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Dann stand Sweeney plötzlich zwischen Dodger und der Tür zur Straße und winkte mit dem Rasiermesser wie eine Braut mit ihrem Brautstrauß kurz nach der Trauung, neugierig darauf, wer ihn wohl auffängt …

Dodger hoffte, dass man das laute Klopfen seines Herzens nicht hörte, als er ruhig sagte: »Erzählen Sie mir, was Sie sehen, Mister Todd! Es klingt schrecklich. Kann ich Ihnen helfen?«

Bumm-bumm, machte Dodgers Herz, doch er achtete nicht darauf, leider ebenso wenig wie Sweeney, dessen Murmeln lauter wurde, was Dodger in die Lage versetzte, einige Worte zu verstehen. Langsam, ganz langsam stand er auf und dachte nach. Vielleicht Opium? Er schnupperte, roch aber keinen Alkohol. »Was sehen Sie, Mister Todd?«, fragte er so sanft wie möglich.

»Sie … sie kommen immer wieder. Ja, ja, sie kommen zurück und versuchen, mich mitzunehmen … Ich erinnere mich an sie … Wissen Sie, was Kanonenkugeln anrichten können, junger Herr? Manchmal hüpfen sie, es ist sehr komisch, ha, und dann rollen sie über den Boden, und ein junger Bursche … ja, irgendein neuer Bursche, frisch von einer Farm in Dorset oder Irland, mit dem Kopf voller Lügen über den Krieg und in der Tasche ein schlecht gemaltes Bild von seiner Freundin, die ihn vielleicht an sich herangelassen hat, weil er ein so tapferer Soldat ist und gegen Boney kämpft … Dieser junge Soldat sieht die Kanonenkugel über den Boden rollen wie beim Kegeln, und der verdammte Narr ruft seine Kameraden, diejenigen, die noch übrig sind, und beschließt, der Kugel einen ordentlichen Tritt zu versetzen, ohne zu ahnen, welche Kraft noch darin steckt. Kraft genug, ihm das Bein abzureißen, und nicht nur das Bein. Heute schwinge ich das Rasiermesser, aber auf dem Schlachtfeld habe ich das des Chirurgen in der Hand gehalten, und es war kaum besser als die Klinge eines Schlachters. Ich hab sie alle gesehen, die gebrochenen Männer … Und da kommen sie … Sie kommen, wie sie immer gekommen sind, unsere glorreichen Helden, einige von ihnen sehen mit ihren Augen für die anderen, die keine mehr haben, andere tragen die ohne Beine. Und wieder andere schreien für jene, die ohne Stimme sind …«

Die ganze Zeit über tanzte das Rasiermesser wie hypnotisch hin und her, während sich Dodger langsam dem schwitzenden Mann näherte.

»Nicht genug Verbandsmaterial, nicht genug Medizin, nicht genug … Leben«, murmelte Sweeney Todd. »Ich habe es versucht. Nie habe ich die Waffe auf andere Menschen gerichtet, ich habe zu helfen versucht, wenn die beste Hilfe, die man leisten kann, aus einer sanften Klinge besteht. Und sie kommen immer noch … Sie kommen hierher, die ganze Zeit über … und suchen nach mir … Und sie behaupten, nicht tot zu sein, aber ich weiß, dass sie tot sind. Sie sind tot, aber immer noch auf den Beinen. Oh! Wie traurig das alles ist, wie traurig …«

Dodgers Hand war dem Rasiermesser bei seinem launischen Tanz gefolgt und ergriff nun die Hand, die es hielt. Er glaubte fast, die Soldaten selbst zu sehen, so betörend waren die Bewegungen der Klinge, und er fühlte sich immer mehr zu etwas Schrecklichem hingezogen. Bis der innere Dodger, der überleben wollte, aufwachte, grüßte, die Herrschaft über Dodger übernahm und behutsam das Rasiermesser aus Sweeney Todds Fingern löste.

Der schwankende Mann merkte nicht einmal, dass es ihm abgenommen wurde. Er starrte noch immer zu dem anderen Ort, den Dodger nicht sehen wollte, ließ einfach los und sank auf den Stuhl. Rasierschaumfladen sanken wie zu groß geratene Schneeflocken auf ihn herab.

Erst dann merkte Dodger, dass sie nicht mehr allein waren. Während er halb in Sweeney Todds Traumwelt geweilt hatte, waren zwei Peeler gekommen. Erstaunlich still für Leute wie sie, standen sie in der Tür, schwitzten und starrten ihn und den armen Mister Todd an. Einer von ihnen sagte: »Heilige Maria, Mutter Gottes!« Und beide Männer sprangen zurück, als Dodger das Rasiermesser zusammenklappte und einsteckte, damit es keinen Schaden anrichten konnte. Dann wandte er sich den beiden Peelern zu, lächelte und fragte: »Kann ich Ihnen helfen, Gentlemen?«

Danach spielte die Welt verrückt, noch mehr als vorher. Dodger war plötzlich von vielen Menschen umringt. In dem Friseursalon wimmelte es von Peelern, die an ihm vorbei nach hinten eilten, wo er das Klappern eines Schlosses hörte, dann das Pochen eines Stiefels und, weiter unten, einen grässlichen Fluch. Plötzlicher Gestank von Friedhofsausmaßen wehte durch den Salon und bewirkte Schreie bei der Menge, die sich eingefunden hatte. Dodger wurde übel und bedauerte aus irgendeinem Grund, dass er seinen Haarschnitt nicht bekommen hatte.

