Ich tat das, was Gideon mir geraten hatte.
Das Büro des Einwanderungsinspektors war auf Ebene Einundzwanzig, also dort, wo alle Regierungsgebäude lagen.
Ich erklärte meinen Fall einem Assistenten am Paßschalter. Er nickte unverbindlich, entschuldigte sich, kam zurück und brachte mich zum Büro des Inspektors.
Er war ein dicklicher, kahlköpfiger etwas barscher kleiner Mann namens Chapman. Er schüttelte mir kräftig die Hand und hörte sich meine Geschichte an; ein paarmal nickte er verständnisvoll.
»Sowas kommt vor«, sagte er. »Schade, aber so ist es. Aber wir können Ihnen helfen, junger Mann.« Er drückte auf einen Klingelknopf, und seine Sekretärin wies mir den Weg zum Laboratorium.
Ich wurde ausgezogen, gemessen, gewogen; die Fingerabdrücke wurden mir abgenommen, meine Retina abgelichtet, mit natürlichem, fluoreszierendem und Röntgenlicht wurde ich fotografiert, ich wurde durch eine Mühle an Fragen und Fangfragen gedreht, meine Zähne wurden gezählt und aufgenommen, die Poren meiner Fußsohlen zählte man und hielt sie graphisch fest, und das alles dauerte weit über eine Stunde.
Als alles zu Ende war, führte mich ein Labormann zurück zum Inspektor.
Inspektor Chapman reichte mir einen Paß, auf dem in großen roten Buchstaben stand: VORLÄUFIGER PASS. »Den tragen Sie in den nächsten zwei Wochen immer bei sich. Bis dahin haben wir Bescheid aus den Vereinigten Staaten. Wenn Ihre Statistik mit den Informationen übereinstimmt, die unser Labor von Ihnen hat, stellen wir Ihnen einen neuen Dauerpaß aus. Dieser hier wird Ihnen nicht viel nützen. Sie können sich damit praktisch nur in Thetis bewegen. Ohne Dauerpaß können Sie hier nicht abreisen.«
»Und Sie werden die Nachricht in diesen zwei Wochen haben?« fragte ich. »Vielen herzlichen Dank, Sir.«
Er begleitete mich zur Tür. »Oh, nichts zu danken. Es gehört zu meinen Pflichten, Leuten auszuhelfen, die ein wichtiges Dokument verlieren.« Er musterte mich. »Natürlich immer vorausgesetzt, daß das beanspruchte Dokument tatsächlich den betreffenden Leuten gehört.«
14. Der Auswurf von Marinia
Wir mußten also warten, bis die Sache mit meinen Papieren geklärt werden konnte; wir mußten solange warten, bis wir Faulkner Paroli bieten konnten, bis wir die Antwort auf viele Fragen wußten.
Gideon und ich hatten viel Zeit, die wir totschlagen konnten. Die benutzten wir dazu, uns gründlich in der Kuppelstadt Thetis umzuschauen. Gideon kannte sie recht gut, angefangen von den obersten Verwaltungsebenen bis hinab zu den Unterkellern, die noch unter dem Seeboden lagen. Und er zeigte mir alles, was es zu sehen gab.
Er nahm mich mit zu den großen Tiefsee-Kais, nicht zum Linienschiff-Terminal, wo die Isle of Spain angedockt hatte, sondern zu den Frachthäfen, wo sich der ganze Handel der Tiefsee-Welt abspielte. Durch die Fenster in der Kuppelwand konnten wir zuschauen, wie bei Flutlicht die riesigen Frachter hereinkamen und von winzigen Seewagen, die wie Schildkröten aussahen, ent- und beladen wurden. Wie Egel saugten sie sich an den Schleusen fest und schlüpften wieder davon. Wir beobachteten einen ungeheuer großen Tanker, der fünfmal vergebliche Versuche zum Anlegen machte. »Ist ja auch ein ekliger Job für sie«, meinte Gideon. »Sie sind leichter als das Wasser, und es ist nicht so einfach, genau in die richtige Richtung zu schwimmen — bei der Größe!« Ich nickte und überlegte: Leichter als Wasser? Und doch, es konnte nicht anders sein. Die Ladung aus Petroleum und seinen Nebenprodukten brachte mehr als nur das Gewicht des Laderumpfes, um ein gleiches Volumen an Seewasser zu verdrängen. Wenn man so durch die Kuppelfenster schaute, war man sich kaum des Wassers da draußen bewußt. Es sah fast aus wie ein interplanetarer Raum, und die Tiefsee-Schiffe nahmen die Stelle der Raketen ein. Der Schlamm im Wasser um Thetis kam natürlich nie ganz zur Ruhe und machte das Wasser wolkig, aber es war eher so, als herrsche hier Landnebel. Ich konnte aber die Umrisse des Gesichts des Tankerpiloten sehen, als er den Ingenieur durch die Bordverständigung wegen der mißlungenen Anlegeversuche beschimpfte. Als dann endlich die magnetischen Greifer faßten, sah ich auch das Lächeln des Triumphs auf seinem Gesicht. Er war im Brückenhaus nicht allein. Neben ihm waren Männer in der Uniform des Service ...
