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Der Anstieg war eine Tortur gewesen. Es war, als ginge sie nicht nur den Berg hinauf, sondern auch in der Zeit zurück, ein zweites, schreckliches Durchleben dieser letzten Meilen, die sie sich durch eine sterbende Welt gekämpft hatte. Selbst das Panzerwrack stand noch da, das ihr vor so vielen Jahren den Weg gewiesen hatte; fast völlig von Unkraut und Gestrüpp überwuchert, aber scheinbar unverändert, trotz all der Jahre, die seither vergangen waren. Charity schlug einen gewaltigen Bogen um den rostigen Stahlkoloß. Sie hatte die glühenden Insektenaugen nicht vergessen, die sie damals aus den Schatten heraus angestarrt hatten.

Die letzte Meile war die schlimmste. Die Straße war verschwunden, und wo der stacheldrahtumzäunte Vorplatz mit seinen Geschützstellungen und den Toren gewesen war, erhob sich eine gewaltige Schutthalde.

Charity hatte nichts anderes erwartet. Die sagenhaften Tiefen wären kaum so lange unentdeckt geblieben, wenn das Tor zu ihrem Reich jedem offengestanden hätte. Es gab andere Eingänge - sie kannte sie zwar nicht - aber sie würde sie finden.

Jetzt, im nachhinein, kam es ihr fast lächerlich vor, und so ganz nebenbei auch wie ein grausamer Scherz des Schicksals: Sie war wahrscheinlich nur ein paar Dutzend Meter von den überlebenden Bunkerbewohnern entfernt gewesen, als sie aufgewacht war. Hätte sie diese verdammte Panzertür aufbekommen, statt sich der Rutsche anzuvertrauen, dann wäre ihr diese ganze haarsträubende Flucht vielleicht erspart geblieben.

Sie verscheuchte diesen Gedanken, bedachte die gewaltige Schutthalde vor sich mit einem letzten, fast wehleidigen Blick und ging weiter.

Beinahe wäre es der letzte Schritt ihres Lebens gewesen.

Das Ding stand ganz plötzlich vor ihr, so lautlos und schnell, wie sich nur Insekten zu bewegen vermögen, und so abrupt, als wäre es buchstäblich aus dem Boden gewachsen. Es sah aus wie eine riesige Heuschrecke - und es wirkte verdammt gefährlich.

Charity machte einen halben Schritt zurück und erstarrte wieder, als sich auch die Heuschrecke bewegte: Ihr runder Kopf zuckte, die fingerdicken Antennenfühler peitschten erregt in ihre Richtung, und eine ihrer schrecklichen Fangscheren machte ein schnappendes Geräusch. Charity sah, wie sich die muskulösen Hinterläufe ganz sacht bewegten, als sammele sie Kraft für einen Sprung.

Charity machte einen weiteren vorsichtigen Schritt, und wieder vollführten die Fangarme der Heuschrecke diese zupackende Bewegung. Charity erstarrte wieder. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie wagte es nicht, sich zu rühren, ja, nicht einmal heftig zu atmen. Das Ungeheuer schien nur auf Bewegung zu reagieren, zumindest hoffte sie, daß es so war - aber selbst, wenn sie recht hatte, nutzte ihr das verdammt wenig. Sie wußte, wie ungeheuer geduldig Insekten sein konnten, und sie war unbewaffnet, so daß sie es auch nicht riskieren konnte, die Heuschrecke zu attackieren. Mit der Eisenstange würde sie überhaupt nichts ausrichten. Aber sie konnte auch nicht mehr lange reglos stehenbleiben. Sie ... sie mußte etwas tun.

Irgendwo hinter ihr erscholl ein Geräusch, und der Kopf der Heuschrecke ruckte in einer absurden Bewegung herum. Ihre Mandibeln zuckten nervös.

Wieder ertönte irgendwo hinter ihr dieses Geräusch, und diesmal identifizierte sie es als das Tappen schwerer, weicher Pfoten, das allmählich näher kam. Etwas schlich sich von hinten an sie an, und dann -

Und dann ging alles furchtbar schnell. Ein schrilles, wütendes Heulen erscholl, und plötzlich flog ein graues, massiges Etwas über Charitys Kopf hinweg und prallte wie ein pelziger Ball gegen die gepanzerte Brust des Rieseninsektes, das sich blitzschnell auf die hinteren Beinpaare aufgerichtet hatte. Charity sah kleinfingerlange, blendendweiße Zähne im Mondlicht aufblitzen. Das graue Wesen grub sich splitternd durch den Chitinpanzer der Heuschrecke.

Wölfe! dachte Charity fassungslos. Das ... das waren Wölfe!

