Er sah Skudder an. »Aber im Gegensatz zu den meisten hatte ich ein Ziel«, fuhr er fort. »Ich wußte von diesem Bunker, und mir war klar, daß ich nur hier eine Chance haben würde. Leider kam ich zu spät.«
»Vielleicht ist es gut, daß Sie zu spät gekommen sind, Niles«, sagte Charity ernst. »Als ich ... in den Tank stieg, wurde der Bunker gerade angegriffen. Ich weiß nicht, ob es Überlebende gab.«
»Nein«, antwortete Niles. »Es gab keine. SS Nulleins war eine Ruine, als wir hierherkamen.«
»Wir?«
Niles machte eine Kopfbewegung zur Tür. »Ich war nicht allein. Einige von denen, die mich damals begleiteten, sind noch heute hier, aber die meisten sind tot. Mark und die anderen sind ihre Nachkommen.«
Charity starrte ihn an. Ein unglaublicher Verdacht begann in ihr emporzusteigen, aber sie verscheuchte den Gedanken, noch ehe sie ihn wirklich zu Ende denken konnte.
»Was geschah in diesem Jahr?« fragte sie.
Niles lachte hart. »Unsere Welt ging unter, Captain Laird«, sagte er. »Zuerst dachte ich sogar, daß wir eine kleine Chance hätten. Ich glaube, sie haben uns unterschätzt. Es gab überall Widerstand, und nach ein paar Wochen gelang es uns sogar, sie hier und da zurückzuschlagen. Es sind Bomben gefallen. Die Chinesen hatten ein paar uralte Dinger, denen der EMP nichts ausgemacht hatte, und ich schätze, von unserer U-Boot-Flotte haben einige überlebt. Alles in allem dauerte es fast ein halbes Jahr. Aber am Ende wurden wir besiegt. Sie können nicht gegen einen Feind siegen, der über unbegrenzten Nachschub verfügt.«
»Tut er das?« fragte Charity.
Niles nickte. »Ich habe eine Menge über sie herausgefunden«, sagte er. »Die Moroni scheinen keine Geheimnisse zu haben. Sie fühlen sich so sicher, daß sie Geheimhaltung wohl nicht mehr für nötig halten. Und vielleicht sogar zu Recht. Sie herrschen nicht nur über ein paar Planeten, Charity, die Hälfte der Milchstraße gehört ihnen, und die andere Hälfte erobern sie wahrscheinlich gerade. Es ist völlig sinnlos, gegen sie zu kämpfen. Wir haben es versucht, aber sie haben uns einfach niedergewalzt.«
»Aber das ist absurd!« protestierte Charity. »Es sind ... Ungeheuer. Ein Volk von primitiven Monstren, das ...«
»Moron?« Niles schüttelte lächelnd den Kopf. »O nein, Charity. Was Sie gesehen haben, was ich gesehen habe, was diesen Planeten niedergeknüppelt hat, das waren Ungeheuer. Aber das waren keine Moroni. Niemand hat die Herren von Moron jemals zu Gesicht bekommen. Was wir gesehen haben, das waren Sklaven. Eine Art ... lebender Kampfroboter, wenn Sie so wollen. Mehr nicht.«
»Das stimmt«, sagte Skudder. »Die Reiter und die anderen sind nur die Fußtruppen. Die Herren Morons verlassen ihre Festung nie.«
Charity starrte ihn fassungslos an. Alles in ihr sträubte sich dagegen, auch nur ein Wort von dem zu glauben, was sie gehört hatte. Aber gleichzeitig wußte sie auch, daß es die Wahrheit war.
»Was geschah danach?« fragte sie mit mühsam beherrschter Stimme. »Nach dem Krieg?«
»Alles brach zusammen«, berichtete Niles. »Was die Insektenkrieger oder der Graue Tod nicht niedermachten, das zerstörten unsere eigenen Bomben. Die meisten großen Städte wurden ausradiert, hier, in Europa, in Asien - überall. Die Armeen Morons zogen sich langsam zurück - die meisten starben nach wenigen Wochen. Ich vermute, daß sie sich nicht an die fremde Umgebung gewöhnen konnten. Aber manche blieben auch. Ein paar Gattungen überlebten, paßten sich an. Es gab ... Mutationen. Kreuzungen zwischen einheimischen Lebensformen und den anderen.«
Er seufzte tief. »Sie sind noch nicht lange genug wieder hier, Charity, um es zu wissen, aber dieser Planet ist nicht mehr die Erde. Sie beginnen, ihn zu verändern. Auf unglaubliche Weise und unglaublich schnell.«
»Ich weiß«, sagte Charity.
