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Wütend blickte sie nach unten. Die Wölfe hatten den Baum eingekreist und sprangen kläffend und jaulend an seinem glatten Stamm empor. Es kamen immer mehr. Offenbar hatte das Rudel nicht besonders lange gebraucht, um die Heuschrecke aufzufressen.

»Das war knapp«, sagte Charity leise.

Skudder lachte. »Die Heuschrecke war übrigens völlig harmlos«, sagte er amüsiert. »Sie sind Pflanzenfresser. Sie werden nur gefährlich, wenn sie sich verteidigen müssen.«

Charity starrte ihn zornig an. Gleichzeitig hatte sie das heftige Bedürfnis, sich selbst zu ohrfeigen. Vor allem, als Skudder im gleichen, fast beiläufigen Tonfall fortfuhr: »Ziemlich leichtsinnig von dir, allein und unbewaffnet durch diese Gegend zu laufen, findest du nicht? Du wärst nicht die erste, die von den Wölfen gefressen wird. Sie waren schon eine ganze Weile auf deiner Spur.«

»So wie du?«

Skudder schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin den Wölfen gefolgt. Aber ich wußte schon seit einer Stunde, wo du bist.«

»Warum hast du dann nicht einfach gewartet, bis sie mich erledigen?« fragte Charity. Ihr Zorn galt eigentlich mehr sich selbst als Skudder. Er hatte nur zu recht - es war mehr als nur leichtsinnig von ihr gewesen, einfach loszulaufen, in einer Welt, von der sie wenig mehr wußte, als daß sie die meisten ihrer Bewohner getrost als Feinde betrachten konnte.

»Ich soll dich lebend abliefern«, erinnerte Skudder. Er schüttelte den Kopf. »Wo wolltest du überhaupt hin? Hier gibt es im Umkreis von hundert Meilen nichts, wohin es sich zu fliehen lohnen würde.«

Charity zog es vor, nicht auf diese Frage zu antworten, sondern blickte wieder zu den Wölfen hinab. Die Tiere gerieten immer weiter außer sich. Mit einer fragenden Geste deutete Charity auf die Maschinenpistole - ihre MP, wie sie ärgerlich registrierte -, die in Skudders Gürtel steckte. »Warum knallst du nicht ein paar von ihnen ab?« fragte sie. »Vielleicht verschwinden die anderen dann. Ich habe keine Lust, auf diesem Baum zu übernachten.«

Skudder schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich sie erschießen?« fragte er ernst. »Sie tun uns nichts mehr. Und sie gehen sowieso bald.«

Tatsächlich schienen die ersten Wölfe bereits das Interesse an Charity und ihm zu verlieren. Hier und da sprang noch einer der grauen Jäger in die Höhe und versuchte den Baum zu erklimmen, aber die Tiere schienen allmählich zu begreifen, daß ihnen diese Beute entwischt war.

»Es war ziemlich dumm von dir zu fliehen«, sagte Skudder noch einmal. »Nicht, daß ich es nicht auch versucht hätte - aber ich hätte mir eine andere Richtung ausgesucht, weißt du? Nicht einmal die Reiter wagen sich in die Berge.«

»Nur die tapferen Sharks, wie?« fragte Charity höhnisch.

Skudder schüttelte den Kopf. »Nicht einmal die«, sagte er. »Außer, wenn sie müssen. Du hast Glück, daß du noch lebst.«

»Ich habe mich schon bedankt«, sagte Charity spitz. »Oder?«

»Versuch es nicht noch einmal«, fuhr Skudder unbeeindruckt fort. »Ich weiß nicht, ob ich jedesmal rechtzeitig zur Stelle sein kann, um dich zu retten. Es gibt Schlimmeres hier als die Wölfe.«

Charity antwortete nicht mehr. Statt weiter mit ihm zu reden, blickte sie wieder nach unten.

Die Wölfe zogen sich tatsächlich langsam zurück; zuerst einzeln, dann in kleineren und größeren Gruppen, die in nördlicher Richtung im Unterholz verschwanden, bis nur noch ein einzelnes Tier unter dem Baum saß, das hechelnd und mit heraushängender Zunge wie ein Hund dasaß, ehe es sich ebenfalls davonmachte.

Trotzdem vergingen noch gute zehn Minuten, bevor Skudder hinuntersprang. Mit einer kraftvollen Bewegung schwang er sich zur Seite, hing einen Moment lang mit ausgestreckten Armen wie ein Reckturner am Ast und ließ sich schließlich in die Tiefe fallen. Fast gegen ihren Willen mußte Charity die kraftvolle Geschmeidigkeit seiner Bewegungen bewundern. Er fiel, rollte sich blitzschnell über die Schulter ab und kam wieder auf die Füße; gleichzeitig zog er die Axt aus dem Gürtel - nicht die Schußwaffe, wie Charity sehr wohl registrierte.