Fast ein Dutzend der riesigen hundeähnlichen Kreaturen fielen heulend und geifernd über die Heuschrecke her. Doch das Rieseninsekt wehrte sich mit der ganzen mörderischen Kraft eines Titanenkörpers. Charity sah seine Fangarme wie tödliche Hornkeulen wirbeln; einer der Wölfe heulte vor Schmerzen auf, und die Dunkelheit spie immer noch mehr der grauen Jäger aus. Sie schienen keinerlei Respekt vor der überlegenen Kraft ihres Gegners zu haben. Charity wich Schritt für Schritt zurück, während die Riesenheuschrecke sich verzweifelt gegen die graue Übermacht zur Wehr setzte.

Vorsichtig drehte sie sich herum - und unterdrückte im letzten Moment einen Schrei.

Sie war nur noch zwei oder drei Schritte vom Waldrand entfernt, aber es hätten ebensogut zwei oder drei Meilen sein können, oder auch zwei Lichtjahre - denn zwischen ihr und den rettenden Bäumen stand ein gewaltiger, schwarzgrau gescheckter Wolf, der sie aus brennenden Augen anstarrte. Er regte sich nicht, aber seine Lefzen waren drohend zurückgezogen und entblößten ein fürchterliches Gebiß, und aus seiner Brust drang ein tiefes, drohendes Knurren.

»Nicht bewegen!«

Die Stimme kam irgendwo aus der Dunkelheit. Charity unterdrückte mit allerletzter Macht noch einmal ein erschrockenes Zusammenzucken; eine Bewegung, die den Wolf vielleicht zum Angriff provoziert hätte.

»Keine Bewegung«, sagte die Stimme noch einmal. »Egal, was passiert.«

Die Ohren des Wolfes zuckten aufmerksam, ohne daß er sie jedoch auch nur eine Sekunde aus dem Auge ließ. Er schien die Gefahr instinktiv zu spüren, die sich ihm von hinten näherte. Aber er sah auch die Beute, die vor ihm stand.

Das Unterholz teilte sich raschelnd, und ein zwei Meter großer Gigant stürzte hervor. Der Wolf stieß ein schrilles Knurren aus und wirbelte herum, aber er war eine Winzigkeit zu langsam.

Skudders Tomahawk traf seinen Schädel mit tödlicher Präzision und spaltete ihn.

»Weg jetzt!« Der Shark packte sie grob am Arm und zerrte sie einfach mit sich; keine Sekunde zu früh, wie Charity mit einem Blick über die Schulter erkannte. Die Heuschrecke war unter dem Anprall des Wolfsrudels zu Boden gegangen und wurde gerade in Stücke gerissen, aber einige Wölfe waren auch auf Skudder und sie aufmerksam geworden und jagten heran.

Sie erreichten den Waldrand, und sie retteten sich vor den Wölfen, wie sich Menschen seit einer Million Jahre vor ihnen gerettet hatten. Skudder hetzte mit weit ausgreifenden Sprüngen auf einen mächtigen Baum los, packte Charity kurzerhand bei den Hüften und warf sie einfach in die Höhe. Instinktiv griff sie nach einem Ast, bekam ihn zu fassen und zog sich hastig hinauf, während Skudder mit weit vorgestreckten Armen nach einem weiteren Ast sprang - und ihn verfehlte.

Er schrie auf, stürzte anderthalb Meter in die Tiefe und kam mit einem Fluch wieder auf die Beine. Die Wölfe jagten heran; zwei, drei, fast ein halbes Dutzend grauer Schatten. Charity schrie erschrocken auf. Aber Skudder schaffte es. Er versuchte nicht noch einmal, nach dem Ast zu springen, sondern kletterte mit schier unglaublicher Schnelligkeit am Baumstamm hinauf, während die Wölfe mit wütend gefletschten Zähnen auf ihn zufederten.

»Skudder - hier!« Charity beugte sich vor, hielt sich mit einem Arm am Ast fest und streckte Skudder die andere Hand entgegen.

Mit einer ungeheuren Kraftanstrengung zog sie ihn zu sich herauf.

Und dann war er es, der sie halten mußte, weil sie vor Erschöpfung fast vom Ast fiel.

Sekundenlang saß sie einfach da und rang keuchend nach Atem, ehe ihr zu Bewußtsein kam, daß Skudder sie noch immer festhielt.

Zornig befreite sie sich aus seiner Umarmung und stieß ihn von sich.

Skudder grinste.

»Wenn du jetzt darauf wartest, daß ich mich bei dir bedanke, dann täuschst du dich«, sagte sie ärgerlich. Skudders Grinsen wurde noch ein bißchen breiter, aber er schwieg. Und das machte Charity noch rasender.