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»Und Ihnen ist bewusst, wenn so etwas noch einmal vorkommt -«

»Das wird es nicht«, sagt der Junge inbrünstig. »Das wird es nicht, Professor Jones.«

Jonesy ist zwar lediglich außerordentlicher Professor, macht sich aber nicht die Mühe, ihn zu berichtigen. Eines Tages wird er ja schließlich Professor Jones sein. Es wäre ihm wenigstens zu raten; er und seine Frau haben ein Haus voller Kinder, und ohne ein paar künftige Gehaltssprünge stünden ihnen harte Zeiten bevor. Und harte Zeiten haben sie schon hinter sich.

»Das will ich hoffen«, sagt er. »Schreiben Sie mir dreitausend Wörter über die kurzfristigen Folgen des normannischen Eroberungszugs, David, ja? Zitieren Sie aus den Quellen, aber schenken Sie sich die Fußnoten. Es soll informell sein, aber argumentieren Sie stichhaltig. Das will ich bis nächsten Montag haben. Verstanden?«

»Ja. Ja, Sir.«

»Wieso gehen Sie dann nicht los und fangen damit an?« Er zeigt auf Defuniaks schäbiges Schuh werk. »Und wenn Sie das nächste Mal Bier kaufen wollen, kaufen Sie sich lieber neue Turnschuhe. Ich möchte nicht, dass Sie sich wieder eine Grippe holen.«

Defuniak geht zur Tür und dreht sich dann noch einmal um. Einerseits will er fort sein, ehe Mr. Jones es sich eventuell anders überlegt, aber andererseits ist er neunzehn Jahre alt. Und neugierig. »Woher wussten Sie das? Sie waren an diesem Tag gar nicht da. Irgendein Student hatte Aufsicht bei dem Test.«

»Ich weiß es, und das reicht«, sagt Jonesy nicht ohne Schärfe. »Gehn Sie jetzt, mein Junge, und schreiben Sie einen guten Aufsatz. Werfen Sie Ihr Stipendium nicht weg. Ich bin auch aus Maine - aus Derry -, und ich kenne Pittsfield. Und da kommt man lieber her, als dass man dahin zurückgeht. «

»Da haben Sie Recht«, sagt Defuniak mit einem Stoßseufzer. »Danke. Danke, dass Sie mir noch eine Chance geben.« »Machen Sie die Tür hinter sich zu.«

Defuniak - der sein Schuhgeld nicht für Bier, sondern für einen Blumenstrauß mit den besten Genesungswünschen für Jonesy ausgeben wird - geht hinaus und schließt gehorsam die Tür hinter sich. Jonesy dreht sich auf seinem Stuhl um und schaut wieder aus dem Fenster. Der Sonnenschein ist tückisch, aber verlockend. Und da die Sache mit Defuniak besser als erwartet verlaufen ist, möchte er jetzt hinaus in den Sonnenschein, ehe weitere Wolken aufziehen oder es gar schneit. Er hatte eigentlich vorgehabt, im Büro zu essen, aber jetzt trifft er einen neuen Plan. Es ist der verheerendste Plan seines Lebens, aber das weiß Jonesy natürlich nicht. Der Plan besteht darin, seine Aktentasche zu nehmen, sich eine Boston Phoenix zu kaufen und über die Brücke nach Cambridge zu gehen. Dort will er sich auf eine Bank setzen und im Sonnenschein sein Eiersalatsandwich essen.

Er steht auf und verstaut Defuniaks Akte in dem mit D-F beschrifteten Aktenschrank. Woher wussten Sie das?, hat der Junge gefragt, und Jonesy gesteht sich ein, dass das eine gute Frage war. Eine ausgezeichnete Frage. Und die Antwort lautet: Er wusste es, weil ... er so was manchmal eben einfach weiß. Das ist die Wahrheit, und mehr ist da nicht dran. Hielte man ihm eine Pistole an den Kopf, so würde er sagen, dass er es in der ersten Stunde nach der Prüfung herausgefunden habe, dass es dort direkt auf David Defuniaks Stirn geschrieben stand, groß und hell, in schuldbewusstem, rotem Neon leuchtend: schummlerschummlerschumm-ler.

Aber, Mann, das ist doch Quatsch: Er kann keine Gedanken lesen. Konnte er noch nie. Nie, nie, nie. Manchmal kommt ihm etwas in den Sinn, das schon. Auf diese Weise hat er von der Tablettensucht seiner Frau erfahren, und vielleicht wusste er auf diese Weise auch, dass Henry deprimiert war, als er anrief (nein, das hast du ihm einfach angehört, du Blödmann), aber so etwas kommt kaum noch vor. Seit dieser Sache mit dem Mädchen, mit Josie Rinkenhauer, ist nichts wirklich Seltsames mehr passiert. Vielleicht war da mal was gewesen, und vielleicht war es ihnen eine Zeit lang aus ihrer Kindheit und Jugend gefolgt, aber jetzt war es doch bestimmt verschwunden. Oder fast verschwunden.

