Marie Jo sprach seinen Namen mit französischem Akzent aus, was ihm jedes Mal einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Sie kannte jeden und wusste alles über alle, und jetzt schenkte sie Dodger ein gefährliches Lächeln, aber man musste immer auf ihr Spiel eingehen, und deshalb erwiderte er ihr Lächeln und antwortete: »Lob mich nicht zu sehr, Marie Jo! Ich möchte vermeiden, dass ich plötzlich als allzu edel dastehe. Wie dem auch sei … Auch ich bin einmal ein Kind gewesen, verstehst du? Übrigens, wenn du aufschreibst, wie viel du ihnen zu essen gibst … Ich bringe dir das Geld später, verlass dich drauf.«
Marie Jo warf ihm einen Kuss zu, der nach Pfefferminz roch, senkte die Stimme, beugte sich vor und sagte: »Ich höre so einiges über dich, mein Junge. Sei vorsichtig! Es ging unter anderem um die Sache mit Holzbein Higgins, gestern. Er erzählt es überall herum.« Noch leiser fügte sie hinzu: »Dann war da dieser Gentleman. Und ich erkenne einen Gentleman auf Anhieb. Er fragte nach jemandem namens Dodger, und ich glaube nicht, dass es ihm darum geht, dir ein Geschenk zu überreichen. Er war eine teure Ausgabe von einem Gentleman.«
»Hieß er vielleicht Dickens?«, fragte Dodger.
»Nein, ihn kenne ich. Mister Charlie, der Journalist, mit den Peelern vertraut. Einer von euch unerträglichen Engländern. Wenn ich raten müsste, mein Freund … Er kam mir eher wie ein Anwalt vor.« Und dann, als wäre überhaupt nichts geschehen, wandte sie sich ohne einen weiteren Blick dem nächsten Kunden zu.
Dodger setzte seinen Weg fort und traf an jeder Straßenecke jemanden, den er kannte. Hier und dort hielt er ein Schwätzchen und streute dabei die eine oder andere kleine Frage ein. Oh, es war nicht weiter wichtig, nur eine Begebenheit, die ihm gerade einfiel und eine junge Frau mit goldenem Haar betraf, die während des Unwetters neulich aus einer Kutsche gesprungen war.
Nicht dass er Näheres wissen wollte. Er hatte die Geschichte nur irgendwo aufgeschnappt, weiter nichts. Er war einfach der gute alte Dodger, und alle kannten Dodger und wussten, dass er mehr über die Kutsche und die junge Frau mit dem goldenen Haar erfahren wollte. Er musste vorsichtig sein? Aber natürlich – er war immer vorsichtig. Und dann stand er vor der wackeligen Treppe, die zur Mansarde hinaufführte.
Solomon war natürlich zu Hause und bei der Arbeit. Er arbeitete immer. Es war keine harte Arbeit im eigentlichen Sinn, eher eine weiche, und sie betraf kleine Dinge, die kleine Werkzeuge und beträchtliche Mengen an Geduld erforderten, außerdem eine ruhige Hand und gelegentlich ein Vergrößerungsglas. Onan hatte sich unter Solomons Stuhl zusammengerollt, wie nur er sich zusammenrollen konnte.
Der alte Mann ließ sich Zeit beim Verriegeln der Tür und sagte dann: »Mmm, hast wieder viel zu tun gehabt, mein Freund, ich hoffe, du bist erfolgreich gewesen.« Dodger zeigte ihm das Paket aus der Küche der Mayhews, und Solomon fügte hinzu: »Mmm, sehr schön, wirklich sehr schön, ein gutes Stück Schweinefleisch. Ich denke, daraus wird eine Kasserolle. Gute Arbeit.«
Vor einigen Jahren, als er mit einem Stück Schweinefleisch heimgekehrt war, das auf mysteriöse Weise aus einem Küchenfenster geradewegs in die Hände des zufällig vorbeikommenden Dodger gefallen war, hatte er zu Solomon gesagt: »Ich dachte, Juden dürfen kein Schweinefleisch essen, oder?«
Wenn Onan der König des Zusammenrollens war, so konnte man Solomon getrost den Prinzen des Schulterzuckens nennen. »Streng genommen mag das so sein, mmm«, erwiderte er. »Aber hier gelten andere Regeln. Zunächst einmal ist dies ein Geschenk Gottes, und man sollte eine göttliche Gabe niemals ablehnen. Und außerdem scheint dieses Schweinefleisch sehr gut zu sein, besser als das, was man gewöhnlich bekommt, und ich bin ein alter Mann, der mmm Hunger hat. Manchmal glaube ich, dass sich die Regeln, die vor vielen Jahrhunderten festgelegt wurden, damit meine reizbaren und zänkischen Vorfahren die Wüste durchqueren konnten, nur schwer auf diese Stadt des Regens und des Nebels übertragen lassen. Außerdem bin ich ein älterer Mann, der recht hungrig ist, und darauf weise ich zweimal hin, weil ich es für wichtig halte. Ich glaube, dass Gott unter diesen Umständen Verständnis hat, denn sonst wäre er nicht der Gott, den ich kenne. Das ist einer der mmm Vorteile, Jude zu sein. Nachdem meine Frau beim Pogrom in Russland ihr Leben verloren hatte, kam ich nur mit meinen Werkzeugen nach England, und als ich die weißen Klippen von Dover sah, allein, ohne meine Frau, da sagte ich: ›Gott, heute glaube ich nicht mehr an dich.‹«
»Was hat Gott geantwortet?«, fragte Dodger.
