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06.05.2002 17:50

Herzallerliebstes haltloses Hellebarden-Helenchen

trotzdem: Du bist es. Du hast wohl von kalten Erbsen geträumt, als Du meintest, Du müsstest mich vergessen lassen, was Du vergessen möchtest? Das ist ein völlig überflüssiges Unterfangen, das kannste, glaub’ ich, glauben. Es ist Mai, der Monat der Liebe, in dem die Kerle der Sage nach brünstig werden und die Mädels mit offenen Blusen rumrennen. Wenn ich hier aus dem Haus schaue, sehe ich nur pastellene, hochgeschlossene Rentnerinnen, Seniorinnen, wie man heute so sagt, und die wenigsten haben ein Männel am Rockzipfel. Das liegt an der Gegend, ich weiß, in die mich das Amt verfrachtete, als es mir diese Sozialwohnung zuwies, aber in dieser Gegend fühle ich mich älter, als ich bin. Und das ist gut so. Ich denke öfter an ein Ende. Aber ein schönes! Wie zur Bestätigung kamen heute früh — meine Söhne … Ich hatte ihnen ja zum achtzehnten Geburtstag ihre allerersten Schuhe, die ich immer bei mir aufbewahrt hatte, geschickt und sie eingeladen, mit mir in Theater, Konzert oder Kneipe ihrer Wahl zu gehen, und siehe da: Sie standen vor meiner Tür. Ach, war das schön! Anfangs scheu, öffneten sie sich schneller, als ich in meinen kühnsten Träumen gehofft hatte, sie sprachen und sprachen und sprachen, als müssten sie ihre Kindheit neu erfinden im Angesicht der Volljährigkeit. Zwei hübsche Burschen sind das, lang und schlank, mit halblangem, lockigem Haar und Brille. Tim hat eine Nahsichtbrille, Tom eine für die Ferne. Ist das nicht seltsam? Wo sie einander gleichen wie ein Jackenknöpfchen dem anderen? Was meinst Du, wie überrascht und geradezu ehrfürchtig sie waren, mein frisch gestrichenes, ordentliches Wohnzimmer zu sehen! Vielleicht dachten sie, da sieht es immer so aus, hihihi! Ich habe sie natürlich in dieser Illusion belassen, so weit geht meine Vaterliebe nicht. Vaterliebe … Oh oh, ich könnte das Wort wahrscheinlich nicht aussprechen, bekomme es auch nur sehr schwer in den geschriebenen Text, doch es trifft in diesem Fall ja mehr als die mütterliche Variante, oder? Null Ahnung … Mutterliebe … Mutterliebe … Auch dieses Wort kriegte ich im Hinblick auf mich selbst wohl kaum durch die Zähne, gibt es nicht ein singuläres Neutrum wie im Plural Eltern? Andererseits: Ich bin ja kein singuläres Neutrum! Auch wenn ich oft genug so tue, Du weißt schon, um mir Getuschel und Schrägblick nicht über Gebühr anzutun … Da ich im Hier und Jetzt lebe, beschließe ich einfach, eine Mutter mit Vaterliebe zu sein, alles andere liegt hinter mir. So. Sie nennen mich Viola, sagen aber Vater zu mir, und das finde ich schließlich auch irgendwie stimmig. Ach Helene, ich bin ganz besoffen, und das ohne Alk! von der Aussicht, meine Söhne auf meine alten Tage noch um mich haben und sie ein bisschen betutteln zu können! Ganz zitterig um die Beene, ganz flatterig ums Herze! Das letzte Jahr hat’s verdammt gut gemeint mit mir, es ist, als hättest Du meine Söhne im Schlepptau gehabt, als ich Dich traf. Meinst Du denn, ich hätte ihnen die Schuhe ohne Dein Zureden geschickt? Das letzte Andenken? Das, was ich niemals fortgeben wollte und nun vielleicht wirklich tausendfach zurückbekommen kann, wenn ich’s nicht vergeige? Du bist es, Helene, und meine Söhne sind es, und ich traue mir sogar zu, Dich jetzt loslassen zu können, weil Du Dich verewigt hast in mir, Du kommst da ohnehin nicht mehr raus. Ein schönes Gefühl, wenn ich mir ausmale, Du hockst mir im Leib, überm Magen, und so den beiden neu zu begegnen, ihre Köpfe zur Brust zu nehmen und zu wissen: Auch Du kannst sie spüren, kannst mir das Ding mit der Vatermutterliebe einfach so abnehmen und aus meinem Herzschlagen folgern, wie glücklich ich bin.

Und jetzt mach ich mir eine Flasche Wein auf, billiger roter müsste noch da sein. Ansonsten weißt Du jetzt, was Du auf den Weg gebracht hast, ich werde Dir Deine Ruhe lassen, wie Du mir meine gabst.

Deine Machsmalgutmaljutka

Es kommt, es kommt.

Trotzdem, Du bist es!

Der Ruf gellt plötzlich nach in ihren Ohren, Maljutka hatte hinter ihr hergebrüllt, nicht einmal, nein, sie war ganz außer sich geraten und aufgestanden, hatte mit dem Arm in der Luft herumgefuchtelt und immer wieder gerufen, was Helene so gar nicht hatte hören wollen an diesem späten Vormittag. Sie hatte ihn für einen verunglückten gehalten, weil sie Maljutka abserviert hatte, nachdem sie in einen heftigen Disput geraten waren. Was für ein Bild mussten sie abgegeben haben! Die fuchsteufelswilde Stachelmaljutka hatte es sich nicht nehmen lassen, mehrmals mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, was für Verträglichkeitshelene ein Spießrutenlaufen gewesen war, trotz der wenigen Leute im Café. Sie hatte ihr sagen wollen, dass sie zuletzt auch noch ihre Korrespondenz ruhen lassen sollten, bis Helene eine Lösung gefunden hatte, mit Matthes oder ohne Matthes,