Charitys Gedanken überschlugen sich fast. Sie glaubte ihm kein Wort, aber es war immerhin möglich, daß er die Wahrheit sagte - was nichts anderes bedeuten würde, als daß sie Dad und seine Familie zum Tode verurteilte, wenn sie auch nur den winzigsten Fehler beging. Aber wenn auch nur die Hälfte von dem stimmte, was Net und die anderen ihr über die Sharks erzählt hatten, dann würden sie sowieso sterben.
»Was willst du von mir?« fragte sie.
»Ich?« Skudder schüttelte lächelnd den Kopf. »Nichts. Jemand möchte dich sprechen. Ich habe nur den Auftrag, dich zu ihm zu bringen. Lebend.«
»Jemand? Wer?«
Skudder schwieg und lächelte, und es war dieses Lächeln, das Charity irritierte. Dieser Skudder war entweder völlig verrückt - oder er fühlte sich absolut sicher. Weder die eine noch die andere Möglichkeit gefiel ihr besonders.
»Und wenn ich nun keine Lust habe, mitzukommen?« fragte sie. »Du kannst mich nicht zwingen.«
»Bringt das Mädchen«, sagte Skudder ruhig. Die Worte galten nicht ihr, sondern irgend jemandem hinter Charity, und sie widerstand im letzten Moment der Versuchung, sich herumzudrehen.
Ob es nun ein Trick war oder nicht, solange sie den Laser auf Skudders Brust richtete, war sie relativ sicher.
Es war kein Trick. Hinter ihr wurden Schritte laut, dann tauchten zwei Sharks vor ihr auf, die ein zappelndes Bündel hinter sich herschleppten. Obwohl Net an Händen und Füßen gefesselt war, schienen die beiden Mühe zu haben, sie zu halten.
»Nun?« sagte Skudder ruhig. »Glaubst du immer noch, daß ich dich nicht zwingen könnte? Ein Wort von mir genügt, und die Jungs töten sie. Sie freuen sich schon darauf.«
»Dann erschieße ich dich«, sagte Charity entschlossen.
»Das würde auch nicht viel ändern«, erwiderte der Shark. »Das Mädchen wäre tot, und die Jungs würden dich fertigmachen. Gib auf. Es ist genug Blut geflossen.«
Sie wollte Net und ihre Familie nicht zum Tode verurteilen, aber verdammt, was sollte sie tun?
Skudder schien ihre Gedanken zu erraten, denn er lächelte wissend und kam einen Schritt näher, blieb aber sofort wieder stehen, als Charity drohend mit dem Gewehr fuchtelte. »Du traust mir nicht«, sagte er seufzend. »Das verstehe ich sogar. Aber du mußt keine Angst haben. Wir sollen dich lebend zu Daniel bringen.«
»Daniel? Wer ist das?« Charity fragte eigentlich nur, um Zeit zu gewinnen.
Skudder zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich so wenig wie du. Also - wie lange willst du noch da stehen und auf mich zielen? Bis dir die Arme einschlafen?«
Charity sah sich fast verzweifelt um. Außer Skudder und den beiden, die Net hielten, waren noch zwei weitere Sharks auf der Bildfläche erschienen. Jede der Maschinen, die links von ihr standen, mußte mit zwei Mann besetzt gewesen sein.
»Ich komme nicht mit«, sagte sie. »Und ihr werdet auch das Mädchen loslassen, oder ...«
»Oder?« fragte Skudder lauernd.
Anstelle einer Antwort schwenkte Charity blitzschnell das Gewehr herum, jagte einem der Sharks, die Net hielten, einen Laserstrahl ins Bein und richtete die Waffe sofort wieder auf Skudder. Der Verletzte brüllte auf, kippte mit einer fast komisch anmutenden Bewegung zur Seite und blieb stöhnend liegen.
»Oder ich erschieße dich«, sagte sie ernst. »Es macht mir nichts aus, Skudder. Mit den drei Figuren da werde ich fertig.«
Skudder antwortete nicht, aber in seinen dunklen Augen glomm Wut auf. Und dann tat er das, was Charity am allerwenigsten erwartet hätte. Rasch hob er den Arm und winkte die beiden Männer zurück, die, als Charity schoß, zu ihren Waffen gegriffen hatten.
»Nicht«, sagte er. »Laßt sie. Sie hat recht. Sie würde euch Narren umbringen.«
»Du ... läßt uns gehen?« fragte Charity ungläubig.
Skudder nickte. »Ja. Aber wir sehen uns wieder. Laßt das Mädchen los.«
Die Worte galten dem Shark, der Net festhielt. Er zögerte, griff dann aber gehorsam nach seinem Messer und schnitt Nets Fesseln durch. Net fiel mit einem erschöpften Keuchen auf die Knie, rappelte sich unsicher wieder auf.