Solomon seufzte theatralisch, als fühle er sich von der Frage herausgefordert, dann lächelte er und erwiderte: »Mmm, Gott sagte zu mir: ›Ich verstehe, Solomon, gib mir Bescheid, wenn du es dir anders überlegst.‹ Damit war ich recht zufrieden, denn ich hatte meine Meinung gesagt, und die Welt war besser, und jetzt befinde ich mich an einem recht schmutzigen Ort, bin aber frei. Und es steht mir zu, Schweinefleisch zu essen, wenn Gott es mir anbietet.«
Solomon wandte sich wieder seiner Arbeit zu. »Ich stelle Zahnräder für diese Uhr her, mein Junge, was mich sehr in Anspruch nimmt und eine gute Koordination von Hand und Auge erfordert. Gleichzeitig ist es eine beruhigende Tätigkeit, und deshalb freue ich mich auf die Zahnräder. Es bedeutet, dass ich der Zeit helfe, sich selbst zu kennen, so wie sie meine Zukunft kennt.«
Stille folgte diesen Worten, abgesehen von den Geräuschen, die Solomons Werkzeuge verursachten, und das war Dodger nur recht, denn er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er fragte sich, ob es daran lag, dass Solomon Jude war, oder vielleicht an seinem Alter oder an beidem zusammen. »Ich möchte ein bisschen nachdenken, wenn es dir recht ist«, sagte er schließlich. »Natürlich ziehe ich mich um.«
Dodger glaubte nämlich, dass er beim Toshen am besten nachdenken konnte. In der vergangenen Nacht hatte es geregnet, aber nicht allzu heftig, und nun wünschte er sich ein wenig Zeit, ohne sie mit jemand anderem teilen zu müssen.
Solomon winkte ihn fort. »Geh nur, Junge! Und bitte nimm Onan mit …«
Etwas später und ein ganzes Stück von der Mansarde entfernt wurde ein Gullydeckel angehoben, und Dodger sank dankbar in seine Welt hinunter. Wegen des Regens war es nicht allzu schlimm, und es gab noch etwas Tageslicht. Außerdem hörte er Echos. O ja, die Echos – es war erstaunlich, was die Tunnel und Röhren empfingen, und Stimmen trugen manchmal sehr weit. Jeder Ton verließ seinen sterbenden Geist und tanzte wer weiß wie weit.
Und dann die Geräusche von der Straße. Manchmal konnte man ein Gespräch verfolgen, das in der Nähe eines Abflusses stattfand – dann redeten oben die Leute, ohne etwas vom unten verborgenen Tosher zu ahnen. Einmal hatte Dodger gehört, wie eine Dame aus einer Kutsche gestiegen und gestolpert war, was dazu geführt hatte, dass ihre Handtasche zu Boden fiel und sich öffnete. Wie es ein glücklicher Zufall wollte, rollte ein Teil des Gelds in den nahen Abfluss. Der junge Dodger hatte die Rufe gehört, ebenso die Verwünschungen, die dem Kutscher galten, dessen Schuld nach Ansicht der Dame darin bestand, die Kutschentür nicht richtig offen gehalten zu haben. Wie Manna vom Himmel fielen ihm ein halber Sovereign, zwei halbe Kronen, eine Sixpence-Münze, vier Pennys und ein Viertelpenny in die Hände.