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»Und sie?« Charity deutete auf Net, die der kurzen Unterhaltung aufmerksam und mit steinernem Gesicht gefolgt war. Skudder schüttelte entschieden den Kopf.

»Ihr geschieht nichts, keine Sorge«, sagte er. »Aber sie ist nicht klug genug, als daß ich ihr trauen könnte. Ich lasse ihr etwas zu essen bringen. Kink!«

Das letzte Wort galt dem Wächter, der die ganze Zeit über reglos dagesessen und ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Aber er schlief keineswegs, wie Charity angenommen hatte, denn er drehte rasch den Kopf und sah Skudder fragend an. Charity erhaschte einen raschen Blick auf ein breites, narbenzerfurchtes Gesicht mit harten Augen und einem brutalen Mund.

»Kümmere dich um Net«, befahl Skudder. »Und behandele sie gut.«

Kink sprang auf und beeilte sich, dem Befehl nachzukommen, während Skudder Charity behutsam am Arm ergriff und zum Feuer führte. Sie wehrte sich nicht dagegen. Das Leben kehrte allmählich in ihre abgestorbenen Glieder zurück. Ohne Skudders Hilfe aber hätte sie keine zehn Schritte geschafft.

Sie gingen nicht zum großen Lagerfeuer, sondern zu einer zweiten, etwas abseits gelegenen Lagerstelle, an der ein kleineres Feuer brannte. Der verlockende Duft von gebratenem Fleisch stieg ihr in die Nase. Als sie näher kam, sah sie, daß Skudder und sie auch hier nicht allein waren - aber immerhin war es nur eine einzelne Gestalt, die auf sie wartete, und keine grölende Bande von mehr als zwanzig Sharks. Sie war erleichtert, nahm sich aber vor, weiter auf der Hut zu bleiben. Skudders Freundlichkeit und die Sympathie, die sie ihm entgegenbrachte, täuschten sie keine Sekunde darüber hinweg, was er wirklich war: der Anführer einer brutalen Armee von Barbaren, denen ein Menschenleben absolut nichts galt.

Skudder half ihr, sich auf einen flachen Stein zu setzen, hockte sich selbst auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers hin und deutete aufmunternd auf eine Anzahl hölzerner Spieße, an denen kleine Fleischscheiben über dem Feuer brieten. Charity ließ sich nicht zweimal bitten. Das karge Frühstück bei Dad und seiner Familie war alles gewesen, was sie heute gegessen hatte, und ihr Magen meldete sich mit Macht zu Wort.

Skudder deutete auf den zweiten Shark, der am Feuer saß und Charity aufmerksam beobachtete. »Das ist Raoul«, sagte er. »Mein Stellvertreter. Du kannst ihm vertrauen.«

»Den anderen nicht?« fragte Charity trocken.

»Nein«, antwortete Skudder im selben Tonfall. »Jedenfalls nicht allen. Aber Raoul und du seid ja gewissermaßen schon alte Bekannte.«

Charity sah ihn fragend an, und Skudder fügte mit einem nur angedeuteten Lächeln hinzu: »Heute morgen. Du hast ein Loch in sein rechtes Bein geschossen. Aber er ist nicht nachtragend.«

Charity musterte den Shark eingehend. Sie erkannte ihn nicht wieder, aber das besagte nichts - sie hatte wahrlich anderes zu tun gehabt, als sich die Gesichter der Männer einzuprägen. Aber sie sah, daß sein rechts Hosenbein bis übers Knie hinauf aufgeschnitten war.

Darunter schimmerte ein weißer Verband.

»Tut's noch weh?« fragte sie.

Raoul schüttelte den Kopf.

»Schade«, sagte Charity. »Ich hätte einen Meter höher zielen sollen.«

Raouls Gesicht blieb weiterhin unbewegt, aber Skudder lachte leise. »Du tust ihm unrecht, Laird«, sagte er. »Raoul hat dir das Leben gerettet.«

»So?« erwiderte Charity böse. »Das muß mir irgendwie entgangen sein.«

»Wenn er dich nicht an der Flucht gehindert hätte, hätten die Jungs dich getötet«, sagte Skudder ernsthaft. »Oder die Ebene hätte dich umgebracht. Niemand überlebt dort draußen, wenn er kein Wastelander ist. Und du bist kein Wastelander.«

»Nein«, antwortete Charity. »Das bin ich nicht.«

»Und was bist du?«

Der bewußt beiläufige Ton der Frage täuschte sie keine Sekunde - Skudder hatte sie nicht nur losgeschnitten, weil er ein so netter Mensch war, sondern weil er etwas ganz Bestimmtes von ihr wollte.

