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Es war rund, hatte einen Durchmesser von anderthalb Metern und war pechschwarz. Eine Fluchtrutsche, die in immer größer werdenden Spiralen in die Tiefe führte. Und sie hatte panische Angst, sie zu benutzen. Sie war durch ähnliche, kleinere Anlagen geflitzt, früher, in einer Welt, in der es noch Schwimmbäder und Freizeitparks gegeben hatte, aber das hier war etwas ganz anderes.

Sie hatte keine Ahnung, was sie am anderen Ende erwartete und ob dieses verdammte Ding überhaupt noch in Ordnung war. Die Sprengungen hatten den ganzen Berg erschüttert. Die Vorstellung, mit achtzig oder hundert Meilen in der Stunde in irgendwelche Trümmer zu rutschen, gefiel ihr nicht besonders. Und außerdem hatte sie einfach Angst vor dem, was sie finden würde, selbst wenn es ihr gelang, aus diesem Loch herauszukommen.

Aber welche Wahl hatte sie schon?

Entschlossen hob sie ihren Tornister hoch, stemmte ihn über den Rand des Schachtes und ließ ihn los. Eine Weile stand sie reglos und mit angehaltenem Atem da und lauschte, aber aus der Tiefe drang kein Laut herauf.

Sie würde selbst herausfinden müssen, was sie am Ende der Rutsche erwartete.

Charity knipste ihre Taschenlampe an, steckte sie so unter den Gürtel, daß der Strahl nach unten zeigte, und zog sich behutsam auf den Rand des kreisrunden Einstiegs hinauf. Sie spürte, wie ihr Herz zu rasen begann. Ganz vorsichtig schob sie sich ein Stück weiter nach vorne und blickte dem Lichtstrahl der Taschenlampe nach, der sich irgendwo in fünf, sechs Metern Tiefe in der Schwärze verlor.

Kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn.

Sie begann zu rutschen. Im allerersten Moment war ihre Fahrt ins Ungewisse fast langsam, aber wirklich nur im allerersten Moment - dann hatte sie die erste Biegung des Stollens hinter sich, und der Tunnel machte einen jähen Knick.

Es dauerte vielleicht eine Minute, aber es war eines der schlimmsten Erlebnisse, die sie bis dahin in ihrem Leben gehabt hatte. Der Kunststoff, mit dem der Schacht ausgekleidet war, war zehnmal glatter als Eis. Sie schrie und versuchte vergeblich, sich irgendwo festzuhalten, und wurde immer schneller, während sie wie eine lebende Kanonenkugel mit siebzig, achtzig, vielleicht hundert Meilen in der Stunde nach unten schoß.

Dann endlich hatte sie das Ende ihrer Höllenfahrt erreicht. Der tanzende Lichtstrahl ihrer Lampe raste plötzlich nicht mehr über hellweißen Kunststoff, sondern verlor sich in der Dunkelheit. Für eine endlose, gräßliche Sekunde flog sie scheinbar schwerelos durch die Luft, schrie und folgte gleichzeitig fasziniert dem Flug ihrer Taschenlampe, die sich aus ihrem Gürtel gelöst hatte und wie ein kleiner, glimmender Leuchtkäfer davontorkelte.

Dann prallte sie auf.

Der Aufprall war so hart, daß sie fast das Bewußtsein verlor, aber er war nicht so schmerzhaft, wie sie erwartet hatte. Sekundenlang blieb sie benommen liegen und lauschte in sich hinein, ehe sie es überhaupt wagte, die Augen zu öffnen.

Sie konnte sehen. Es war nicht so völlig dunkel, wie sie im ersten Moment angenommen hatte. Sie lag auf dem Boden einer gewaltigen Höhle, deren Decke sich hundert oder mehr Meter über ihr wölbte.

Von irgendwoher kam Licht, heller Sonnenschein, der das Dunkel hier durchdrang.

Noch immer benommen, aber unverletzt, setzte Charity sich auf und sah sich noch einmal und gründlicher um.

Der Hangar. Der Fluchttunnel hatte sie geradewegs in den Raumschiffhangar der Bunkerstation geführt, einer riesigen Höhle zwei Meilen neben und eine unter dem eigentlichen Bunker, am Boden eines auf natürliche Weise entstandenen Canyons gelegen.

Riesig und verschwommen konnte sie die Silhouetten der beiden Raumschiffe erkennen, die im hinteren Drittel der Höhle startbereit auf ihren Rampen standen. Kein Laut war zu hören.

