Eine Felsgruppe tauchte vor ihr aus der Ebene auf; ein idealer Aussichtspunkt. Charity hatte ihre unheimliche Beinahe-Begegnung vom vergangenen Morgen nicht vergessen. Vorsichtig umkreiste sie den Felsen einmal und hielt schließlich auf der Schattenseite an. Den Felsen zu erklimmen war schwerer, als sie geglaubt hatte, denn seine Oberfläche war spiegelglatt und fühlte sich unter ihren Händen wie poliertes Glas an. Sie war völlig außer Atem, als sie es endlich geschafft hatte, und brauchte zwei oder drei Minuten, um wieder zu Kräften zu kommen. Obwohl sie seit nicht einmal einer halben Stunde unterwegs war, war ihre Kehle schon wie ausgetrocknet; die Hitze war schon jetzt drückend. Für die heißesten Stunden des Tages würde sie sich sein Versteck suchen müssen.
Sie setzte den Feldstecher an. Das monotone Braun der verbrannten Ebene glitt hundertfach vergrößert an ihr vorbei, nur dann und wann unterbrochen durch eine Spalte, einen Felsen oder - sie hielt den Atem an. Der Spur, die ihr Motorrad im Sand hinterlassen hatte, folgte eine sonderbare, abscheuliche Kreatur. Der Anblick jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. So ein Ungeheuer hatte sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen. Es kroch ihr nach, und es war ziemlich groß. Ganz entfernt erinnerte es Charity an ein Gila-Monster, es war aber keine Echse, sondern eher ein Insekt, denn seine Haut war glänzend und hart und in mehrere ungleich große Segmente unterteilt. Seine Beine - sechs insgesamt - schritten träge und abrupt voran. Der Kopf des Wesens war eine glotzäugige Scheußlichkeit, über der sich zwei dürre Antennenfühler unablässig hin und her bewegten. Kein Zweifel war möglich, das Wesen verfolgte sie. Aber mit ihrer schnellen Harley würde sie es vermutlich abschütteln können.
Langsam schwenkte sie das Glas weiter, betrachtete einen Moment lang einen anderen, bizarren Umriß - der sich allerdings bei genauerem Hinsehen nur als Felsbrocken herausstellte - und ließ den Blick weiter über die Ebene wandern.
Dann entdeckte sie Rauch.
Schwere, schwarze Qualmwolken stiegen am Horizont auf; ohne den Feldstecher hätte sie sie wahrscheinlich nicht einmal bemerkt.
Irgendwo in der Ferne glaubte sie auch Flammen zu sehen - genau dort, wo Dads Farm lag.
Charity sprang mit einem Fluch auf, kletterte hastig vom Felsen herunter und schwang sich wieder auf die Maschine. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, startete sie die Harley, fuhr los und brachte sie gleich darauf mit einer abrupten Bewegung wieder zum Stehen.
Sie vergeudete fast eine Minute damit, an den Knoten herumzuzerren, mit denen Bob ihr Lasergewehr festgebunden hatte, ehe sie endlich ihr Messer zog, um die Stricke kurzerhand durchzuschneiden. Hastig hängte sie sich die Waffe über die Schulter, stieg wieder auf das Motorrad und raste weiter. Die schwarzen Qualmwolken, die sie bald schon mit bloßem Auge sah, wiesen ihr den Weg. Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden noch übertroffen. Es war nicht nur das Haupthaus, das Feuer gefangen hatte - die gesamte Farm brannte wie ein übergroßer Scheiterhaufen.
Charitys Beklemmung wurde zu einer Mischung aus Entsetzen und Wut, als sie die vier schweren Motorräder entdeckte, die vor dem brennenden Wohnhaus abgestellt waren. Sharks. Sie waren zurückgekommen. Irgendwie hatten sie es geschafft, in dieser Einöde ihre Spur zu verfolgen. Wahrscheinlich hatten sie alle umgebracht.
Und es war ihre Schuld!
Rücksichtslos gab sie Gas und raste auf die Farm zu. Sie erkannte zwei, drei Gestalten in schwarzem Leder, die sich wie schreckliche Dämonenfiguren vor dem lodernden Feuer abhoben, und sie sah auch, wie sich zwei von ihnen überrascht umwandten, als sie ihre Harley hörten.
Einer hob die Hand, zum Zeichen, daß sie langsamer fahren sollte. Er schien sie für einen Shark zu halten.
Aber Charity bremste nicht ab, sie gab Gas, schaltete im letzten Moment brutal herunter und ließ die Kupplung los; die Harley-Davidson machte einen gewaltigen Satz, der Hinterreifen drehte durch, und das Vorderrad krachte gegen den völlig überrumpelten Shark.
