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»Mann, du hast dir aber echt ...«, setzte Jonesy an, und dann verschwamm ihm alles vor Augen. Er schloss sie, konzentrierte sich mit aller Mühe und schlug sie dann wieder auf. »... hast dir echt Zeit gelassen beim Einkäufen. Hast du an das Brot gedacht?«

»Ja, aber die Würstchen habe ich unterwegs verloren.«

»So eine Scheiße.« Jonesy atmete tief ein. »Dann gehe ich das nächste Mal selber.«

»Knutsch mir die Kimme, Alter«, sagte Henry, und Jonesy lächelte, und dann wurde um ihn her alles schwarz.

EPILOG LABOR DAY

Die Welt ist fies.

NORMAN MACLEAN

Und wieder ein Sommer zu Ende, dachte Henry.

Dem Gedanken haftete aber keine Wehmut an; der Sommer war schön gewesen, und der Herbst würde auch schön werden. Dieses Jahr würde es keinen Jagdausflug geben, und er würde bestimmt ab und an Besuch von seinen neuen Freunden vom Militär bekommen (seine neuen Freunde vom Militär wollten vor allem sicherstellen, dass auf seiner Haut nichts Rotes wuchs), doch trotzdem würde der Herbst schön werden. Kühle Luft, helle Tage, lange Nächte.

Manchmal, nach Mitternacht, kam auch Henrys alte Freundin, die Dunkelheit, noch zu Besuch, aber dann setzte er sich einfach mit einem Buch auf dem Schoß in sein Arbeitszimmer und wartete ab, bis sie wieder ging. Und das tat sie letztlich immer. Letztlich ging immer wieder die Sonne auf. Der Schlaf, den man in einer Nacht nicht bekam, schlich sich manchmal in der Nacht darauf zu einem ins Bett, dann aber wie eine Geliebte. Das hatte er seit dem vergangenen November gelernt.

Jetzt trank er ein Bier auf der Veranda von Jonesys und Carlas Cottage in Ware, das am Ufer des Pepper Pond stand. Das Südufer des Quabbin-Stausees lag gut vier Meilen nordwestlich von hier.

Die Hand, die die Bierdose hielt, hatte nur drei Finger. Der kleine und der Ringfinger waren ihm erfroren, vielleicht während seiner Fahrt auf den Langlaufskiern, vielleicht auch, als er Jonesy auf einem selbst gebastelten Schlitten zurück zu ihrem Humvee geschleift hatte. Im vergangenen Herbst hatte er anscheinend ständig Leute durch den Schnee geschleift, und das mit durchwachsenem Ergebnis.

An ihrem kleinen Strandabschnitt kümmerte sich Carla Jones um den Grill. Noel, ihr Jüngster, krabbelte links daneben, mit schief hängender Windel, unter dem Picknicktisch herum. Er winkte fröhlich mit einem verkohlten Würstchen. Die übrigen drei Kinder der Familie Jones, neun bis elf Jahre alt, tummelten sich kreischend im Wasser. Henry fand das biblische Gebot, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, zwar nicht unberechtigt, fand aber auch, dass sich Carla und Jonesy dabei doch etwas zu mächtig ins Zeug gelegt hätten.

Hinter ihm klapperte die Fliegentür. Jonesy kam mit einem Eimer mit Bierdosen auf Eis heraus. Er humpelte nicht mehr so schlimm; diesmal hatte der operierende Arzt sein ursprüngliches Fahrwerk gleich ganz durch Teflon und Stahl ersetzt. Das wäre so oder so passiert, hatte der Arzt zu Jonesy gesagt, aber wenn Sie sich ein bisschen mehr vorgesehen hätten, Meister, dann hätten Sie aus dem alten Gelenk noch fünf Jahre rausholen können. Dieser Operation hatte er sich im Februar unterzogen, kurz nach Henrys und Jonesys sechswöchigem »Urlaub« bei den Leuten vom militärischen Geheimdienst und der psychologischen Abteilung.

Die Militärs hatten ihm angeboten, das Austauschen der Hüfte auf Staatskosten zu übernehmen - gewissermaßen als großer Schlussakt nach den Verhören -, aber Jonesy hatte dankend abgelehnt und gesagt, er wolle seinen Orthopäden nicht um die Arbeit und seine Krankenversicherung nicht um die Rechnung bringen.

Da hatten die beiden nur noch weggewollt aus Wyoming. Sie waren nett untergebracht (wenn man sich denn daran gewöhnen konnte, unterirdisch zu wohnen), das Essen war absolut erstklassig (Jonesy nahm vier Kilo zu, Henry fast neun), und im Fernsehen liefen keine Wiederholungen. Aber die ganze Atmosphäre war doch ein bisschen zu sehr wie bei

Dr. Seltsam. Für Henry waren diese sechs Wochen viel schlimmer als für Jonesy gewesen. Jonesy stand zwar Qualen aus, aber hauptsächlich doch wegen seiner gebrochenen Hüfte; seine Erinnerungen an Mr. Gray und wie sie sich einen Körper geteilt hatten, waren bemerkenswert schnell ver-blasst, glichen nun Erinnerungen an Träume.

