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Er erzielte auch viel höhere Preise für die Waren, die Dodger vom Toshen heimbrachte. Der Nachteil bestand darin, dass der alte Jude immer, immer fragte, ob die betreffenden Gegenstände gefunden oder gestohlen waren. Oh, mit Fundstücken aus der Kanalisation war meistens alles in Ordnung, das wusste jeder. Es handelte sich um Verlorenes und Weggeworfenes, um Gegenstände, die sich anschickten, die Welt der Menschen zu verlassen und zum Meer zu schwimmen. Tosher zählten natürlich nicht als Menschen – auch das wusste jeder. Aber in jenen Tagen hatte sich Dodger durchaus zum einen oder anderen Diebstahl und zu gelegentlichen krummen Geschäften hinreißen lassen. Er hatte Dinge beschafft, die äußerst fragwürdig und keineswegs koscher gewesen waren, wie sich Solomon ausdrückte.

Wenn der alte Bursche fragte, ob der Kram vom Toshen stamme, sagte Dodger immer Ja, doch so, wie ihn Solomon ansah … Wahrscheinlich wusste er, dass er nicht die Wahrheit sagte. Seine Augen schienen mehr zu sehen, als sie eigentlich sehen sollten, und zu wissen, wo sich die Wahrheit verbarg. Er nahm die Sachen trotzdem entgegen, aber nachher ging es in der Mansarde eine Zeit lang recht kühl zu.

Deshalb klaute Dodger inzwischen nur noch Dinge, die man verbrennen, trinken oder essen konnte, zum Beispiel Ware von Marktbuden und andere tief hängende Früchte. Daraufhin verbesserte sich das Klima, und außerdem: Drüben in der Synagoge las Solomon die Zeitung, und manchmal enthielt die Verloren-und-gefunden-Rubrik Suchanzeigen von Leuten, die ihren Hochzeitsring oder anderen Schmuck verloren hatten. Hochzeitsringe waren von besonderer Bedeutung, denn sie besaßen einen Wert, der über den des Golds hinausging. Oft stand das magische Wort Finderlohn in den entsprechenden Inseraten. Mit gewissem Verhandlungsgeschick, meinte Solomon, konnte man mehr dafür bekommen als von einem Hehler. Hinzu kam, dass man solche Stücke zu keinem Juwelier bringen konnte, der koscher war, denn solche Leute hetzten einem die Polizei selbst dann auf den Hals, wenn man den Ring nur gefunden und nicht gestohlen hatte. Manchmal sei Ehrlichkeit sich selbst ihr Preis, sagte Solomon, aber Dodger fand, in Barem hätte sie sich vorteilhafter ausgedrückt.

Geld oder nicht, Dodger hatte sich damals besser gefühlt, als er in der Lage gewesen war, irgendwelchen Leuten die geliebte Halskette, einen Ring oder irgendein anderes Schmuckstück zurückzugeben, das sie sehr lieb gewonnen hatten. Dadurch fühlte er sich eine Zeit lang wie im siebten Himmel, und weiter konnte man von den Abwasserkanälen kaum entfernt sein.

Einmal, nach einem Kuss von einer Dame, die erst vor Kurzem eine glückliche Braut gewesen war und deren Hochzeitsring sich unglücklicherweise von ihrem Finger gelöst hatte, als sie in eine Kutsche stieg, die sie zu ihrem neuen Zuhause bringen sollte, hatte er Solomon nach ziemlich viel Spott von anderen Toshern gefragt: »Versuchst du meine Seele zu retten?« Und Solomon hatte mit dem hintergründigen Lächeln, das in seinem Gesicht fast nie fehlte, geantwortet: »Mmm, nun, ich erforsche die Möglichkeit, dass du vielleicht eine Seele hast.«

Die kleinen Veränderungen seiner Angewohnheiten, die seine Beziehung zu Solomon festigten, bedeuteten unter anderem, dass er des Nachts nicht wie einige der anderen Tosher in Hauseingängen zittern, sich unter einer Plane zusammenrollen oder einen verdammten halben Penny für eine schäbige Pritsche in einer noch schäbigeren Absteige blechen musste. Solomon erwartete nur, dass er ihm abends ein wenig Gesellschaft leistete. Gelegentlich bat der alte Mann höflich darum, dass er ihn zu einem seiner Kunden begleitete und dabei Mechanismen, Schmuck oder andere gefährlich teure Dinge trug. Die Kunde von Dodgers aufbrausendem Temperament hatte sich herumgesprochen, was bedeutete, dass Solomon und er ziemlich unbehelligt unterwegs sein konnten.

