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Dodger zögerte. »Vielleicht so weit entfernt wie Bristol?« Er hatte von Bristol gehört. Es sollte eine große Hafenstadt sein, aber nicht so groß wie London.

Solomon seufzte und erwiderte: »Leider sind die Planeten noch viel, viel weiter entfernt als Bristol, sogar noch weiter als das Van-Diemens-Land, und das dürfte die am weitesten entfernte Gegend sein, die sich von hier aus erreichen lässt, denn sie befindet sich auf der anderen Seite der Erde.«

Dodger gewann den Eindruck, dass alles, was ihm Solomon erzählte, wie eine silberne Nadel in ihm stecken blieb, die nicht wehtat, aber ihn mit einem seltsamen Summen erfüllte. Nach und nach sah er eine Welt, die sich weiter über die Tunnel unter den Straßen hinaus erstreckte, eine Welt voller Dinge, die er nicht kannte. Von der Existenz vieler dieser Dinge hatte er bisher nichts gewusst, und er begriff plötzlich, dass er darüber Bescheid wissen wollte. Er fragte sich auch, ob Simplicity größeren Gefallen an einem Mann fände, der sich mit all diesen Seltsamkeiten auskannte, und dieser Gedanke machte ihm klar, wie sehr er sich auf ein Wiedersehen mit ihr freute.

Als sie die Treppe hochstiegen, sagte Solomon: »Wenn du mit Buchstaben besser zurechtkämst, Dodger, könnte ich dich mit den Werken von Sir Isaac Newton vertraut machen. Und jetzt lass uns eintreten, denn allmählich setzt mir die feuchte Kälte zu. Mmm, du hast mich vor einer Weile nach Engeln gefragt, die mmm Boten sind, und deshalb glaube ich: Was auch immer dir Informationen überbringt, es könnte Engel genannt werden, mein lieber Dodger.«

»Ich dachte, es sind Boten von Gott.«

Solomon seufzte einmal mehr, als er mit der Prozedur des Aufschließens begann. »Mmm, nun, wenn du eines Tages vom Dreckwühlen genug hast, könnte ich dir von den Werken Spinozas erzählen. Der war ein Philosoph, und was er schrieb, würde zweifellos deinen Horizont erweitern, und Platz dafür gibt es in deinem Kopf genug, soweit ich das erkennen kann. Du würdest das Konzept des Atheismus kennenlernen, das den Glauben an Gott infrage stellt. Was mich betrifft … manchmal glaube ich an Gott und manchmal nicht.«

»Ist das erlaubt?«, fragte Dodger.

Solomon öffnete die Tür und verriegelte sie hinter ihnen wieder. »Du hast noch immer nicht die besondere Vereinbarung verstanden, die das jüdische Volk mit Gott getroffen hat.« Er betrachtete Onan und fügte hinzu: »Wir stimmen nicht immer überein. Du fragst nach Engeln, und ich spreche von Menschen. Warum zum Beispiel glauben die Menschen, dass es Liebe nur bei ihnen geben könnte? Wo Liebe existiert, muss es auch mmm eine Seele geben, doch seltsamerweise scheint Gott davon auszugehen, dass nur Menschen eine Seele haben. Ich habe ihm lange erklärt, warum er seinen Standpunkt noch einmal überdenken sollte, und Anlass dafür war eine Begegnung mit einem zornigen Herrn, der eine Eisenstange in der Hand hielt und die Ansicht vertrat, dass alle Juden sterben sollten – eine Einstellung, der ich leider recht häufig begegnet bin. Onan war damals kaum mehr als ein Welpe und biss besagten Herrn mutig in eine empfindliche Stelle, was ihn ablenkte und mir Gelegenheit gab, ihn mit einem kleinen Trick, den ich in Paris gelernt hatte, zu Boden zu schicken. Wer will behaupten, dass Onan mir nicht aus Liebe Hilfe leistete, um Schaden von mir abzuwenden, mit dem Ergebnis, dass er für seine Selbstlosigkeit die Tritte bekam, die ihn vermutlich zu dem Hund gemacht haben, der er heute ist. Mmm, und jetzt bin ich rechtschaffen müde und möchte das Licht löschen.«

In der Düsternis streckte sich Dodger auf seiner Matratze aus. Onan beobachtete ihn in der Hoffnung, dass diese Nacht vielleicht kalt genug war, um Dodger zu bewegen, seine Matratze mit einem ziemlich übel riechenden Hund zu teilen. In seinem Blick lag die bedingungslose Liebe, zu der nur ein Hund fähig ist – und natürlich ein Hund mit einer Seele. Doch Onan war auf hoffnungslose Weise Hund, was seine Metaphysik weitaus weniger kompliziert machte als die von Menschen, obwohl er manchmal in eine Krise geriet, weil er zwei Götter zu verehren hatte: den alten, der nach Seife roch, und den jungen, der auf herrliche Weise nach allem anderen roch, insbesondere wenn er vom Toshen heimkehrte – dann war er für Onan wie ein Regenbogen voller Kaleidoskope. Jetzt nagelte der hoffnungsvolle Hund Dodger mit der Aufrichtigkeit seiner Liebe regelrecht fest, und Dodger gab nach – wie immer.