Fast.

Er umkringelt in seinem Terminkalender die Worte nach Derry und schnappt sich dann seine Aktentasche. Und in diesem Moment kommt ihm ein neuer Gedanke, ganz plötzlich und irrelevant, aber doch ganz eindringlich: Nimm dich in Acht vor Mr. Gray.

Er bleibt stehen, den Türknauf schon in der Hand. Das war seine eigene Stimme, da gibt es keinen Zweifel.

»Was?«, fragt er in das sonst menschenleere Zimmer hinein.

Nichts.

Jonesy verlässt sein Büro, schließt ab und rüttelt noch mal am Schloss. In einer Ecke des schwarzen Bretts an seiner Tür steckt eine weiße Karte. Jonesy löst sie und dreht sie um. Auf der Rückseite steht gedruckt: bin um eins wieder da - bis dahin bin ICH geschickte. In aller Seelenruhe steckt er die

Karte mit dieser Seite nach vorn an sein schwarzes Brett, aber es wird fast zwei Monate dauern, bis Jonesy diesen Raum wieder betritt und sieht, dass sein Terminkalender immer noch am St. Patrick's Day aufgeschlagen ist.

Pass auf dich auf, hat Henry gesagt, aber Jonesy denkt nicht daran, auf sich aufzupassen. Er denkt an die Märzsonne. Er denkt daran, wie er sein Sandwich essen wird. Er denkt daran, dass er drüben in Cambridge vielleicht ein paar Mädchen sehen wird - die Röcke sind kurz und die Märzwinde keck. Er denkt an alles Mögliche, aber nicht daran, sich vor Mr. Gray in Acht zu nehmen. Und auch nicht daran, auf sich aufzupassen.

Das ist ein Fehler. Und so ändern sich Leben für immer.

TEIL I

KREBS

Das Zittern hält mich ruhig. Ich sollte es wissen. Was abfällt, ist ewig. Und ist nahe.

Ich erwache, um zu schlafen, und nehm mir zum Erwachen Zeit. Gehend lerne ich, wohin ich gehen muss.

THEODORE ROETHKE

KAPITEL I

McCarthy

Jonesy hätte den Typ fast erschossen, als er aus dem Wald kam. Wie knapp war es? Noch ein Pfund Druck auf den Abzug des Garand, vielleicht auch nur ein halbes Pfund. Später, mit der Hellsichtigkeit, die manchmal auf das Entsetzen folgt, wünschte er, er hätte geschossen, bevor er die orangefarbene Mütze und Warnweste sah. Richard McCarthy umzubringen hätte nicht schaden können; es wäre sogar gut gewesen. Es hätte sie alle retten können, hätte er McCarthy erschossen.

Pete und Henry waren zu Gosselin's Market gefahren, dem nächsten Laden, um ihre Vorräte an Brot, Dosengerichten und Bier aufzustocken, den Grundnahrungsmitteln also. Sie hatten noch reichlich für zwei Tage, aber im Radio hieß es, es würde bald schneien. Henry hatte seinen Hirsch schon erlegt, eine große Hirschkuh, und Jonesy hatte so das Gefühl, dass sich Pete eher für ihren Biervorrat interessierte als dafür, selbst einen Hirsch zu schießen. Für Pete Moore war die Jagd ein Hobby, Bier aber eine Religion. Der Biber war irgendwo dort draußen, und da Jonesy im Umkreis von fünf Meilen keinen Gewehrschuss gehört hatte, nahm er an, dass der Biber, genau wie er selbst, noch auf der Lauer lag.

Gut siebzig Meter von ihrem Camp entfernt gab es in einem alten Ahornbaum einen Hochsitz, und dort saß Jonesy, trank Kaffee und las einen Krimi von Robert B. Parker, als er etwas sich nähern hörte und das Buch und die Thermoskanne beiseite legte. In anderen Jahren hätte er vielleicht vor Aufregung den Kaffee verschüttet, aber diesmal nicht. Diesmal nahm er sich sogar noch die paar Sekunden Zeit, den knallroten Verschluss der Thermoskanne zuzuschrauben.

Die vier kamen seit sechsundzwanzig Jahren in der ersten Novemberwoche zur Jagd hier herauf, wenn man die Male mitzählte, die Bibers Dad sie mitgenommen hatte, und Jonesy hatte sich nie um diesen Hochsitz im Baum geschert. Niemand hatte sich dafür interessiert; es war einfach zu beengt dort. Doch in diesem Jahr war es Jonesys Lieblingsplatz geworden. Die anderen dachten, sie wüssten, warum, aber sie wussten nur die Hälfte.