Henrys Erinnerungen hingegen waren noch deutlicher geworden. Die an den Stall waren die schlimmsten. Ihre Gesprächspartner hatten Mitgefühl gezeigt, es war kein einziger Kurtz bei der ganzen Bande, aber Henry musste einfach immer wieder an Bill und Marsha und Darren Chiles denken, den Mr. Monsterjoint aus Newton. Sie verfolgten ihn bis in seine Träume.

Genau wie Owen Underhill.

»Nachschub«, sagte Jonesy und stellte den Eimer mit dem Bier ab. Dann ließ er sich ächzend und mit verzogenem Gesicht auf dem durchgesessenen Schaukelstuhl aus Rohrgeflecht neben Henry nieder.

»Eins noch, dann muss ich aber los«, sagte Henry. »Ich fahre in einer Stunde zurück nach Portland, und ich will nicht in eine Kontrolle kommen.«

»Schlaf doch hier«, sagte Jonesy und sah zu Noel hinüber. Das Baby hockte unter dem Picknicktisch im Gras und wollte sich den Würstchenrest anscheinend in den Bauchnabel quetschen.

»Wenn deine Kinder bis Mitternacht oder noch länger rumzetern?«, meinte Henry. »Und damit ich mir endlich mal wieder einen Horrorfilm von Mario Bava ansehen kann?«

»Das mit diesen Gruselschockern habe ich so ziemlich an den Nagel gehängt«, sagte Jonesy. »Heute Abend haben wir ein Kevin-Costner-Festival. Es geht los mit Bodyguard.«

»Du hast doch grade gesagt, du guckst keine gruseligen Filme mehr.«

»Sehr witzig.« Er zuckte grinsend mit den Achseln. »Wie du willst.«

Henry hob seine Bierbüchse. »Trinken wir auf unsere abwesenden Freunde.«

Jonesy hob ebenfalls sein Bier. »Auf abwesende Freunde.«

Sie stießen an und tranken.

»Wie geht es Roberta?«, fragte Jonesy.

Henry lächelte. »Sie schlägt sich sehr tapfer. Nach der Beerdigung hatte ich da ja so meine Zweifel ...«

Jonesy nickte. Bei Duddits' Beisetzung hatten sie links und rechts neben ihr gestanden und sie gestützt, und das war auch nötig gewesen, denn Roberta hatte vor Trauer kaum stehen können.

»... aber jetzt hat sie wieder Lebensmut gefasst. Sie hat vor, einen Handarbeitsladen aufzumachen. Ich glaube, das ist eine gute Idee. Duddits fehlt ihr natürlich sehr. Nach AI-fies Tod hat er ihr ganzes Leben bestimmt.«

»Unser Leben hat er auch bestimmt«, sagte Jonesy.

»Ja, da hast du wohl Recht.«

»Ich mache mir solche Vorwürfe, dass wir ihn all die Jahre so im Stich gelassen haben. Er hatte Leukämie, und wir wussten überhaupt nichts davon.«

»Aber natürlich haben wir das gewusst.«

Jonesy sah ihn unter erhobenen Augenbrauen an.

»He, Henry!«, rief Carla. »Wie möchtest du deinen Burger?«

»Gebraten!«, rief er zurück.

»Wird gemacht, Sir. Wärst du so nett und würdest mal den Kleinen nehmen? Dieses Würstchen besteht gleich nur noch aus Dreck. Nimm es ihm weg, und bring ihn zu seinem Dad.«

Henry ging die Stufen hinunter, angelte Noel unter dem Tisch hervor und trug ihn auf die Veranda.

»Ennie!«, krähte Noel fröhlich. Er war anderthalb.

Henry blieb stehen und spürte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Es war, als hätte ein Gespenst nach ihm gerufen.

»Happa, Ennie! Happa!« Zur Betonung klopfte Noel Henry den schmutzigen Wurstzipfel auf die Nase.

»Danke, aber ich warte lieber auf meinen Burger«, sagte er und ging weiter.

»Nich mein Happa?«

»Ennie kriegt sein eigenes Happa, du kleiner Spatz. Aber gib mir mal das Dreckding da. Du kriegst ein anderes Würstchen, wenn sie fertig sind.« Er wand das dreckige Wurstende aus Noels Händchen, setzte ihn auf Jonesys Schoß und nahm selbst auch wieder Platz. Als Jonesy dann damit fertig war, seinem Sohn Senf und Ketchup aus dem Bauchnabel zu wischen, war der Kleine schon fast eingeschlafen.