Sie plagte sich auf, verlor dabei beinahe erneut das Gleichgewicht und erinnerte sich erst jetzt wieder daran, daß irgend etwas ihren Sturz aufgefangen hatte. Verwirrt erkannte sie, worauf sie gelandet war: Es war nichts anderes als ein Stapel Matratzen und Decken, den jemand - Stone? - am Ende der Tunnelröhre plaziert hatte. Auf einer Decke bemerkte sie ein goldenes ›C‹. Als sie sich bückte und den Boden untersuchte, entdeckte sie einen eingetrockneten Blutfleck. Er schien sehr alt zu sein, auf jeden Fall älter als die paar Stunden, mit denen sie Stones Vorsprung bisher ganz instinktiv angesetzt hatte, aber es war eindeutig Blut. Ja, es mußte Stone gewesen sein. Die Sachen stammten aus der CONQUERER. Offenbar hatte er sich beim Aufprall verletzt und ihr helfen wollen.

Für einen Moment bekam sie Angst, Stones Leiche irgendwo zu finden. Aber das war natürlich Unsinn - er konnte nicht sehr schwer verletzt sein, wie das improvisierte Sprungtuch bewies, das er für sie aufgebaut hatte. Es war mit Sicherheit ein hartes Stück Arbeit gewesen, das ganze Zeug aus dem Schiff zu holen und hierher zu bringen.

Ihr Zorn auf Stone sank beträchtlich, als ihr klar wurde, daß er ihr vielleicht das Leben gerettet hatte. Nicht, daß sie seine Beweggründe verstand - warum, verdammt noch mal, hatte er sie nicht geweckt, wenn er so um ihr Wohlergehen bemüht war?

Umständlich klaubte sie ihre Sachen zusammen - der Tornister lag nur wenige Schritte neben ihr, die Taschenlampe war beim Aufprall zerbrochen -, blickte noch einmal die beiden gewaltigen Space-Shuttles an und überlegte, hinüberzugehen und sie in Augenschein zu nehmen.

Aber sie tat es nicht. Warum auch? Sie hatte keine Möglichkeit, die Schiffe zu starten. Wahrscheinlich besaßen die Schiffe ohnehin nur noch Schrottwert. Die Jahre, die sie nutzlos herumgestanden und auf eine Besatzung gewartet hatten, hatten sie vermutlich vollkommen zerstört.

Plötzlich erinnerte sie sich an Beckers letzten Funkspruch. Er und die anderen würden im Schiff auf sie warten, hatte er gesagt. Sie hatte keine besondere Lust, über ihre Leichen zu stolpern, wenn sie die CONQUERER betrat. Alles, was seit ihrem Erwachen geschehen war, war ihr wie ein großes Spiel vorgekommen: aufregend, unheimlich, auch gefährlich, aber irgendwie nicht ernst. Einen Toten zu finden - und sei es auch nur ein fünfhundert oder auch fünftausend Jahre altes Skelett, würde aus dem Spiel tödlichen Ernst machen.

Sie wandte sich dem Licht zu und ging los.

Sie würde es nicht schaffen. Net wußte es seit einer Stunde, wenngleich dieses Wissen zuerst nur eine nagende Furcht gewesen war, die sie selbst als pure Nervosität abgetan hatte. Sie war am Ende ihrer Kraft. Zu allem Überfluß war sie auch noch auf einen scharfkantigen Stein getreten und hatte sich eine heftig blutende Wunde am rechten Fuß zugezogen. Jetzt, kurz vor Einbruch der Dämmerung, hatte sie die bittere Gewißheit, dieses eine Mal zu hoch gespielt zu haben.

Sie hatte ihre Spuren entdeckt: die Abdrücke großer, horngepanzerter Insektenfüße und die kleineren, schmaleren, aber viel tiefer eingegrabenen Spuren von Gummireifen. Reiter und Sharks, dachte Net bitter. Außerdem hatte sie Lichter in den Bergen gesehen: das flackernde rote Glutauge eines Feuers, das auf halber Höhe des Passes entzündet worden war und das kein Problem darstellte - ihm konnte sie ausweichen -, und dann und wann ein geisterhaft weißes Aufleuchten, das wie ein Finger aus Helligkeit über die Felsen strich.

Sharks kurvten dort mit ihren Maschinen in den Felsen. Es gehörte nicht allzuviel Phantasie dazu, sich auszumalen, wonach sie suchten.

Nach ihr. Sie verstand nur immer weniger, warum. Was, bei den schwarzen Göttern von Moron hatte sie getan?

Net gestand sich ein, daß es ziemlich naiv gewesen war, sich allen Ernstes einzureden, daß ihre Glückssträhne anhalten würde.