Polizeipfeifen erklangen draußen, und weitere Peeler strömten herein. Zwei von ihnen packten den liegenden Mister Sweeney Todd, der sich noch immer in der anderen Welt befand; Tränen liefen ihm über die Wangen. Er wurde nach draußen gebracht und ließ Dodger auf dem Friseurstuhl sitzend zurück, im Mittelpunkt eines Durcheinanders, das immer größer zu werden schien. Wohin er auch sah, überall wandten sich ihm Gesichter zu, und die Leute rangen jedes Mal nach Luft, wenn er sich bewegte, und in der Wolke aus Benommenheit, die ihn umgab, hörte er einen aus dem Keller kommenden Peeler sagen: »Er stand einfach da. Ich meine, er stand dem Mann unmittelbar gegenüber, Auge in Auge, ohne zu blinzeln, und wartete nur auf den richtigen Moment, um nach dem verdammten Messer zu greifen. Wir wagten es nicht, auch nur einen Ton von uns zu geben, denn der Übeltäter schien in einem Traum zu sein, und er hielt eine tödliche Waffe in der Hand. Was soll ich sagen? Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, gehen Sie nicht in den Keller. O nein, besser nicht, denn dort unten bekämen Sie etwas zu sehen, das nicht für Ihre Augen bestimmt ist. Halt sie auf, Fred! Von einer grausigen Metzelei zu sprechen, würde diesem Verbrechen nicht gerecht. Glauben Sie mir – ich bin einmal Soldat gewesen. Ich war bei Talavera dabei, und das war schlimm genug. Als ich das dort unten gesehen habe, musste ich mich übergeben. Hab richtig gekotzt, und zwar mehrmals. Ich meine, der Gestank! Kein Wunder, dass sich die Nachbarn beschwert haben. Ja, Sir … Sie, Sir … kann ich Ihnen helfen?«

Mit trüben Augen erkannte Dodger Charlie Dickens, der offenbar den Peelern gefolgt war. »Mein Name ist Dickens, und ich kenne den jungen Dodger hier als hervorragenden Menschen, der besonderes Vertrauen verdient. Er ist auch der Held, der neulich Abend die Angestellten des Morning Chronicle vor einem Raubüberfall bewahrte, und davon haben Sie bestimmt alle gehört.«

Dodger fühlte sich allmählich besser, was vielleicht auch an dem großen Applaus lag, den er bekam, und seine Stimmung heiterte sich noch mehr auf, als jemand in der Menge rief: »Ich schlage eine Sammlung für diesen überaus tapferen jungen Mann vor! Ich selbst gebe fünf Kronen!«

Er wollte aufstehen, aber Charlie Dickens, der sich über ihn gebeugt hatte, drückte ihn sanft auf den Friseurstuhl zurück, beugte sich etwas tiefer und flüsterte ihm ins Ohr: »Es wäre angebracht, ein wenig zu stöhnen, denn immerhin warst du einer schrecklichen Gefahr ausgesetzt, mein Freund. Vertrau mir als Journalisten! Du bist der Held der Stunde, wieder einmal, und es wäre schade, alles mit unbedachten Worten zu zerstören.« Sein Kopf kam noch näher, und er sprach noch leiser. »Hör nur, wie sie rufen und Geld für den Helden sammeln. Ich helfe dir jetzt vorsichtig auf die Beine und bringe dich zum prächtigen Büro des Chronicle, wo ich einen Artikel über dich schreiben werde, wie er vermutlich seit Cäsars Zeiten nicht mehr geschrieben wurde.«

Charlie lächelte. Wie ein Fuchs, fand Dodger in dieser lauten, sich drehenden und plötzlich sehr verwirrenden Welt. Dann schob sich Charlie etwas näher und sagte: »Übrigens, mein kühner Freund, habe ich gerade erfahren, dass Mister Sweeney Todd mit seinem Rasiermesser die Kehlen von sechs Männern aufgeschlitzt hat, die in dieser Woche zu ihm gekommen waren, um sich rasieren und die Haare schneiden zu lassen. Ohne deine fast magische Reaktion wärst du das Opfer Nummer sieben gewesen. Und dies war meine beste Hose!« Die letzten Worte wurden gerufen – besser gesagt: geschrien –, denn Dodger hatte sein Frühstück auf Charlies Beinkleider verteilt.