Der kleine Raum war still und dunkel, abgesehen von Solomons leisem Schnarchen und dem grauen Licht, das es schaffte, durch das schmutzige Fenster zu filtern, und dem Geruch von Onan, dem es auf höchst eigentümliche Weise gelang, sich fast Gehör zu verschaffen.

Draußen auf der Straße hielt ein Mann Ausschau, der hoffte, zwei Männer zu sein, denn einer allein konnte sich am nächsten Morgen leicht tot wiederfinden. Falls ein Toter dazu in der Lage war, sich über den eigenen Tod klarzuwerden – wobei es sich um eins der Rätsel handelte, die Solomon gefallen hätten.

In der Mansarde schlief Dodger, und in seinen Träumen lauschte er den Planeten, wie sie weit droben über ihm dahinzogen, gelegentlich begleitet von einer jungen Frau mit goldenem Haar.

Am nächsten Morgen stand Dodger noch früher auf als Solomon. Gewöhnlich hatte er keine Pläne für den Tag und blieb so lange unter der Decke, bis ihm Onans Zunge über das Gesicht strich, und er wollte nicht, dass so etwas mehr als einmal geschah.

Solomon sagte nichts, aber Dodger bemerkte sein leichtes Lächeln, als er die Suppe aufwärmte, die es zum Frühstück geben sollte. Mit seiner Magie und den Kontakten in Covent Garden konnte Solomon gewöhnlichen Brei in die delikateste Suppe verwandeln, die Dodgers Meinung nach kaum zu übertreffen war, nicht einmal von Marie Jos Kochkünsten. Dennoch legte Dodger seinen Löffel beiseite.

»Das war sehr lecker, Sol, danke, aber ich muss gehen.«

»Mmm, nicht ohne dass du deine Stiefel geputzt hast, auf keinen Fall. Du bist mittlerweile fast ein Gentleman, zumindest bei schlechtem Licht, und außerdem mit einer wichtigen Mission beauftragt. Deshalb musst du so gut wie möglich aussehen, erst recht heute Nachmittag, wenn du wieder Miss Simplicity besuchst. Für einen Angehörigen des auserwählten Volks ist es schwer genug, in dieser Stadt zu leben, selbst wenn man ihm nicht vorwerfen kann, einen Jungen wie dich ohne angemessene Kleidung loszuschicken – es würde nicht lange dauern, bis die Leute wieder Steine auf das Gebäude werfen würden. Mach deinen Anzug bloß nicht schmutzig! Ich möchte keinen Flecken sehen, wenn du zurückkehrst. Und jetzt deine Stiefel!« Solomon öffnete eine seiner Schatullen, reichte Dodger einen kleinen Metallbehälter und sagte: »Dies ist richtige Schuhcreme, riecht sogar gut mmm, nicht wie das verflixte Schweinefett, das du benutzt. Du wirst ein wenig Armschmalz benötigen, um deine gebrauchten Stiefel zu putzen, damit sie wie neu aussehen und du dein Gesicht darin erkennen kannst. Und dabei fällt mir noch etwas anderes Erwähnenswertes ein. Denn wenn du dich im Glanz der richtig geputzten Stiefel siehst, sollte dir klarwerden, dass dein Gesicht ebenfalls aufpoliert werden muss. Offenbar hattest du gestern Abend keine Zeit, es zu waschen.«

Bevor Dodger Einwände erheben konnte, fuhr Solomon fort: »Außerdem muss ich dich darauf hinweisen, dass das, was du für dein Haar hältst, schlimmer aussieht als die Reithose eines Mongolen, und die sieht tatsächlich schlimm aus mit dem vielen Haar und den Yakbrocken – ich glaube, bei besonderen Gelegenheiten verwenden die Mongolen Yakmilch für ihr Haar. Und da ich nicht erneut fliehen und in einem anderen Land Zuflucht suchen möchte, solltest du, nachdem du dich ein bisschen herausgeputzt hast und wie ein halbwegs ordentlicher Christ aussiehst – die Chancen, dass du jemals wie ein Jude aussiehst, mein Junge, sind verschwindend gering –, einen richtigen Friseur aufsuchen und dir von ihm die Haare schneiden und dich rasieren lassen, anstatt dich den Fingern eines alten Mannes anzuvertrauen, die zittrig werden, wenn er müde ist.«