Geh durch, Scheißteil, geh durch!
GEH DURCH!
21
Freddy Johnson richtete sein Sturmgewehr auf das Innere des Humvee, während Kurtz, der sich schlauerweise hinter ihm aufhielt (in dieser Hinsicht war es genau wie beim Angriff auf das Raumschiff der Grauen), abwartete, wie sich die Dinge entwickelten.
»Zwei Männer, Boss. Sieht so aus, als hätte Owen noch schnell Ballast abgeworfen.«
»Tot?«
»Sehen ziemlich tot aus. Das sind Devlin und dieser andere, den sie abgeholt haben.«
Kurtz kam zu Freddy, warf schnell einen Blick durch das zerschossene Fenster und nickte. Auch für ihn sahen sie ziemlich tot aus, zwei weiße Maulwürfe, die da beieinander auf der Rückbank lagen, von Blut und Glassplittern bedeckt. Er hob seine Dienstpistole, um da ganz sicher zu gehen - ein zusätzlicher Kopfschuss konnte nicht schaden -, und ließ sie dann wieder sinken. Owen hatte ihren Motor vielleicht nicht gehört. Der feuchte Schnee fiel in unglaublichen Mengen, wirkte wie eine akustische Decke, und das war durchaus möglich. Aber Schüsse würde er hören. Er drehte sich zu dem Pfad um.
»Gehn Sie voran, Bursche, und passen Sie auf, wohin Sie treten - sieht rutschig aus. Und wir haben immer noch das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Das sollten wir im Hinterkopf behalten, nicht wahr?«
Freddy nickte.
Kurtz lächelte. Das verwandelte sein Gesicht in einen Totenschädel. »Mit ein wenig Glück, Bursche, ist Owen Under-hill in der Hölle, ehe er auch nur merkt, dass er tot ist.«
22
Die Fernbedienung für den Fernseher, ein schwarzes, mit Byrus überwuchertes Plastikrechteck, liegt auf Mr. Grays Nachttisch. Jonesy nimmt sie. Mit einer Stimme, die sich unheimlicherweise wie die des Bibers anhört, sagt er »Jetzt reicht's« und knallt sie mit aller Kraft auf die Nachttischkante. Die Fernbedienung splittert, die Batterien fliegen heraus, und Jonesy hält nur noch einen gezackten Plastikstab in der Hand.
Er greift unter das Kissen, das Henry dem um sich schlagenden Wesen aufs Gesicht drückt. Er zögert noch für einen Moment und denkt an seine erste Begegnung mit Mr. Gray -seine einzige Begegnung mit ihm. Wie er plötzlich den Knauf der Badezimmertür in der Hand hatte, als die Achse des Schlosses gebrochen war. Dieses Gefühl von Dunkelheit, als der Schatten dieses Dings auf ihn fiel. Damals war es absolut real gewesen, so real wie Rosen und Regentropfen. Jonesy hatte sich umgedreht, und da hatte er ihn ... es ... das gesehen, was Mr. Gray gewesen war, ehe er dann Mr. Gray wurde ... es hatte da im großen Hauptraum ihrer Hütte gestanden. Das Thema hunderter Filme und Dokumentarsendungen über »unerklärliche Phänomene« - bloß eben alt. Alt und krank. Im Grunde schon reif für dieses Krankenhausbett hier auf der Intensivstation. Marcy, hatte es gesagt, hatte Jonesy dieses Wort direkt aus dem Gehirn gepflückt. Hatte es herausgezogen wie einen Korken. Und sich so ein Loch geschaffen, durch das es ein-dringen konnte. Und dann war es aufgeplatzt wie ein Tischfeuerwerk an Silvester, hatte statt des Konfettis Byrus versprüht, und ...
... und den Rest habe ich mir nur eingebildet. So war es doch, nicht wahr? Das war doch nur wieder ein Fall von intergalaktischer Schizophrenie, nicht wahr? Ja, im Grunde läuft es darauf hinaus.
Jonesy!, ruft Henry. Wenn du es tun willst, dann tu es jetzt!
jetzt zeig ich's dir, Mr. Gray, denkt Jonesy. Mach dich bereit. Denn Rache ist -
Mr. Gray hatte Lad schon halb durch die Lücke gezwängt, als Jonesy Stimme plötzlich seinen Kopf erfüllte.
Jetzt zeig ich's dir, Mr. Gray. Mach dich bereit. Denn Rache ist Blutwurst!
Durch Jonesys Kehle fuhr ein fürchterlicher Schmerz. Mr. Gray hob Jonesys Hände und gab ein würgendes Grunzen von sich, das man nicht so recht als Schrei bezeichnen konnte. Er fühlte nicht mehr die bartstoppelige, unversehrte Haut von Jonesys Kehle, sondern sein eigenes zerfetztes Fleisch. Und vor allem empfand er ganz deutlich schockierte Fassungslosigkeit - das war das letzte von Jonesys Gefühlen, auf das er noch zurückgreifen konnte. Das kann doch einfach nicht sein. Sie kamen immer mit den Schiffen der Alten, diesen Artefakten; sie hoben immer, wie um sich zu ergeben, die Hände; und jedes Mal siegten sie. Das konnte doch einfach nicht sein.
