Vielleicht hatte sie auf dem Weg hierher ihren Vorrat an Glück aufgebraucht. Wenn sie bedachte, daß sie mittlerweile von einer kleinen Armee gejagt wurde, dann hätte sie gar nicht so weit kommen dürfen.
Trotz all dieser düsteren Überlegungen ging sie weiter, denn Net wußte genau, daß sie jetzt nicht mehr umkehren konnte. Die Höhle würde sie niemals wiederfinden. Und die Nacht schutzlos auf der Ebene zu verbringen ...
Net dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende. Statt dessen beeilte sie sich, so schnell wie möglich vorwärts zu kommen. Sie war am Ende, aber sie würde kämpfen.
Die Schatten begannen zu einer schwarzen Mauer zusammenzuwachsen, als sie die ersten Ausläufer der Berge erreichte. In der hereinbrechenden Dunkelheit schien das Feuer stärker zu leuchten, und ab und zu trug der Wind das Heulen eines Sharks heran, ohne daß er ihr allerdings auch nur einmal gefährlich nahe kam.
Aber das war auch nicht notwendig. Net war es gewohnt, Dinge zu vollbringen, von denen andere behauptet hätten, sie seien unmöglich, aber auch ein Wastelander war letztendlich nur ein Mensch, und ein Mensch mußte von Zeit zu Zeit trinken. Die einzige Quelle in weitem Umkreis befand sich auf halber Höhe des Berges, dort, wo das Feuer brannte. Die Sharks brauchten einfach nur auf sie zu warten.
Net griff übellaunig unter ihr Kleid, zog die Waffe heraus und steckte sie gleich wieder weg. Es gab nicht viel, worauf sie schießen konnte, sie würde, indem sie das Ding offen in der Hand hielt, den Sharks nur verraten, daß sie bewaffnet war.
Nicht, daß das irgend etwas ändern würde. Net war so gut wie tot, und sie wußte es. Eine der beiden Maden im glatten, schwarzen Lauf der Waffe war für sie bestimmt. Ein häßlicher Tod, aber nichts gegen das, was die Sharks mit ihr machen würden, wenn sie sie lebend fingen.
Sie schlich vorsichtig weiter. Das bleiche Licht der Shark-Maschinen huschte noch immer unruhig über die Felsen. Vielleicht hatte sie doch eine Chance, denn der Hang wurde immer unwegsamer. Geländegängig oder nicht, dachte sie grimmig, die Maschinen der Sharks konnten nicht fliegen.
Es war vollends dunkel geworden, als sie das Lager erreichte. Es waren Sharks, wie sie befürchtet hatte, und sie hatten ihr Lager unmittelbar an der Quelle aufgeschlagen. Net entdeckte drei ihrer Maschinen; große, schwarzglänzende Ungeheuer, deren ausgeschaltete Scheinwerfer sie wie riesige silberblinde Augen anstarrten. Drei oder vier andere fuhren in der Gegend herum und suchten sie, jeden Moment konnten sie zurückkommen. Wenn sie etwas unternehmen wollte, dann jetzt.
Lautlos schob sie sich weiter, zog die Waffe unter dem Kleid hervor und sah sich gebannt um. Drei Maschinen, drei Gestalten - aber das bedeutete nicht, daß es nur drei waren. Sharks fuhren oft zu zweit, und weitere Maschinen mochten irgendwo in der Nähe abgestellt sein, außerhalb der flackernden Halbkugel aus rotem Licht, die das Feuer schuf. Net begann sich ohnehin über die Sorglosigkeit zu wundern, die die Sharks an den Tag legten. Das Feuer war meilenweit zu sehen, und die drei unterhielten sich ziemlich laut. Zum ersten Mal, seit sie ihre verzweifelte Flucht über die Ebene begonnen hatte, kamen ihr Zweifel, daß wirklich sie es war, der dieser ganze Aufstand galt.
Sie verscheuchte den Gedanken und visierte den ersten Shark an.
Er saß kaum fünf Meter vor ihr. Sein schwarzglänzender, gekrümmter Rücken bot ein prachtvolles Ziel, das sie gar nicht verfehlen konnte.
Aber sie zögerte, abzudrücken. Sie hatte nur zwei Schüsse, und selbst, wenn sie auch noch einen zweiten Shark erwischte - was ganz und gar nicht sicher war, Sharks waren fast so schnell, wie sie brutal waren -, dann blieb noch einer übrig, der sich entweder auf sie stürzen oder seine Kameraden um Hilfe rufen konnte. Die Aussicht, einen Shark mit bloßen Händen anzugreifen, gefiel ihr nicht besonders.
Statt die Waffe zu benutzen, richtete sie sich vorsichtig auf dem Felsen auf, sah sich noch einmal sichernd nach allen Seiten um - und sprang mit einem federnden Satz in den kleinen Tümpel hinab.