»Sieh zu, ob du die Maschine aufrichten kannst«, sagte Charity zu ihr. »Schnell.« Gleichzeitig machte sie sich ein paar Schritte rückwärts, richtete den Laser auf die Motorräder, mit denen die Sharks gekommen waren, und drückte auf den Auslöser, nachdem sie die Waffe auf volle Leistungsstärke eingestellt hatte. Ein fingerdicker, rubinroter Strahl traf den Tank der ersten Harley.
Das Motorrad explodierte. Die Wucht der Detonation ließ die drei anderen Maschinen umkippen wie hintereinander aufgestellte Dominosteine. Das Feuer griff rasch auf sie über.
»Nur, damit wir uns nicht zu schnell wiedersehen«, sagte Charity freundlich. Skudder starrte sie an und schwieg. Nur der Zorn in seinen Augen loderte heftiger.
»Ich schaffe es nicht allein!« rief Net. Ihre Stimme klang eindeutig verzweifelt. »Hilf mir!«
Charity nickte, bewegte noch einmal drohend die Waffe und ging rückwärts auf sie zu.
Sie kam nur ein paar Schritte weit. Ihr Fuß stieß gegen den Körper des bewußtlosen Shark, den sie niedergeschossen hatte, sie machte einen hastigen Schritt - und schrie erschrocken auf, als sich eine Hand um ihren Knöchel schloß und mit furchtbarer Kraft zupackte.
Trotzdem reagierte sie mit fast übermenschlicher Schnelligkeit.
Sie versuchte nicht, sich loszureißen, sondern drehte sich herum, und schlug dem Shark den Gewehrkolben in den Nacken. Der Mann verlor zum zweiten Mal das Bewußtsein, und Charity wirbelte abermals herum und richtete die Waffe wieder auf Skudder und die anderen.
Aber so schnell sie auch war, Skudder war schneller. Er versuchte nicht, sich auf sie zuzustürzen wie die drei anderen Männer, sondern ließ sich einfach zur Seite fallen, einen Sekundenbruchteil, bevor Charitys Waffe einen zweiten, tödlichen Laserblitz in seine Richtung spie, und gleichzeitig sauste sein rechter Arm vor. Das Beil glitt aus seiner Hand und jagte mit tödlicher Präzision auf Charity zu.
Sie versuchte noch, der Axt auszuweichen, aber schon während sie es tat, wußte sie, daß sie es nicht schaffen würde.
Die Axt traf ihre linke Schulter, in ihrem Körper entflammten furchtbare Schmerzen, und dann verlor sie das Bewußtsein.
»Das war verdammt knapp«, sagte Raoul leise, während er sich vollkommen aufrichtete. »Alles in Ordnung?«
In Ordnung? Skudders Blick glitt über das Schlachtfeld, in das Laird den Farmhof verwandelt hatte. Ein Toter, drei Verletzte, vier Maschinen Totalschaden, zwei tote Wastelander - nein, dachte er grimmig; nichts war in Ordnung. Eine einzelne Frau gegen Skudder und sieben seiner Männer, und sie hatten pures Glück gehabt, daß sie sie nicht alle erledigt hatte!
»Ich werde ein paar ernste Worte mit Daniel reden«, knurrte er. »Er hätte mich vor dieser Frau warnen müssen!« Er schüttelte zornig den Kopf, hob seinen Tomahawk auf und schob ihn mit einer ärgerlichen Bewegung unter den Gürtel; erst dann beugte er sich zu der Bewußtlosen herab und untersuchte sie flüchtig. Ihr Puls ging ruhig und gleichmäßig, ihre linke Schulter begann bereits anzuschwellen, aber es schien nichts gebrochen zu sein. Skudder war erleichtert. Er hätte Daniel ungern einen halben Leichnam ausgeliefert.
Der Statthalter Morons verstand manchmal erstaunlich wenig Spaß.
»Fesselt sie«, sagte er. »Und sorgt dafür, daß sie nicht so schnell aufwacht. Aber seid vorsichtig. Ich will nicht, daß sie verletzt wird.«
Er richtete sich auf, sah wie Kink und einer der Männer herbeieilten, um seinem Befehl nachzukommen, und wandte sich wieder an Raoul. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, daß auch sein Stellvertreter nicht ganz ungeschoren davongekommen war.
»Was ist mit dir?« fragte er. »Alles wieder okay?«
Raoul verzog das Gesicht zu einem schmerzhaften Lächeln.
»Halb so wild«, log er. »Solange ich nicht laufen muß, wird mir die Wunde keine Schwierigkeiten machen.«