Der Aufprall schleuderte Charity aus dem Sattel, aber damit hatte sie gerechnet, und ganz plötzlich waren ihre Reaktionen wieder da, so schnell und präzise, wie sie es gewohnt war. Sie fiel, rollte sich ab und rammte dem zweiten Shark beide Füße in den Leib. Der Mann brach zusammen und blieb reglos liegen.
Als sich Charity benommen in die Höhe stemmte, stürmte der dritte Shark heran.
Sie ließ ihm keine Chance. Blitzschnell nahm sie den Laser von der Schulter, legte auf ihn an und drückte ab. Ein kaum nadeldünner, rubinroter Lichtblitz, im grellen Licht des Feuers beinahe unsichtbar, durchbohrte das Bein des Sharks und brachte ihn zu Fall. Die Waffe war nicht auf eine tödliche Wirkung eingestellt gewesen, aber der Schock würde den Mann für Stunden betäuben. Trotzdem lief sie mit zwei, drei schnellen Schritten auf ihn zu und stieß ihn grob mit dem Gewehrlauf an, ehe sie es wagte, sich herumzudrehen und nach dem letzten verbliebenen Shark Ausschau zu halten.
»Bravo«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Saubere Arbeit.«
Charity fuhr erschrocken herum und hob die Waffe. Aber sie drückte nicht ab. Hinter ihr, gut zwanzig Meter entfernt, vor der brennenden Scheune, stand der vierte Shark, und obwohl sie ihn vor dem Hintergrund der lodernden Flammen kaum erkennen konnte, ließ sein Anblick sie erschauern.
Er war sehr groß und muskulös. Sein Gesicht war unter einem schwarzen Helm verborgen, aber Charity glaubte, seinen Blick selbst durch das abgedunkelte Visier hindurch zu spüren. Sie wußte plötzlich, daß sie dem Anführer der Sharks gegenüberstand.
»Erschießt du mich mit dem Ding da, wenn ich mich bewege?« fragte der Shark. Seine Stimme klang fast spöttisch. »Es ist heiß hier. Ich würde gerne ein paar Schritte zur Seite treten.«
Charity antwortete nicht, aber sie machte eine entsprechende Bewegung mit dem Laser, und der Shark trat vier, fünf Schritte vom Feuer weg. Sie erkannte jetzt, daß er ein kurzstieliges Beil in der rechten Hand trug. Eine ekelhafte Waffe, aber keine, die ihr Kopfzerbrechen bereiten mußte.
»Du mußt Laird sein«, sagte der Shark, nachdem er wieder stehengeblieben war.
Charity war verblüfft. »Du kennst meinen Namen?«
»Wie du siehst.« Ein leises, spöttisches Lachen drang unter dem Helm hervor. »Du hättest dir eine Menge Ärger ersparen können, wenn du gleich zu mir gekommen wärst«, fuhr er fort.
»Was ... willst du von mir?« fragte Charity verstört. »Woher weißt du meinen Namen, und wer ...« Sie stockte, sah sich unsicher nach beiden Seiten um und machte eine befehlende Geste mit dem Gewehr. »Nimm den Helm ab«, sagte sie. Es machte sie nervös, das Gesicht ihres Gegenübers nicht sehen zu können, während sie mit ihm sprach.
Der Shark gehorchte schweigend, wobei er allerdings nur eine Hand benutzte. Die rechte hielt noch immer die Axt, während er den Helm achtlos vor sich in den Sand warf.
»Zufrieden?« fragte der Shark spöttisch.
Charity wußte nicht, ob sie zufrieden mit dem war, was sie sah - auf jeden Fall war sie überrascht. Der Shark war ziemlich jung, vielleicht Anfang Dreißig. Sein Gesicht wirkte nicht einmal unsymphatisch, wenn auch sehr hart, und es kam ihr zugleich fremdartig und sonderbar vertraut vor. Sein Haar glänzte im tiefsten Schwarz, das Charity jemals gesehen hatte.
»Ich bin Skudder«, sagte der Shark plötzlich, in einer Art, als erwarte er, daß dieser Name Charity irgend etwas sagte. »Und du mußt Laird sein. Warum hast du meine Leute umgebracht?«
Statt zu antworten, deutete Charity auf den brennenden Hof.
»Warum habt ihr diese Leute hier umgebracht?«
»Umgebracht?« Skudder lächelte gefühllos. »Wir haben niemanden umgebracht«, sagte er. »Sie waren ... nicht besonders kooperativ, so daß wir ihnen ein bißchen einheizen mußten. Aber sie leben noch. Und wenn du vernünftig bist, dann bleibt das auch so.«