»Jedenfalls kein Wastelander«, antwortete sie ausweichend. »Du hast es ja selbst gesagt.« Sie beugte sich vor, angelte sich einen der Fleischspieße vom Feuer und kostete. Das Fleisch schmeckte sonderbar, aber gut, und nach dem ersten, vorsichtigen Bissen kaute sie schneller und fast gierig. Sie merkte erst jetzt richtig, was für einen Hunger sie hatte.

Skudder ließ sie eine Weile in Ruhe, aber er sah sie unentwegt an, auch während er aß, und auch Raouls Blicke folgten jeder ihrer Bewegungen. Charity begann sich zunehmend unbehaglicher zu fühlen. Am liebsten hätte sie das Fleisch zurückgelegt und darum gebeten, wieder an ihren Baum gebunden zu werden. Aber abgesehen davon, daß Skudder das wahrscheinlich abgelehnt hätte, war sie dazu einfach zu hungrig.

»Ich verstehe ja, daß du uns nicht traust«, sagte Skudder nach einer Weile. »Aber wir sind nicht deine Feinde.«

»Das habe ich gemerkt«, antwortete Charity sarkastisch. »Und Net und ihre Familie auch. Brennt ihr immer die Häuser der Leute nieder, die nicht eure Feinde sind?«

Skudder preßte ärgerlich die Lippen aufeinander, schluckte aber die scharfe Entgegnung herunter, die ihm auf der Zunge lag. »Das wäre nicht passiert, wenn du nicht weggelaufen wärst«, sagte er mit mühsam erzwungener Ruhe. »Aber das hatten wir ja schon, nicht? Wer bist du?«

»Wer ist Daniel?« entgegnete Charity.

Wieder blitzte Ärger in Skudders Augen auf, und wieder beherrschte er sich mühsam. »Du weißt es wirklich nicht?« fragte er. »Von wo kommst du? Vom Mond?«

»Vielleicht.« Charity zuckte mit den Schultern und sah Skudder abschätzend an. »Warum tust du nicht so, als käme ich wirklich von dort, und beantwortest mir ein paar Fragen? Vielleicht«, fügte sie mit einem neuerlichen Achselzucken hinzu, »beantworte ich dann auch deine.«

Skudder seufzte. Aber zu ihrer eigenen Überraschung nickte er plötzlich. »Okay - warum auch nicht? Ich weiß nicht, wer Daniel ist.« Er machte eine hilflose Handbewegung, als Charity ihn ungläubig ansah. »Ich bin ihm nie begegnet«, fuhr er fort. »Er ist unser Verbindungsmann. Aber ich habe sein Gesicht nie gesehen. Niemand hat das.«

»Euer Verbindungsmann? Zu wem?«

»Zu den Herren Morons«, antwortete Skudder bereitwillig. »Ich weiß nicht, ob er ein Mensch ist oder einer von ihnen. Die Reiter unterstehen ihm.«

»Und ihr.«

»Nein.« Die Antwort kam so scharf, daß Charity spürte, daß sie einen empfindlichen Punkt getroffen hatte. Und auch Skudder sah, daß sie es gemerkt hatte. Er lächelte verlegen. »Nein«, sagte er noch einmal. »Wir unterstehen niemandem. Er ... treibt Handel mit uns, wenn du es so nennen willst. Wir achten ein bißchen darauf, daß in unserem Gebiet alles seinen ordentlichen Gang geht, und er ...« Er überlegte einen Moment. »Was man eben so braucht«, sagte er schließlich. »Treibstoff, Ersatzteile ... wir sind viele.«

Das war nicht die ganze Wahrheit. Charity spürte deutlich, daß Skudder ihr etwas Wesentliches verschwieg. Aber es hätte wenig Zweck gehabt, wenn sie nachfragte. Skudder schien ohnehin schon mehr zu sagen als ihm eigentlich recht war.

»Was seid ihr?« fragte sie dann. »So eine Art privater Schlägertrupp dieses Daniel?«

Skudder überhörte den bewußt beleidigenden Tonfall, in dem diese Frage gestellt war. Beinahe ungerührt schüttelte er den Kopf.

»Wir sind frei«, sagte er. »Niemand sagt uns, was wir zu tun und zu lassen haben. Woher kommst du, Laird? Aus dem Süden?«

Natürlich antwortete sie nicht, aber diesmal schien Skudder ihr Schweigen als Zustimmung zu deuten, denn er fuhr unvermittelt fort:

»Ich weiß, daß diese Narren dort uns verachten. Aber weißt du, Laird, sie und ihre famosen Städte und ihre sogenannte Zivilisation können uns gestohlen bleiben. Der Preis, den sie dafür bezahlen, ist mir zu hoch.«

Städte? Es gelang Charity nicht ganz, ihre Überraschung zu verbergen. Und ihre Erleichterung. Immerhin bewiesen ihr Skudders Worte, daß es nicht überall auf der Erde so schlimm auszusehen schien wie in dieser Einöde.