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Inzwischen hatte sich eine kleine Menschenansammlung gebildet, und Dodger konnte nur wiederholen: »Ich möchte in einer wichtigen Angelegenheit zu Mister Dickens.« Dann sagte er sich, dass er nur warten, die ihm dargebotenen Hände schütteln, nicken und lächeln musste, bis jemand Charlie holte.

Das ging in Ordnung, und ein Mann – ein sehr adretter, eleganter Mann – erschien plötzlich und sagte mit aufrichtiger Schärfe: »Wenn dies der Held ist – der doppelte Held der Fleet Street, sofern man den Zeitungen vertrauen darf –, welchen Dienst erweisen wir ihm dann anlässlich seines Besuchs? Was habt ihr euch nur gedacht?«

Dem letzten Wort verlieh der Mann eine besondere Betonung, und die Leute klatschten, und einige machten Bemerkungen in der Art von: »Wohl gesprochen, Mister Disraeli, wie wahr, wie wahr! Wo bleiben nur unsere Manieren?« Und einer von ihnen sagte: »Nun, ich weiß nicht, wie Sie das sehen, Gentlemen, aber meiner Meinung nach handelt es sich bei einem Helden wie diesem um einen Mann, der das grausige Rasiermesser des Mörders gewiss noch immer bei sich hat.« Die Worte versetzten Dodger einen Stich, und er malte sich aus, was geschehen mochte, wenn man ihn hier, an diesem Ort, mit dem Messer erwischte. Dann lachte der Mann, der das Rasiermesser erwähnt hatte, und fügte hinzu: »Allein der Gedanke, ha!«

»Allein der Gedanke«, murmelte Dodger und lachte ebenfalls, allerdings eher gezwungen.

Und so kamen Dodger und Simplicity ins Parlament, tatsächlich begleitet vom Rasiermesser und von einer Lüge, wogegen nichts einzuwenden war, denn Lügen hatten viele Leute ins Parlament gebracht. Dodger wusste noch immer nicht, warum er Sweeney Todds Rasiermesser in dem ganzen Durcheinander an sich genommen hatte. Irgendwie hatte er das Gefühl, es sei bei ihm derzeit am besten aufgehoben. Bevor er jedenfalls in dieser Hinsicht etwas unternehmen konnte, wurde Mister Dickens gerufen und traf kurze Zeit später ein. Er schüttelte Dodger theatralisch die Hand, musterte Simplicity und fragte: »Sind Sie etwa die junge Dame, die vor drei Nächten verprügelt wurde?« Dann betonte er, Dringendes mit dem jungen Kavalier besprechen zu müssen, was auch immer das bedeuten mochte.

Sie schritten durch Flure, die mit dicken Teppichen ausgelegt waren, und erreichten einen kleinen Raum mit einem Tisch. Während Dickens Stühle und Sessel zurechtrückte und Simplicity beim Platznehmen half, behielt Dodger Mister Disraeli im Auge. Er erinnerte ihn irgendwie an einen sehr viel jüngeren Solomon oder an eine Katze, die eine Untertasse mit Milch gefunden hat und jeden einzelnen Tropfen genießt. Er war … ja, das traf es gut: Er war ein Dodger, kein Dodger wie Dodger, aber eine andere Art von Dodger, und man musste selbst Dodger sein, um dies zu erkennen. Ein schlauer Mann und bewaffnet mit einer Zunge, die vielleicht noch Schlimmeres anrichten konnte als ein Messer. Ein außerordentlich gewiefter Typ und ganz klar ein Geezer.

Dodgers und Mister Disraelis Blicke trafen sich, und Mister Disraeli zwinkerte – vielleicht die Anerkennung eines Dodgers einem anderen gegenüber. Dodger lächelte, zwinkerte aber nicht, denn ein junger Mann konnte in Schwierigkeiten geraten, wenn er einem Gentleman zuzwinkerte. Bis zu diesem Moment hatte er Unbehagen empfunden, hervorgerufen von einer Umgebung mit Statuen, Teppichen, die jedes Geräusch schluckten, und vielen Bildern an den Wänden, den Porträts älterer Herren mit weißem Haar und verkniffenen Gesichtern, als litten sie an Verstopfung. Ihre wortlosen Blicke schienen ihm zu sagen, dass er klein und unbedeutend war, nicht mehr als ein Wurm. Disraelis Zwinkern brach den Bann und teilte ihm mit, dass es in diesem Gebäude nicht viel anders zuging als in einem der überfüllten Mietshäuser, die Dodger kannte. Es mochte größer, wärmer und besser eingerichtet sein, und die Menschen, die sich hier aufhielten, waren eindeutig besser ernährt, den dicken Bäuchen und roten Nasen nach zu urteilen. Durch das Zwinkern indes nahm Dodger nun eine weitere Ansammlung von Leuten zur Kenntnis, die um die besten Plätze rangelten, nach Macht und einem besseren Leben strebten, wenn nicht für alle, so zumindest für sie selbst.

Dodger grinste, während er diesen Gedanken festhielt wie einen magischen Ring, der ihm Macht verlieh und von dessen Vorhandensein sonst niemand wusste. Aber auf dieses gute Gefühl folgte ein schlechtes: Hier wimmelte es überall von Worten und Büchern, und derzeit fand er keine Worte.