Die drei Sharks wirbelten so schnell herum, wie Net befürchtet hatte, als sie das Geräusch des aufspritzenden Wassers hörten, aber Net war noch schneller als sie. Mit einem einzigen Satz - das Wasser des Tümpels ging ihr kaum bis an die Knie - war sie am Ufer und visierte den vordersten Shark über den Lauf ihrer Waffe hinweg an.
»Keine Bewegung!« sagte sie scharf. »Rühr dich, und du bist tot!«
Der Shark erstarrte, und auch seine beiden Kameraden stockten mitten in der Bewegung. Net konnte ihre Gesichter hinter den schwarzen Masken aus Leder und Metall nicht erkennen, aber es war nicht sehr schwer, nachzuempfinden, was sie beim Anblick der Waffe verspüren mochten. Es gab unangenehmere Todesarten, als von einer Springmade zerfetzt zu werden. Aber nicht sehr viele.
»Rührt euch nicht!« sagte sie noch einmal. Vorsichtig stand sie auf, bewegte sich ein paar Schritte nach links und deutete mit der freien Hand auf die Feldflasche, die am Tank einer der Maschinen hing. »Ich will nichts von euch. Nur etwas Wasser. Du da!« Sie machte eine Kopfbewegung zu dem Shark, auf dessen Rücken sie gezielt hatte. »Mach die Flasche voll. Aber vorsichtig.«
Der Shark gehorchte, während die beiden anderen sie weiter schweigend ansahen. »Wer bist du?« fragte der eine schließlich.
Seine Stimme drang nur verzerrt unter dem schweren Lederhelm hervor. Und sie klang nicht unbedingt so, als hätte er übergroße Angst vor ihr. »Was soll das Theater? Wenn du wirklich nur Durst hast, dann nimm dir Wasser. Es ist genug da. Kein Grund, mit diesem Ding da herumzufuchteln.«
Net antwortete nicht, und der Shark deutete ihr Schweigen vollkommen falsch. Plötzlich richtete er sich auf, streckte fordernd eine Hand aus und trat einen Schritt auf sie zu. »Gib es her, Kleines, ehe du jemanden verletzt.«
Net hielt sich nicht damit auf, ihm eine Warnung zuzurufen. Sie senkte die Waffe um eine Winzigkeit und drückte ab. Die Springmade jagte mit einem schrillen Geräusch aus dem Lauf und ließ eine mehr als mannshohe Sandfontäne vor den Füßen des Sharks hochspritzen. Als der Staub auseinandertrieb, gähnte ein halbmetergroßer Krater im Sand vor der schwarzen Gestalt.
»Der nächste trifft«, sagte sie kalt. »Verstanden?«
Der Shark nickte.
»Ich will keinen Streit mit euch«, sagte Net noch einmal. »Nur ein wenig Wasser. Und euer Versprechen, mir nicht nachzukommen.« Sie wedelte mit ihrer fast leergeschossenen Waffe, um ihre Worte zu unterstreichen, und deutete dann den Paß hinauf.
»Du ... du gehörst zu den Wastelandern, nicht wahr?« sagte der Shark plötzlich, auf den sie geschossen hatte. Er lachte ganz leise.
»Niemand sonst wäre verrückt genug, so etwas zu tun. Du kannst uns trauen.«
»Einem Shark?« Net legte so viel Verachtung in dieses eine Wort, daß der Shark nicht noch einmal versuchte, sie zu überzeugen.
»Dann laß es«, sagte er achselzuckend. »Aber wenn du einen guten Rat von mir hören willst, Kleine ...«
»Will ich nicht«, sagte Net, aber der Shark sprach unbeeindruckt weiter.
»...dann würde ich heute nacht nicht dort hinaufgehen.« Er deutete auf den Hang. »Könnte ungemütlich werden.«
Seltsam - aber für einen Moment war Net fast überzeugt davon, daß er es ehrlich meinte. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Wenn ich deine Hilfe brauchen sollte, lasse ich es dich wissen«, sagte sie.
Mit einer herrischen Bewegung wandte sie sich an den anderen.
»Wo bleibt das Wasser?«
Der Shark richtete sich langsam auf, schraubte den Deckel auf die Feldflasche und kam auf sie zu. Als er noch zwei Meter von ihr entfernt war, machte Net eine befehlende Geste mit der Waffe. »Das reicht. Laß sie fallen!«
Der Shark gehorchte.
Für den Bruchteil einer Sekunde folgte Nets Blick dem Sturz der kleinen Feldflasche - und der Shark nutzte seine Chance. Net sah einen Schatten auf sich zufliegen, hörte einen Schrei, den einer der anderen ausstieß, um sie abzulenken, und drückte ganz instinktiv ab.