Dem Berthold war es so, als habe der Malteser nur dem, was in seiner Seele gärte und brauste, Worte gegeben; die innere Stimme brach hervor. -»Nein! Alles dieses Streben - dieses Mühen ist das ungewisse, trügerische Umhertappen des Blinden, weg - weg mit allem, was mich geblendet bis jetzt!«- Er war nicht imstande auch nur einen Strich weiter an dem Bilde zu zeichnen. Er verließ seinen Meister, und streifte voll wilder Unruhe umher und flehte laut, daß die höhere Erkenntnis, von der der Malteser gesprochen, ihm aufgehen möge.
»Nur in süßen Träumen war ich glücklich - selig. Da wurde alles wahr, was der Malteser gesprochen. Ich lag von zauberischen Düften umspielt im grünen Gebüsch, und die Stimme der Natur ging vernehmbar im melodisch klingenden Wehen durch den dunklen Wald. - ›Horch - horch auf - Geweihter! Vernimm die Urtöne der Schöpfung, die sich gestalten zu Wesen deinem Sinn empfänglich.‹ - Und indem ich die Akkorde deutlicher und deutlicher erklingen hörte, war es, als sei ein neuer Sinn in mir erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das erfaßte, was mir unerforschlich geschienen. - Wie in seltsamen Hieroglyphen zeichnete ich das mir aufgeschlossene Geheimnis mit Flammenzügen in die Lüfte; aber die Hieroglyphen-Schrift war eine wunderherrliche Landschaft, auf der Baum, Gebüsch, Blume, Berg und Gewässer, wie in lautem wonnigem Klingen sich regten und bewegten.«
Doch eben nur im Traume kam solche Seligkeit über den armen Berthold, dessen Kraft gebrochen, und der im Innersten verwirrter war, als in Rom, da er Historienmaler werden wollte. Schritt er durch den dunklen Wald, so überfiel ihn ein unheimliches Grauen; trat er heraus, und schaute in die fernen Berge, so griff es wie mit eiskalten Krallen in seine Brust - sein Atem stockte - er wollte vergehen vor innerer Angst. Die ganze Natur, ihm sonst freundlich lächelnd, ward ihm zum bedrohlichen Ungeheuer, und ihre Stimme, die sonst in des Abendwindes Säuseln, in dem Plätschern des Baches, in dem Rauschen des Gebüsches mit süßem Wort ihn begrüßt, verkündete ihm nun Untergang und Verderben. Endlich wurde er, je mehr ihn jene holden Träume trösteten, desto ruhiger, doch mied er es im Freien allein zu sein, und so kam es, daß er sich zu ein paar muntern deutschen Malern gesellte, und mit ihnen häufig Ausflüge nach den schönsten Gegenden Neapels machte.
Einer von ihnen, wir wollen ihn Florentin nennen, hatte es in dem Augenblick nicht sowohl auf tiefes Studium seiner Kunst, als auf heitern Lebensgenuß abgesehen, seine Mappe zeugte davon. - Gruppen tanzender Bauernmädchen - Prozessionen ländliche Feste - alles das wußte Florentin, so wie es ihm aufstieß, mit sichrer leichter Hand schnell aufs Blatt zu werfen. Jede Zeichnung, war sie auch kaum mehr als Skizze, hatte Leben und Bewegung. Dabei war Florentins Sinn keinesweges für das Höhere verschlossen; im Gegenteil drang er mehr, als je ein moderner Maler, tief ein in den frommen Sinn der Gemälde alter Meister. In sein Malerbuch hatte er die Fresko-Gemälde einer alten Klosterkirche in Rom, ehe die Mauern eingerissen wurden, in bloßen Umrissen hineingezeichnet. Sie stellten das Martyrium der heiligen Katharina dar. Man konnte nichts Herrlicheres, reiner Aufgefaßtes sehen, als jene Umrisse, die auf Berthold einen ganz eignen Eindruck machten. Er sah Blitze leuchten durch die finstre Öde, die ihn umfangene und es kam dahin, daß er für Florentins heiteren Sinn empfänglich wurde, und da dieser zwar den Reiz der Natur, in ihr aber beständig mehr das menschliche Prinzip mit reger Lebendigkeit auffaßte, eben dieses Prinzip für den Stützpunkt erkannte, an den er sich halten müsse, um nicht gestaltlos im leeren Raum zu verschwimmen. Während Florentin irgend eine Gruppe, der er begegnete, schnell zeichnete, hatte Berthold des Freundes Malerbuch aufgeschlagen, und versuchte Katharinas wunderholde Gestalt nachzubilden, welches ihm endlich so ziemlich glückte, wiewohl er, so wie in Rom vergebens darnach strebte, seine Figuren dem Original gleich zu beleben. Er klagte dies dem, wie er glaubte, an wahrer Künstlergenialität ihm weit überlegenen Florentin, und erzählte zugleich, wie der Malteser zu ihm über die Kunst gesprochen.»Ei, lieber Bruder Berthold!«sprach Florentin:»der Malteser hat in der Tat recht, und ich stelle die wahre Landschaft den tief bedeutsamen heiligen Historien, wie sie die alten Maler darstellen, völlig gleich. Ja, ich halte sogar dafür, daß man erst durch das Darstellen der uns näher liegenden organischen Natur sich stärken müsse, um Licht zu finden in ihrem nächtlichen Reich. Ich rate dir Berthold, daß du dich gewöhnst Figuren zu zeichnen, und in ihnen deine Gedanken zu ordnen; vielleicht wird es dann heller um dich werden.«Berthold tat so wie ihm der Freund geboten, und es war ihm, als zögen die finstern Wolkenschatten, die sich über sein Leben gelegt, vorüber.