Eine Hand legte sich ihm auf die Schulter, und Charlie sagte: »Mein Freund, wir müssen uns um eine wichtige Angelegenheit kümmern. Vor meinem guten Freund Mister Disraeli kannst du offen sprechen. Er ist ein aufstrebender Politiker, in den wir große Hoffnungen setzen und der das gegenwärtige Problem kennt. Übrigens, wie geht es dir? Erfrischungen gefällig?« Während Dodger noch nach Worten suchte, nickte Simplicity höflich, und Charlie ging zur Tür und zog an einem Glockenstrang. Auf der Stelle erschien ein Mann, flüsterte kurz mit Charlie und ging wieder.

Charlie setzte sich in einen bequemen Sessel, und Disraeli folgte seinem Beispiel. Letzterer faszinierte Dodger. Er kannte das Wort insinuieren nicht, aber mit dem Gedanken dahinter war er vertraut. Mister Disraeli insinuierte sich selbst – in gewisser Weise verließ er einen Ort nicht, bis er tatsächlich ganz woanders war. Das macht ihn gefährlich, dachte Dodger, und dann fiel ihm ein, was er bei sich trug.

Während der Bedienstete noch unterwegs war, um etwas zu trinken zu holen, sagte Charlie: »Um Himmels willen, junger Mann, setz dich, die Stühle und Sessel beißen nicht! Ich bin hocherfreut, dass die Erholung der jungen Dame so gute Fortschritte macht – das ist wirklich eine gute Nachricht.«

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Disraeli, »aber wer ist die junge Dame eigentlich? Ist sie …? Wäre jemand so freundlich, mich ihr vorzustellen?«

Er stand auf, und Charlie erhob sich ebenfalls, führte Disraeli zu Simplicity und sagte: »Miss … Simplicity, darf ich Ihnen Mister Benjamin Disraeli vorstellen?«

Auf der Stuhlkante sitzend, beobachtete Dodger das Geschehen mit einem gewissen Staunen. In Seven Dials war so etwas nicht üblich. Dann sagte Charlie: »Ben, Miss Simplicity ist die Dame, über die wir gesprochen haben.«

Und mit zuckersüßer Stimme fragte Simplicity: »Was wurde über mich gesprochen, wenn ich fragen darf?«

Dodger wäre fast aufgesprungen, bereit, Simplicity falls notwendig zu verteidigen, aber Charlie sagte recht scharf: »Bleib sitzen, Dodger! Dies solltest du besser mir überlassen. Du kannst gern deine Meinung äußern, wenn du möchtest.« Er wandte sich an Simplicity. »Das gilt natürlich auch für Sie. Hier in England sieht man die Situation folgendermaßen, Miss Simplicity. Sie haben im Ausland gelebt, zusammen mit Ihrer Mutter, offenbar einer Englischlehrerin. Nach ihrem bedauernswerten Ableben haben Sie irgendwann in jüngerer Vergangenheit einen Prinzen aus einem der deutschen Länder geheiratet.« Charlie sah die junge Frau so an, als befürchte er eine Explosion, aber sie nickte nur, und er fuhr fort. »Wir wissen auch, dass Sie nicht viel später flohen und hier in England erschienen – wo Ihre Mutter geboren wurde.«

Simplicity starrte ihn an und erwiderte: »Ja. Und ich bin geflohen, weil sich mein Mann unmittelbar nach der Heirat als eine wehleidige Jammergestalt entpuppte. Er versuchte sogar, mir die Schuld an unserer sogenannten Ehe zu geben, ein Trick, meine Herren, der so alt ist wie die Welt.«

Dodger bemerkte, dass Disraeli zum Himmel aufgeblickt hatte – beziehungsweise zur Zimmerdecke. Selbst Charlie wirkte ein wenig betreten, ging aber nicht darauf ein und fuhr fort: »Inzwischen wissen wir aus Quellen, die ich hier nicht nennen möchte, dass zwei Landarbeiter, die Zeugen der Trauung waren, tot aufgefunden wurden. Und der Priester, der die Zeremonie durchführte, scheint eines Tages ausgerutscht zu sein, als er das Dach seiner Kirche inspizierte. Er überlebte den Sturz nicht.«

»Das muss Pater Jakob gewesen sein«, murmelte Simplicity mit blasser Miene. »Er war ein anständiger Mann, und mir scheint, dass ein Priester nicht einfach so vom Dach seiner Kirche fällt. Die Zeugen waren Heinrich und Gerta. Das Dienstmädchen, das mir die Mahlzeiten brachte, erzählte mir von ihnen. Offenbar sind Sie im Moment ein wenig um Worte verlegen, Sir, aber vermutlich wollen Sie mir auf die langatmige britische Art und Weise erklären, dass mein Mann seine Frau zurückhaben möchte. Abgesehen von dem Priester waren Heinrich und Gerta die einzigen Menschen, die Kenntnis von unserer Hochzeit hatten, und jetzt sind sie tot. Dies« – sie zog den goldenen Ring vom Finger und hob ihn hoch – »ist der einzige Hinweis auf meine Ehe. Ich glaube, Sir, Sie versuchen mir klarzumachen, dass mein Mann – beziehungsweise sein Vater – diesen Ring zurückhaben will, und zwar um jeden Preis.«