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McCarthy hatte eben seinen Löffel gehoben. Nun ließ er ihn wieder in die kaum angerührte Suppe sinken und hob in fast mädchenhafter Verlegenheit die rechte Hand vor die Versehrte Wange. »O Mann, das tut mir Leid!«

»Aber was denn - hier draußen ist mehr Platz als da drinnen«, sagte Biber, aber da plapperte einfach nur sein loses Mundwerk vor sich hin, und Jonesy sah, dass Biber über den Gestank ebenso entsetzt war wie er selbst. Es war nicht dieser schweflige Gestank von faulen Eiern, bei dem man lachte, die Augen verdrehte, mit der Hand vor dem Gesicht wedelte und kreischte: O Gott, wer hat denn den Käse angeschnitten? Und es war auch keiner dieser nach Methan riechenden Sumpfgas-Fürze. Es war ein Gestank, den Jonesy auch an McCarthys Atem wahrgenommen hatte, nur stärker - eine Mischung aus Äther und überreifen Bananen, wie das Startfix, das man an kalten Morgen in den Vergaser sprühte.

»Ach je, das ist ja wirklich schlimm«, sagte McCarthy. »Das tut mir wirklich fürchterlich Leid.«

»Schon gut«, sagte Jonesy, aber sein Magen hatte sich zu-sammengekrampft, wie um sich vor einem Überfall zu wappnen. Sein Lunch würde er nicht aufessen; das war jetzt völlig undenkbar. Er stellte sich normalerweise bei Fürzen nicht an, aber dieser hier stank nun wirklich.

Der Biber stand vom Sofa auf und öffnete ein Fenster, ließ Schnee hereinwirbeln und gesegnete frische Luft. »Mach dir deshalb keinen Kopf, Mann ... aber der war nun echt schon ziemlich überreif. Was hast du denn gegessen? Murmeltierkötel?«

»Blätter und Moos und solche Sachen, ich weiß es nicht genau«, sagte McCarthy. »Ich war einfach so hungrig, wissen Sie, ich musste irgendwas essen, aber ich kenne mich da nicht aus, habe nie ein Buch von Ewell Gibbons gelesen ... und es war natürlich dunkel.« Das sagte er, als wäre es ihm eben erst eingefallen, und Jonesy schaute zu Biber hinüber und wollte sehen, ob der Biber wusste, was Jonesy wusste: dass McCarthy log. McCarthy wusste nicht, was er im Wald gegessen hatte und ob er überhaupt etwas gegessen hatte. Er wollte einfach nur diesen grässlichen, unerwarteten Monsterfurz erklären. Und den folgenden Gestank.

Es gab wieder einen Windstoß, eine mächtige Böe, die ein kleines Schneegestöber zum offen stehenden Fenster hereinwehte, aber wenigstens wälzte der Wind auch die Luft im Zimmer um, Gott sei Dank.

McCarthy beugte sich abrupt vor, wie von einer Sprungfeder angetrieben, und als er dann da hing, mit dem Kopf zwischen den Knien, ahnte Jonesy schon, was jetzt kommen würde; mach's gut, Navajo-Teppich, war schön mit dir. Der Biber dachte eindeutig in die gleiche Richtung; er zog die ausgestreckten Beine ein, damit sie nicht vollgespritzt wurden.

Doch statt Erbrochenem entwich McCarthy ein lang gedehntes, tiefes Brummen - es klang wie eine völlig überlastete Fabrikmaschine. McCarthys Augen traten wie Murmeln yor, und seine Wangen waren so gespannt, dass sich unter seinen Augenwinkeln kleine halbmondförmige Schatten bildeten. Das ging so immer weiter, ein Knurren und Schnarren, und als es endlich aufhörte, kam einem der Generator draußen viel zu laut vor.

»Ich hab ja schon ’ne Menge Monsterrülpser gehört, aber der war nun wirklich einsame Spitze«, sagte Biber. Es klang aufrichtig respektvoll.

McCarthy lehnte sich auf dem Sofa zurück, die Augen geschlossen und die Mundwinkel gesenkt zu einem Ausdruck, in dem Jonesy Scham oder Schmerz oder beides zu entdecken meinte. Und wieder nahm er diesen Geruch von Bananen und Äther wahr, ein gärender Geruch, als ob etwas gerade eben schlecht wurde.

»O Gott, das tut mir so Leid«, sagte McCarthy, ohne die Augen zu öffnen. »Das mache ich schon den ganzen Tag, seit es hell geworden ist. Und ich habe auch wieder Bauchschmerzen. «

Jonesy und der Biber schauten einander schweigend besorgt an.