Und doch war es so.
Das Bewusstsein des Byrums erlosch nicht, sondern löste sich eher auf. Sterbend kehrte das als Mr. Gray bekannte Wesen in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Als aus ihm wieder es wurde (und kurz bevor aus dem es dann nichts wurde), verpasste Mr. Gray dem Hund einen letzten heftigen Stoß. Er rutschte weiter durch die Lücke ... fiel aber immer noch nicht in den Schacht.
Der letzte von Jonesy inspirierte Gedanke des Byrums war: Ich hätte ihn beim Wort nehmen sollen. Ich hätte ein Mensch -
24
Jonesy schlitzt mit dem gezackten Ende der Fernbedienung Mr. Gray die nackte, lappige Kehle auf. Die Haut klafft wie ein Mund, und eine Wolke aus rötlich orangefarbenen Partikeln pufft heraus, färbt die Luft blutrot und geht dann als Schauer aus Staub und Fusseln auf der Tagesdecke nieder.
Mr. Grays Körper zuckt unter Jonesys und Henrys Händen noch einmal wie unter einem Stromstoß zusammen. Dann vergeht er wie der Traum, der er immer war, und verwandelt sich dabei in etwas Vertrautes. Jonesy ist es für einen Moment nicht klar, aber dann geht es ihm auf. Mr. Grays Überreste sehen aus wie eines der hingeworfenen, benutzten Kondome, die sie auf dem Boden des verlassenen Büros im Lagerhaus der Gebrüder Tracker gesehen haben.
Er ist -
— tot!, will Jonesy eben sagen, doch dann durchfährt ihn ein verheerender Schmerz. Diesmal ist es nicht seine Hüfte, sondern sein Kopf. Und seine Kehle. Plötzlich trägt er ein Halsband aus Feuer. Und der ganze Raum ist durchsichtig. Er kann es nicht fassen. Er sieht durch die Wand und in das Schachthaus hinein, wo der Hund, der in der Lücke festhängt, eben ein widerwärtiges rotes Wesen zur Welt bringt, das aussieht wie eine Kreuzung aus einem Wiesel und einem riesigen blutbedeckten Wurm. Er weiß ganz genau, was das ist: ein Byrum.
Mit Blut und Kot und den Resten seiner membranartigen Plazenta überzogen und mit seinen hirnlosen schwarzen Augen glotzend (es sind seine Augen, denkt Jonesy, Mr. Grays Augen], wird es da eben geboren, streckt seinen Körper heraus, will sich frei machen, will in die Dunkelheit hinabspringen und dem Rauschen des Wassers folgen.
Jonesy sieht Henry an.
Henry erwidert seinen Blick.
Nur für einen Moment begegnen sich die entsetzten Blicke ihrer jungen Augen ... und dann sind auch sie verschwunden.
Duddits, sagt Henry. Seine Stimme kommt aus weiter Ferne. Duddits stirbt Jonesy...
Leb wohl. Vielleicht wollte Henry Lebewohl sagen. Ehe er dazu kommt, sind sie beide weg.
Jonesy wurde kurz vom Schwindel gepackt, als er im Nirgendwo war - das Gefühl, von allem abgeschnitten zu sein. Er dachte, das wäre der Tod und er hätte mit Mr. Gray auch sich selbst umgebracht, hätte sich selbst die Kehle aufgeschlitzt.
Dann brachte ihn der Schmerz zurück. Nicht in seiner Kehle, der war vergangen, und er konnte wieder frei atmen -er hörte sich selbst in tiefen trockenen Atemzügen ein- und ausatmen. Nein, dieser Schmerz war ein alter Bekannter. Er kam aus seiner Hüfte. Er packte ihn und schleuderte ihn an seiner geschwollenen, quietschenden Achse zurück in die Welt. Er kniete auf Beton, hielt ein Tierfell gepackt und hörte ein unmenschliches Kreischen. Wenigstens ist das hier die Wirklichkeit, dachte er. Das ist jetzt außerhalb des Traumfängers.
Dieses abscheuliche Kreischen.
Jetzt sah Jonesy das Wieselwesen über der Dunkelheit baumeln, in dieser Welt hier oben nur noch von seinem Schwanz gehalten, der sich noch nicht ganz aus dem Hund gelöst hatte. Jonesy stürzte sich nach vorn und schnappte sich den glitschigen, zuckenden Leib in der Mitte, und in diesem Moment löste es sich ganz aus dem Hund.