Und einer von ihnen war kein Fremder für mich. »Bob!« rief ich. »Bob Eskow!«
Gideon sah mich neugierig an. »Ein Bekannter von dir?« fragte er.
»Mein allerbester Freund, den ich auf der Welt habe. Gideon, das ist ein Glück für mich! Wie können wir zu diesem Tanker kommen?«
Er kratzte sich nachdenklich den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, wandte er vorsichtig ein. »Weißt du, Jim, wir ahnen ja immer noch nicht, was Kelly wollte, als er dich zusammenschlug. Und dieses Kelly-Königreich da unten, wo die Frachter entladen . . .«
Aber meine glückliche Miene muß ihn wohl überzeugt haben. Er gab sich geschlagen. »Na, schön. Komm mit«, sagte er.
Wir fuhren mit einem Expreßlift nach unten, aber es dauerte sehr lange. Auf der Entladeebene kamen wir in eine schlecht beleuchtete Sektion von Thetis, der ähnlich, in der ich hereingekommen war, doch noch ein ganzes Stück verwahrloster. Auch hier gab es lange Reihen von Lagerhäusern und Mengen von Dockarbeitern. Ich hielt mich eng an Gideons Seite, als er sich durch die Menge schob.
Aber die Art Ärger, mit der ich gerechnet hatte, gab es nicht. Von Kelly war nichts zu sehen, niemand schaute uns an, niemand versuchte, Kellys Manöver an uns zu wiederholen. Was dann tatsächlich passierte, war nur sehr viel schlimmer.
Wir erreichten den Tanker, es war die S.S. Warren F. Howard, und fuhren mit dem kleinen pneumatischen Lift zum Eingangsport. Ich hielt einen Mann von der Besatzung an und fragte nach dem Weg zur Brücke. Mit Gideon rannte ich die engen Gänge entlang, kletterte durch einen Aufgang und stand im Brückenhaus.
Bob war nicht da.
Der Pilot, wie der Lotse genannt wurde, unterhielt sich mit einem Decksoffizier, und ein bißchen gereizt schauten sie mir entgegen. »Ist Bob Eskow hier?« fragte ich aufgeregt. »Ich sah ihn von der Kuppel aus.« Der Pilot flüsterte etwas, der Decksoffizier nickte nachdenklich. »Wer will ihn sehen?« fragte er.
»Mein Name ist.. .«
Da traf mich Gideons Ellbogen scharf in den Rippen. »Nur ein paar Freunde, Sir«, sagte er. »Könnten Sie uns sagen, wo wir ihn finden?« »Wie sind Sie an Bord gekommen?« knurrte der Decksoffizier.
»Einfach hereingegangen, Sir«, erwiderte Gideon mit Unschuldsmiene. »War das nicht richtig?«
Der Decksoffizier sah ihn lange an. Zu mir sagte er: »Sie müssen gehen. Bob Eskow ist in seinem Quartier und kann nicht gestört werden.«
»Aber ich sah ihn doch eben!« rief ich.
»Und mich haben Sie gehört.« Der Offizier griff nach einem Klingelknopf, und ein Mann kam herein. »Bringen Sie diese beiden Männer weg«, befahl er.
Äußerst widerstrebend ging ich. Am Port fragte ich den Mann: »Können Sie Mr. Eskow eine Nachricht von mir übermitteln?«
Der Seemann war unentschlossen, bis er den Schein in meiner ausgestreckten Hand bemerkte. »Klar«, meinte er freundlich. »Was soll ich ihm bestellen?«
Eilig schrieb ich eine Notiz und unterzeichnete sie mit »Jim«. Der Seemann verschwand sofort damit.
»Ich weiß nicht recht«, murmelte Gideon, »ob das auch klug war, Jim. Weißt du, wem das Schiff gehört?«
Ich schüttelte den Kopf. »Hallam Sperry s Tankerflaggschiff ist das. Und der Erste Offizier ist sein spezieller Freund. Deshalb wollte ich nicht, daß du ihm sagst, wer du bist.«
»Aber er hätte es mir doch sicher nicht abgeschlagen, einen alten Freund sehen zu können«, wandte ich ein.
»Weißt du das so bestimmt?« Darauf konnte ich nicht mehr antworten, weil der Seemann wieder zurück war. Seine Miene war eiskalt.