»Weißt du, was ich glaube?«, meinte Biber. »Ich glaube, du solltest dich mal hinlegen und ein bisschen pennen. Du warst wahrscheinlich die ganze Nacht lang wach und hast auf diesen blöden Bären gelauscht und wer weiß auf was sonst noch. Du bist übermüdet und fertig und überhaupt. Du musst einfach mal ein bisschen Bubu machen, und in ein paar Stunden bist du wieder frisch wie der Morgentau.«

McCarthy sah Biber so hundserbärmlich dankbar an, dass sich Jonesy ein wenig genierte zuzuschauen. Obwohl McCarthys Teint immer noch bleiern war, war er in Schweiß ausgebrochen, große Tropfen, die sich auf Stirn und Schläfen bildeten und ihm dann wie klares Öl die Wangen hinunterliefen. Und das trotz der kalten Luft, die nun durchs Zimmer wirbelte.

»Wissen Sie«, sagte er, »Sie haben bestimmt Recht. Ich bin müde, weiter nichts. Ich habe Bauchschmerzen, aber das kommt vom Stress. Und ich habe alle möglichen Sachen ge-eessen, Blätter und ... o Mann, oje, ich weiß nicht ... alle möglichen Sachen halt.« Er kratzte sich die Wange. »Ist das verdammte Ding da auf meinem Gesicht schlimm? Blutet es?«

»Nein«, sagte Jonesy. »Es ist bloß rot.«

»Das ist eine Allergie«, sagte McCarthy mit tieftrauriger Stimme. »Das kriege ich auch immer, wenn ich Erdnüsse esse. Ich lege mich mal hin. Famose Idee.«

Er stand auf und fing sofort an zu schwanken. Biber und Jonesy wollten ihn festhalten, aber er kam auch allein ins Gleichgewicht. Jonesy hätte schwören können, dass das, was er für einen Bierbauch gehalten hatte, verschwunden war. War das möglich? Konnte der Mann so immense Blähungen gehabt haben? Er hatte keine Ahnung. Er wusste nur, dass es ein mächtiger Furz und ein noch mächtigerer Rülpser gewesen waren, etwas, wovon man noch in zwanzig Jahren erzählen konnte, beginnend etwa mit den Worten Wir sind früher alljährlich in der ersten Woche der Jagdsaison zu Biber Clarendons Hütte gefahren, und einmal im November — das war '01, in dem Jahr mit dem schweren Herbststurm -kommt da plötzlich dieser Typ in unser Camp gewandert... Ja, das würde eine gute Story abgeben, alle würden sie lachen über den Riesenfurz und den Riesenrülpser, bei Geschichten übers Furzen und Rülpsen waren einem die Lacher immer sicher. Er würde allerdings nicht erzählen, wie nur wenige Gramm Druck auf den Abzug des Garand gefehlt hatten, und er hätte McCarthy umgebracht. Nein, das würde er nicht erzählen.

Pete und Henry teilten sich ein Schlafzimmer, und deshalb führte Biber McCarthy zu dem anderen Schlafzimmer im Erdgeschoss, das Jonesy belegt hatte. Der Biber warf ihm einen knappen, bedauernden Blick zu, und Jonesy zuckte mit den Achseln. Das war schließlich die nahe liegendste Eösung. Jonesy konnte heute Nacht bei Biber schlafen - das hatten sie als Kinder oft genug gemacht -, und er wusste ohnehin nicht, ob McCarthy allein die Treppe hochgekommen wäre. Der bleierne, verschwitzte Teint des Mannes gefiel ihm immer weniger.

Jonesy zählte zu den Menschen, die ihr Bett erst machen, um es dann vollzumüllen - mit Büchern, Papieren, Kleidung, Tüten, Toilettenartikeln. Er räumte das alles schnell weg und schlug dann die Tagesdecke beiseite.

»Musst du noch mal auf den Topf, Partner?«, fragte der Biber.

McCarthy schüttelte den Kopf. Er wirkte fast hypnotisiert von dem sauberen blauen Laken, das Jonesy aufgeschlagen hatte. Jonesy fiel wieder auf, was für glasige Augen der Mann hatte. Wie die Augen einer ausgestopften Jagdtrophäe. Spontan sah er sein Wohnzimmer daheim in Brookline vor sich, diesem piekfeinen Vorort von Boston. Alte Teppiche, altamerikanische Möbel ... und McCarthys Kopf ausgestopft über dem Kamin. Den habe ich oben in Maine erlegt, würde er seinen Gästen bei Cocktailpartys erzählen. Ein Riesenvieh, wog ausgeweidet immer noch fast achtzig Kilo.

Er schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, sah ihn der Biber einigermaßen besorgt an.

»Meine Hüfte macht wieder Zicken«, sagte er. »Entschuldigung. Mr. McCarthy - Rick - den Pullover und die Hose wollen Sie doch sicherlich ausziehen. Und die Stiefel natürlich auch.«