Als Arbeit war Solomons Tätigkeit ziemlich gut, fand Dodger. Der alte Knabe stellte kleine Dinge her, die andere, verloren gegangene kleine Dinge ersetzen sollten. Vergangene Woche hatte Dodger ihn bei der Reparatur einer sehr teuren Spieluhr beobachtet, die voller Zahnräder und Drähte gewesen war – die ganze Angelegenheit war beschädigt worden, als ein Arbeiter sie bei einem Umzug fallen gelassen hatte. Dodger hatte gesehen, wie Solomon jedes einzelne winzige Stück so behandelte, als wäre es eine große Kostbarkeit. Er säuberte alle Teile, bog sie bei Bedarf behutsam zurecht, und er ging dabei so geduldig zu Werke, als stünde ihm alle Zeit der Welt zur Verfügung. Bei anderer Gelegenheit waren bei einer Vitrine aus Palisander einige dekorative Einlegearbeiten aus Elfenbein in Mitleidenschaft gezogen worden, und Solomon ersetzte sie mit Elfenbein aus seinem kleinen Vorrat. Dabei leistete er so gute Arbeit, dass die Besitzerin der Vitrine ihm eine Krone mehr bezahlte als vereinbart.

Na schön, einige seiner Kumpane nannten Dodger manchmal Schabbesgoi, aber er stellte fest, dass er besser aß als die anderen, auch billiger, denn an den Marktbuden verstand Solomon selbst mit einem Cockney so geschickt zu feilschen, dass der Mann schließlich nachgab. Und wehe jedem Verkäufer, der Solomon Mindergewicht, schales Brot oder angefaulte Äpfel verkaufte! Von einer gekochten Orange und den anderen Tricks ganz zu schweigen. Wenn man das gute und gesunde Essen berücksichtigte, war die Vereinbarung zwischen Solomon und Dodger keineswegs zu verachten.

Als Jacob und seine Söhne den Tanz mit fliegenden Hosen, Hemden, Socken, Westen und Schuhen hinter sich gebracht hatten, traten sie zurück und strahlten sich gegenseitig in dem Wissen an, gute Arbeit geleistet zu haben. Schließlich sagte Jacob: »Also, ich weiß nicht. Du meine Güte, sind wir vielleicht Zauberer? Was wir hier geschaffen haben, meine Söhne, ist ein Gentleman, der für die feine Gesellschaft bereit ist, wenn sie nichts gegen einen leichten Mottenkugelgeruch hat. Aber entweder das oder Motten, wie jeder weiß, selbst Ihre Majestät. Oh, wenn sie durch diese Tür käme, würde sie bestimmt sagen: ›Guten Tag, junger Herr, kennen wir uns vielleicht?‹«

»Es zwickt ein bisschen im Schritt«, bemerkte Dodger.

»Dann vermeide jeden unzüchtigen Gedanken, bis sich der Stoff gedehnt hat«, erwiderte Jacob. »Ich sage dir, was ich tun werde. Da du es bist, gebe ich auch noch diesen wundervollen Hut hinzu, der vermutlich bald wieder der letzte Schrei sein wird.« Jacob trat zurück, vollauf zufrieden mit der Verwandlung, die er ermöglicht hatte. Er neigte den Kopf zur Seite und sagte: »Weißt du, junger Mann, was du jetzt noch brauchst, ist ein erstklassiger Haarschnitt. Anschließend musst du dir die Frauen mit einem Knüppel vom Leib halten.«

»Solomon hilft mir beim Haareschneiden, wenn es zu warm wird und ich es ein bisschen kühler haben möchte«, sagte Dodger, woraufhin Jacob plötzlich ein gewisses Schnauben von sich gab, zu dem nur ein beleidigter jüdischer Händler fähig ist – und damit wirkte er noch eindrucksvoller als ein Franzose an einem wirklich schlechten Tag. Wollte man es aufschreiben, begann man vielleicht mit einem Pfuuiii, das mit reichlich versprühtem Speichel endete.

»Das ist kein Haarschnitt, mein Junge!«, jammerte Jacob. »Du siehst wie geschoren aus. Als kämst du gerade aus dem Kittchen. Wenn dich Königin Viktoria so sähe, riefe sie vermutlich nach ihren Soldaten. Beherzige den Rat deines guten alten Freunds Jacob und such das nächste Mal einen richtigen Friseur auf!«