Er wurde nicht angegriffen. Das Unterholz spie weder Wölfe noch andere Ungeheuer aus, und nach einer Weile richtete er sich wieder auf und hob die Arme. »Spring!« sagte er.

Charity sprang tatsächlich. Aber sie ließ sich nicht in seine Arme fallen, wie er wohl angenommen hatte, sondern drehte sich halb um ihre Achse, landete ein gutes Stück neben ihm, rollte über die Schulter ab - und griff warnungslos an. Ihr Fuß beschrieb einen perfekten Halbkreis und traf sein Kinn mit der dreifachen Wucht eines Faustschlages.

Die meisten anderen Männer hätte dieser Tritt getötet oder kampfunfähig gemacht, zumal Skudder so überrascht war, daß er nicht einmal versuchte, ihm auszuweichen.

Aber Skudder stürzte nicht, sondern taumelte nur zwei, drei Schritte mit wild rudernden Armen zurück und fing sich wieder.

Benommen schüttelte er den Kopf.

Charity setzte sofort nach. Mit aller Kraft stieß sie sich ab, drehte sich halb in der Luft und rammte ihm beide Füße vor die Brust, und diesmal stürzte er, schwer und ohne einen Laut.

Aber er war in der gleichen Sekunde wieder auf den Füßen wie sie. Charity schlug mit der flachen Hand nach seinem Hals, und versuchte ihm gleichzeitig das Knie zwischen die Beine zu rammen, doch er fing ihre Schläge ab, beinahe spielerisch, wie es ihr vorkam, und versetzte ihr im Gegenzug eine schallende Ohrfeige, die sie haltlos zurücktorkeln ließ.

Dennoch beging er den Fehler, sie wieder zu unterschätzen.

Charity versuchte nicht, ihm auszuweichen oder ihn aufzuhalten.

Ganz im Gegenteil packte sie seine ausgestreckten Arme, zerrte mit aller Kraft daran und ließ sich gleichzeitig nach hinten kippen.

Skudder prallte mit einem erschrockenen Laut gegen ihr plötzlich hochgerissenes Knie, schien mit einem Male schwerelos zu werden und segelte drei, vier Meter weit mit wild rudernden Armen durch die Luft.

Charity war mit zwei blitzschnellen Schritten bei ihm, zerrte die MP aus seinem Gürtel - und wich wieder zurück. Hastig entsicherte sie die Waffe und legte auf ihn an.

Skudder richtete sich stöhnend auf und griff nach seinem Kopf.

Als er seine Finger wieder zurückzog, klebte Blut daran.

»Bewege dich, und du bist tot«, sagte Charity drohend.

Skudder betrachtete eine Sekunde lang seine blutigen Fingerspitzen, ehe er aufsah. Sein Blick wirkte eher vorwurfsvoll als zornig. »Ich habe dich schon wieder unterschätzt«, sagte er. »Allmählich wird das zu einer schlechten Angewohnheit. Wo hast du gelernt, dich so zu prügeln?«

»Da, wo ich auch gelernt habe, wie man mit Typen wie dir umgeht«, antwortete Charity wütend. Als er sich bewegen wollte, fügte sie drohend hinzu. »Bleib unten. Du bist mir ein bißchen zu schnell.«

Skudder erstarrte tatsächlich, aber er sah nicht besonders ängstlich aus. Ganz im Gegenteil - er lächelte, als er in den Lauf der MP blickte, die Charity auf sein Gesicht richtete. »Das tust du ja doch nicht«, behauptete er.

»Bist du sicher?«

Skudder nickte. »Sehr. Du schießt ebensowenig auf einen Unbewaffneten wie ich. Ich werde jetzt aufstehen.«

Charitys Daumen berührte eine winzige Taste auf der MP, und auf dem schwarzen Leder, das Skudders rechtes Knie umhüllte, erschien ein münzgroßer, blutroter Punkt. Der Lasersucher stieß ein kaum hörbares, aber scharfes Summen aus.

»Möchtest du eine Kugel dorthin?« fragte Charity. »Es macht mir nichts aus.«

Skudder zögerte. Zum erstenmal, seit sie ihn kennengelernt hatte, wirkte er unsicher.

»Es macht mir nicht einmal etwas aus, dich hinterher eigenhändig wieder auf den Baum zu schleppen, damit dich die Wölfe nicht fressen, Skudder«, sagte Charity ernst. »Aber ich drücke ab, wenn du auch nur hustest.«

Skudder betrachtete fast eine Minute lang den roten Lichtfleck auf seinem Knie, ehe er wieder zu ihr aufsah. »Du hast keine Chance«, sagte er leise. »Glaub mir, du überlebst nicht einmal einen Tag hier draußen.«