zu greifen, dass es ihr nicht aus der Hand fällt. Ein- oder zweimal hat sich der rechte Arm unter Aufbietung aller Kräfte ein Stück über den Tisch schieben lassen, aber dann muss die Therapeutin zum Einstecken ins Brett ihren Arm führen, der sich selbst einfach nicht mehr bewegen will. Ob sie der Frau ein Gespräch über alte Zeiten aufnötigen sollte? Ihr die Schuppen aus den Haaren fallen zu sehen, würde ihr schon Spaß machen. Andererseits ist es aber auch nicht schlecht, etwas über eine andere Person zu wissen, was diese wiederum nicht weiß. Maljutka, was meinst du? Maljutka plinkert geradezu verschwörerisch, mit aller ihr zu Gebote stehenden und von Helene so bewunderten Frechheit, zu ihr herüber, wenn sie die Augen schließt.

Oh, ist Ihnen nicht gut? Wollen wir Schluss machen?

Die Stimme der Arztgattin (

Trautenau

liest Helene auf dem Schild an deren Kittel, sie heißt also wie damals und hat demzufolge nicht erneut geheiratet) lässt sie die Augen wieder aufschlagen,

neinnein

, beeilt sie sich,

alles gut.

Überlegt, wartet einen Augenblick.

Aber doch, ja, wir können auch Schluss machen …

Frau Trautenau ist eine hochnäsige Person. Vor siebzehn Jahren hatte sie nicht gearbeitet, das war seltsam und unüblich gewesen für eine Frau mit einem Kind im Kindergartenalter. Heute arbeitet sie. Muss sie? Heute ist es für sich selbst so bezeichnende Arztgattinnen viel eher üblich, nicht zu arbeiten, auch wenn längst keine kleinen oder größeren Kinder mehr um sie sind. Ist ihr der Mann auf und davon? Und was ist aus ihrem Sohn geworden? Ist er ein Einzelkind geblieben? Helene erinnert sich an die Überheblichkeit, mit der sie vor versammelter Elternschaft im Kindergarten auf das Violinspiel des Sohnes verwiesen und ihn zum Elternabend hatte auftreten lassen, ein kleiner, blasser, bekümmert aussehender Eleve, der auch nach Beendigung seines erbärmlich hingekratzten Stückes kein Lächeln zwischen die Lippen bekam. Leid hatte er ihr getan, und sofort hatte sie am lautesten geklatscht und sogar