Aus irgendeinem Grund schienen Niles diese Worte zornig zu machen. Er fuhr ein wenig hoch und sank fast in der gleichen Bewegung wieder in seinen Stuhl zurück. »Nein, das wissen Sie nicht«, sagte er heftig. »Sie wissen nicht, daß die meisten irdischen Tierarten verschwunden sind, ebenso wie die meisten Pflanzen. Die Moroni besetzen nicht einfach eine Welt. Sie verändern sie. Sie ... sie sind dabei, aus unserer Erde einen anderen Planeten zu machen.«
Skudder wollte etwas sagen, aber Charity warf ihm einen raschen, warnenden Blick zu. Sie spürte, daß es besser war, Niles jetzt einfach erzählen zu lassen.
»Ich hatte viel Zeit, darüber nachzudenken«, fuhr er fort, ganz leise und fast wie im Selbstgespräch. »Wissen Sie, daß die einzige Gattung, die von der Invasion profitiert hat, die Insekten sind?«
Charity nickte. Sie erinnerte sich sehr lebhaft an ihre Begegnung mit der Heuschrecke.
»Ich vermute, daß die Moroni Insekten sind«, fuhr Niles fort. »Ich habe keinen Beweis dafür, aber ich bin trotzdem fast sicher.«
»Wieso?« fragte Skudder.
Niles bedachte ihn mit einem fast verzeihenden Lächeln. Sein Tonfall wurde dozierend, als er antwortete.
»Die Insekten waren die erste höhere Lebensform, die sich auf diesem Planeten entwickelte«, sagte er. »Und ich vermute, nicht nur hier. Sie sind perfekt: zäh, schnellebig, mit einer unglaublichen Vermehrungsrate, unvorstellbaren Körperkräften und einer Anpassungsfähigkeit, von der höhere Lebensformen als sie nicht einmal zu träumen wagen. Zu unserer Zeit gab es Hochrechnungen, junger Mann, was geschehen würde, wenn irgendein Idiot einmal den Knopf drückt und das alles hier in die Luft jagt. Wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Mit ziemlicher Sicherheit wären es die Insekten gewesen, die den großen Knall überlebten.«
»Sie meinen, diese Monster sind die Nachfahren einer Welt, auf der ...«
»Ich meine gar nichts«, unterbrach ihn Niles. »Es war nur ein Beispiel. Es ist auch möglich, daß die Insekten sich auf ihrer Welt einfach weiter entwickelten. Daß sie Intelligenz entwickelten. Wäre dies hier geschehen, hätte es niemals eine menschliche Rasse gegeben. Wahrscheinlich überhaupt keine Säugetiere.«
»Interessant«, knurrte Skudder. »Und was hat das alles mit Moron zu tun?«
»Nichts«, antwortete Niles. »Verzeihen Sie einem alten Mann, daß er ins Schwatzen geriet. Ich ... habe nur versucht, mir vorzustellen, wie diese Welt einmal für unsere Enkelkinder aussehen wird.«
»Sie übertreiben doch«, sagte Charity erschrocken.
Statt zu antworten, stand Niles umständlich auf. Mit kleinen, mühsamen Schritten schlurfte er zu einer Computerbank neben der Tür, drückte einige Tasten und ging zu seinem Stuhl zurück. Hinter seinem Schreibtisch glomm ein fast wandgroßer Monitor auf.
Charity erkannte eine Satellitenaufnahme der Erde, offenbar aus extrem großer Höhe aufgenommen und mit einer Kamera, die ihre besten Zeiten hinter sich hatte. Das Bild war alles andere als scharf; voller Schnee, und auch die Farben stimmten nicht.
Skudder riß erstaunt die Augen auf. »Was ist das?«
»Die Erde«, antwortete Niles. »Unser Planet, mein Freund. Aus großer Höhe aufgenommen.« Er amüsierte sich einige Sekunden über Skudders erstaunte Miene, dann wandte er sich wieder an Charity.
»Wir haben noch Verbindung mit einigen der alten Satelliten«, sagte er.
Charity trat neugierig näher. Irgend etwas ... stimmte nicht mit diesem Bild. Aber sie wußte noch nicht, was.
»Ich dachte, die Bomben hätten sie alle zerstört.«
»Ein paar nicht«, antwortete Niles kopfschüttelnd. »Dieser und zwei oder drei andere waren hoch genug, um die Explosion zu überstehen.«